Papst Franziskus könnte "wieder eine Frische" in die Kirche bringen

Christian Weisner im Gespräch mit Christine Watty |
Von Benedikt XVI. sei ein "Pontifikat von theologischer Enge" betrieben worden, kritisiert der Sprecher der Reformbewegung "Wir sind Kirche", Christian Weisner. Er hoffe, dass sich das mit dem Jesuiten Franziskus ändert - "denn die Jesuiten sind eigentlich ein aufgeschlossener Orden".
Christine Watty: Die Reformbewegung "Wir sind Kirche" wünscht sich schon seit langer Zeit, genauer seit 1995, nachhaltige und vor allem grundlegende Veränderungen in der katholischen Kirche und setzt sich dafür ein. Unter anderem geht es um den Aufbau einer geschwisterlichen Kirche, volle Gleichberechtigung der Frauen, die freie Wahl zwischen zölibatärer und nicht-zölibatärer Lebensform. Nicht besonders zufrieden hat sich die Bewegung mit dem letzten Papst, Papst Benedikt XVI. gezeigt, zu wenig sei passiert, der Papst agiere weltfremd. Jetzt ist ein neuer Papst gewählt, Jorge Mario Bergoglio oder Franziskus. Gibt er den Reformern Hoffnung? Das fragen wir Christian Weisner, den Sprecher von "Wir sind Kirche". Guten Morgen!

Christian Weisner: Guten Morgen!

Watty: Wir erreichen Sie in Rom, Sie waren gestern dabei auf dem Petersplatz. Wie war denn die Stimmung, als dann doch recht überraschend schnell der weiße Rauch aufstieg?

Weisner: Ja, das war schon ein besonderes Gefühl, die Menschen waren erwartungsvoll, dann war das Erste erst mal Habemus Papam, da hat man sich sehr gefreut, und als dann der Name verkündet wurde, da war man etwas ratlos, weil natürlich keiner den hier in Rom so richtig kannte! Aber sein erster Auftritt in aller Bescheidenheit, noch sehr viel bescheidener, als Papst Benedikt es damals gemacht hat, vor acht Jahren, ich denke, das hat die Menschen sehr schnell für ihn eingenommen!

Watty: Ja, keiner kannte ihn so richtig. Allerdings, für Insider müsste er schon ein Name gewesen sein, denn er ist ja kein richtig Neuer, er stand schon 2005 gegen Kardinal Ratzinger damals noch als Kandidat im Raume. Hat Sie persönlich auch die Wahl überrascht?

Weisner: Ja, es hat mich überrascht, dass es dann doch wieder vergleichsweise schnell ging, nach fünf Wahlgängen ist er gewählt worden. Aber das liegt wohl daran, dass er einfach vorher, im Vorkonklave, wo auch die älteren Kardinäle noch mitdiskutiert haben, dass da, denke ich, lange und intensiv drüber diskutiert worden ist. Und überrascht hat es mich schon, wir hatten aber auch gar keine Kandidaten selber auf der Liste. Denn es gibt im Augenblick, muss man ehrlicherweise sagen, keinen Kandidaten, der wirklich für Reformen steht, wie sie "Wir sind Kirche" einfordert.

Aber ich denke, man muss das in zwei Schritten sehen. Also, im Augenblick ist die römische Kurie an sich nicht mehr handlungsfähig und Papst Benedikt, obwohl er so lange in Rom war, ihm ist es nicht gelungen, hier die Zentralgewalt in Rom wirklich zu führen, die römische Kurie. Und das ist wirklich ein Kardinalskollegium mit Seilschaften, mit gegeneinander arbeiten - und andererseits auch Kommunikationsschwierigkeiten, eine Hand weiß nicht, was die andere tut. Also, das System an sich funktioniert nicht mehr. Und es muss an sich erst mal reformiert werden und solche Forderungen nach Transparenz, nach Aufklärung des Vatileaks-Skandals, nach Aufklärung, was mit der sexuellen Gewalt in der katholischen Kirche gewesen ist, nach der Aufklärung der Vatikanbank … Also, diese Forderungen, die werden ja von allen erhoben. Und dann machen wir das vielleicht manchmal deutlicher als "Wir sind Kirche" als der Vorsitz der Deutschen Bischofskonferenz oder Kardinal Kasper. Aber auch die sprechen von Transparenz und von mehr Kollegialität und mehr Bedeutung der Ortskirchen. Also, in vielem sind wir uns da einig!

Watty: Ja, da sind die Forderungen eben die schon bekannten von "Wir sind Kirche". Trauen Sie denn Franziskus irgendeine dieser Veränderungen oder vielleicht auch Reformen zu?

Weisner: Also, ich denke wirklich, in zwei Schritten muss man da denken! Also, dass er hoffentlich mehr Dialog einführt, hoffentlich mehr eine Öffnung zur Welt hat, dass er mehr Verständnis hat einfach für die Menschen, gerade auch für die Menschen, die in Südamerika in Armut leben, dass er einen bescheidenen Lebensstil wirklich führt … Ich glaube, diese Hoffnung kann man haben. Und man kann hoffen auch, dass er, jemand, der von außen hier in den Vatikan dann kommt, dass er hier einfach, indem er wichtige Posten neu besetzt, dass er wirklich eine neue, eine Reform in der römischen Kurie schafft.

