Pandemiewinter

Leben mit sedierten Emotionen

Eine Frau mit Mund-Nasen-Schutz steht an einer Bushaltestelle im Schnee.
Heute wieder nichts los: Die Wahrnehmung dieser Tage ist auf Ereignislosigkeit gepolt, meint die Schauspielerin Nicola Schubert. (Symbolfoto) © imago images / Shotshop
Gedanken von Nicola Schubert · 09.02.2022
Nach zwei Jahren Pandemie haben wir uns Routinen angeeignet. Dazu gehöre auch ein Runterdimmen unserer Gefühlslagen, ob nun positive oder negative, meint die Schauspielerin Nicola Schubert. Besonders im Winter sei dies zu spüren.
„Mal wieder nicht viel passiert“, beschreibt eine Freundin ihre vergangene Woche. Arbeit natürlich, ja gut, sonst wenig. Doch, Moment: Ein neues Projekt steht an, mehrere Anträge für Kulturförderungen sind raus, ein Vorsprechen hat sie gehabt. Ist ja doch was gewesen. Aber offensichtlich ohne großen Effekt. Die Wahrnehmung dieser Tage ist auf Ereignislosigkeit gepolt. Da ist sie wieder, die Winterwelle – paralysierend und zyklisch wiederkehrend seit zwei Jahren.
Unser Leben ist bestimmt von Zyklen: Jahreszeiten, Aufs und Abs, für etwa die Hälfte der Menschen Menstruation. Selbst ein einziger Tag gliedert sich in wiederkehrende Abläufe – morgens Kaffee, abends ins Bett. Was einerseits manchmal nervt, bringt eine gewisse Stabilität mit sich. Rituale sind fest verankert im Verhaltens- und Erfahrungsrepertoire von Menschen. Auf die zyklischen Corona-Winterwellen, die zwangsläufig eine gewisse Schwere mit sich bringen, könnten wir indes alle gut verzichten.

Sediert durch psychische Abwehrhaltung  

Obwohl vieles wieder geht, das ein gewisses Event-Potenzial haben könnte: ins Restaurant gehen, ins Kino oder Theater – am nächsten Tag ist das schon wieder vergessen. Oder einfach: nicht mehr spürbar. Der dämpfende Vorhang, der über allem liegt, kostet mehr Energie, als man Lust hat, sich einzugestehen. Am dauerhaft leicht sedierten Zustand der psychischen Abwehrhaltung gegenüber allzu großer Verunsicherung, Ärger und Traurigkeit können auch kurze Freuden, Erleichterung oder die viel zitierte Normalität durch einen Cafébesuch nicht eklatant etwas ändern.
Die über zwei Jahre errichtete Mauer aus Vorsicht und mühevoll herbeigeatmeter Gelassenheit hält nicht nur Angst, sondern auch hemmungslose Fröhlichkeit ab. Unsere natürlichen Antidepressiva durch Yoga-Sessions, ein positives Mindset oder andere Instrumente nehmen allem die Spitzen: auch der Begeisterung für schöne Dinge und Erlebnisse. Was sich eingeschlichen hat, ist das Gefühl, dass die Akkus immer nur halb voll werden, egal wie lang die Ladezeit ist. Nichts tankt einen mehr so richtig auf.

Der Frühling als Lichtblick

Irgendwo zwischen Weltuntergangsstimmung und schulterzuckender Gleichgültigkeit haben wir aber mit absoluter Sicherheit zumindest eine Perspektive für ein Ende dieser Winterwelle: den Sommer. Die emotionalen Übergänge vom Winter- in den Sommermodus sind dabei fließend. Nicht einmal den persönlichen Freedom-Day gibt es dann, eher schleicht sich ein anderer, sonnigerer Gemütszustand langsam wieder ein.
Optimistisch geschätzt ab März, vielleicht auch erst ab April werden wir also allmählich wieder in diesen Modus hineindiffundieren. Dann ist mehr möglich, die Ängste und Sorgen sinken wieder, der schwere Vorhang lüftet sich.

Umfassende Transformationen werden notwendig

Auch der Übergang in eine endemische Phase wird nicht schlagartig die Zeit oder unsere Verhaltensmuster zurückdrehen. Um die dauerhafte Dämpfung durch die Pandemie loszuwerden, bedarf es unserer Transformation. Schritt für Schritt werden wir uns wieder auf neue Umgänge mit einer Krankheit, die harmloser zu werden scheint, einigen. Wie der Soziologe Heinz Bude sagt, werden wir dann „zurückkehren in einen Zustand, in dem wir noch nie waren“.
Rückkehr heiße allerdings, neu anzusetzen und nicht einfach ein „back to normal“. Ein Neuanfang werden wir auch brauchen, um uns wieder verbundener mit der Welt, auch der Welt der schönen Erlebnisse zu fühlen. Ob gleichsam der Zyklen-Charakter dann verschwindet, bleibt abzuwarten. Auch eine endemische Phase bedeutet im Winter wohl weiterhin ein gewisses Risiko für eine Infektion mit einer Krankheit, die noch nicht erschöpfend erforscht ist. Und – damit verbunden – hat sich eines in der Pandemie auf jeden Fall gezeigt: Unser Grundgefühl für Krankheiten hat sich ebenfalls transformiert, zumindest in einen zyklisch wiederkehrenden Zustand des erhöhten Bewusstseins.

Nicola Schubert ist Schauspielerin, Theatermacherin und freie Autorin. Sie begann bei den „Ruhr Nachrichten“ und Radio 91,2 in Dortmund und mit einem Theater- und Medienwissenschaftsstudium. Nach dem Schauspieldiplom in Frankfurt am Main war sie in Detmold und am Theater Ulm engagiert. Nun lebt sie in Köln und arbeitet hauptsächlich mit ihrem Performance-Kollektiv schubert-stegemann.

Porträt von Nicola Schubert, Schauspielerin und Autorin
© Birgit Hupfeld
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