Papst Benedikt, der Unbarmherzige

Von Gernot Facius |
Warum darf ein Verbrecher nach Beichte und Absolution die Kommunion empfangen, ein wiederverheirateter Geschiedener aber nicht? Papst Benedikt XVI. zeigt sich bei dieser Frage kompromisslos - und manövriert die katholische Kirche in eine Glaubwürdigkeitsfalle.
Die Frage mag polemisch klingen, sie führt aber mitten ins katholische Kirchenrecht: Weshalb darf ein Verbrecher nach Beichte und Absolution die Kommunion empfangen, ein wiederverheirateter Geschiedener aber nicht? Die Antwort des kirchlichen Lehramtes fällt glasklar aus: Weil die Ehe unauflöslich ist, sind Geschiedene nach einer zweiten zivilen Eheschließung von den Sakramenten ausgeschlossen. Sie leben, sagt die Kirche, in einem Zustand schwerer Sünde. Immer mehr Pfarrer hält diese Regel allerdings nicht davon ab, wiederverheirateten Geschiedenen die Hostie zu reichen. Allein in der Erzdiözese Freiburg haben sich 200 Priester und Diakone dazu bekannt. Mit guten Argumenten.

1972 schrieb ein Regensburger Theologieprofessor: Wo eine zweite Ehe sich als sittliche Realität bewährt habe, da könne auf das Zeugnis des Seelsorgers hin die Zulassung dieser Menschen zur Kommunion gewährt werden. Der Autor war Joseph Ratzinger, er plädierte offen für eine Vor-Ort-Entscheidung. Als Papst Benedikt XVI. dagegen zeigt er sich kompromisslos: Eine Änderung des Kirchenrechts, so hat er jüngst auf dem Weltfamilientreffen in Mailand bekräftigt, komme nicht in Frage. Basta!

Damit befeuert er einen Konflikt, der in Deutschland permanent für Irritationen sorgt - und der letztlich der kirchlichen Autorität schadet. Denn die aufmüpfigen Kleriker wenden sich nicht gegen die Lehre der Kirche, dass schwere Sünder nicht zur Kommunion gehen dürfen. Aber sie protestieren dagegen, wiederverheiratete Geschiedene undifferenziert als schwere Sünder hinzustellen.

Im Übrigen bestimmt das Kirchenrecht, dass nur der Betreffende selber feststellen kann, ob er des Sakramentenempfangs würdig ist. Das heißt im Umkehrschluss: Wer die Gewissensentscheidung missachtet, verlässt eine gut-katholische Lehre. Deshalb hat auch der Hinweis des Kirchenrechtlers Klaus Lüdicke etwas für sich, es bedürfe gar nicht einer "Barmherzigkeit", von der im Kontext des Freiburger Appells so viel die Rede ist. Der Priester sei vielmehr in Erfüllung des ihm anvertrauten Dienstes verpflichtet, den Betreffenden die Kommunion zu spenden. Das Kirchenrecht müsse der Haltung Jesu entsprechen. Und Jesus habe jeden eingeladen, der von ihm das Heil erhoffte.

Papst Benedikt führt die Kirche in eine Glaubwürdigkeitsfalle. Die Kirche soll einer immer größer werdenden Gruppe von Katholiken den Zugang zur Eucharistie verwehren. Gleichzeitig sollen die Gemeinden dafür sorgen, dass die Betroffenen sich nicht ausgeschlossen fühlen. Damit wird das Problem kaschiert, aber nicht gelöst.

Seit mindestens 40 Jahren wird über den Ausschluss wiederverheirateter Geschiedener von den Sakramenten debattiert. Die Unterzeichner des Freiburger Appells wollen nicht länger warten. Sie fordern Klarheit. Es sind vor allem pensionierte oder vor dem Ruhestand stehende Geistliche, die sich offen positionieren. Von ihrem Erzbischof Robert Zollitsch, dem Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, erwarten sie, dass er das Problem im Episkopat zur Sprache bringt. Es war Zollitsch, der vor dem Papstbesuch die Vokabel "Barmherzigkeit" in die Diskussion einführte. Er steht seitdem verstärkt unter römischer Beobachtung. Traditionalistisch orientierte Priesternetzwerke verlangen von ihm ein Einschreiten gegen die Pfarrerinitiative.

Bislang hat Zollitsch sich als standfest erwiesen. Er hat zwar das Vorgehen der Geistlichen missbilligt, aber zugleich angekündigt, er werde mit ihnen im Gespräch bleiben. Das geht manchen schon zu weit.

Es spricht viel dafür, dass es in der Kirche zu weiteren Polarisierungen kommt. Der deutsche Papst hätte es in der Hand, neue Verhärtungen abzuwenden: Er müsste nur zu seiner Erklärung von 1972 zurückfinden. Aus ihr sprach Verständnis für eine lebensnahe Seelsorge. Davon ist Benedikts heutige Haltung Meilen entfernt.

Gernot Facius, Journalist, geb. 1942 im Sudetenland, viele Jahre bei der Tageszeitung "DIE WELT", zuletzt als stellvertretender Chefredakteur, u. a. verantwortlich für das Ressort "Religion und Gesellschaft" und die Meinungsseite, verheiratet, fünf Kinder. Autor der WELT-Gruppe.

Mehr zum Thema bei dradio.de:
Mehr zum Thema