Der zweite Schritt, die Reformen, die natürlich uns sehr wichtig sind, die Rolle der Frauen in der Kirche, auch die Frage des Pflichtzölibates, die Frage der Sexualmoral, und das ist ganz konkret, die Frage Familienplanung, das ist die Frage homosexueller Lebenspartnerschaften … Wie er da geht, da ist er traditionell sehr eingeordnet, das weiß man, aber man kann eigentlich auch nur da hoffen, dass, indem er hört, indem er wirklich bereit ist zu hören auf das Kirchenvolk, indem er bereit ist zu sehen, wie die Welt sich weiter läuft und entwickelt, dass er da bereit ist, auch Schritte zu gehen. Aber das ist natürlich noch ein ganz unbeschriebenes Blatt. Aber ich habe schon heute Nacht Kontakt nach Argentinien gehabt, zu unseren Partnergruppen in Argentinien, die sind natürlich erst mal sehr froh und sehen durchaus eine Hoffnung. Ich habe auch Kontakt gehabt zu Jesuiten, die sagen, das ist ein wichtiger Schritt jetzt wirklich für mehr Öffnung zur Welt. Und ich denke, das andere wird dann auch kommen.

Watty: Er sei ein politischer Seelsorger, kein theologischer Machthaber, so hat ihn wahrscheinlich ganz gut beschrieben das "Publik-Forum" heute im Bericht über diese Papstwahl. Und sein Anliegen ist, Sie haben das schon genannt, der Kampf gegen die Armut, seinen Namen hat er gewählt nach Franz von Assisi und er vertritt eine große Nähe zu den Menschen. Was weiß man denn sonst noch über ihn, über mögliche Pläne oder Neuausrichtungen, neben den Hoffnungen, die Sie jetzt zum Beispiel in ihn setzen?

Weisner: Ja, ich denke, das weiß man nicht und man weiß vor allem nicht, wie er sich hier in dem Vatikan wirklich verhalten wird. Ich denke, er ist im Vatikan schon sehr bekannt, denn sonst wäre er nicht vor acht Jahren schon so weit nach vorne gekommen. Er ist damals zurückgetreten und hat Ratzinger den Vortritt gelassen, aber ich glaube, das war wirklich für die Kirche eine schwierige, ich will nicht sogar sagen schlechte Entscheidung, denn damit ist natürlich im Grunde ein Pontifikat, von Johannes Paul II. und von Ratzinger, ein Pontifikat von theologischer Enge betrieben worden. Und ich kann also wirklich nur hoffen, dass er wieder mehr Weite in die katholische Kirche bringt, denn die katholische Kirche ist viel reicher auch an theologischen Vorstellungen. Und ich hoffe da sehr, dass er als Jesuit auch wieder eine Frische reinbringt in die katholische Kirche, denn die Jesuiten sind doch eigentlich ein aufgeschlossener Orden.

Ich will nur daran erinnern, dass es ein Jesuit war, Klaus Mertes, der im Canisius-Kolleg das angefangen hat, den sexuellen Missbrauch in Deutschland zu thematisieren! Also, von den Jesuiten geht auch ganz viel Positives aus, ich hoffe, dass er diese Dinge auch wirklich wahrnimmt! Er wird es nicht so schnell machen, wie wir alle das wollen, aber wir sollten ihm eine Chance geben!

Watty: Wir sprechen im "Radiofeuilleton" mit Christian Weisner, dem Sprecher der Reformbewegung "Wir sind Kirche" und wir reden natürlich über die Papstwahl und über den neuen Papst Franziskus. Der hinterlässt ja trotz allem bisher ein zwiespältiges Bild: Einerseits wirklich diese große Nähe zu den Menschen, andererseits eben auch weiterhin das Vertreten von konservativen Positionen. Zum Beispiel die Präsidentin von Argentinien hat ihm nur sehr verhalten gratuliert, mit ihr hat er sich im Punkt der homosexuellen Ehe überworfen, als Argentinien die 2010 eingeführt hat - da sagte er, die gleichgeschlechtliche Partnerschaft sei ein Angriff auf den Plan Gottes. Sie haben schon gesagt, Sie hoffen, dass er offen sein wird und zuhören wird, aber ist das wirklich eine Hoffnung, die realistisch ist, dass sich hier dann von seiner Seite aus wirklich was weiterentwickelt oder wirklich öffnet, gerade im Punkt der homosexuellen Ehe zum Beispiel?

Weisner: Ich glaube, das ist ein schwieriger Punkt und da dürfen wir uns wirklich also keine schnellen Hoffnungen machen. Und ich denke, vielleicht wird das nicht mal jetzt dieser Papst Francesco, Franziskus schaffen in seiner Zeit … Er ist 76 Jahre alt, er ist also nicht mehr der Allerjüngste, aber ich denke, das ist durchaus ein Vorteil, auch einen Älteren zu wählen, weil dann einfach auch bald wieder ein neuer Schritt kommt. Ich glaube, die katholische Kirche muss sich mit dem Thema Homosexualität selber auseinandersetzen, weil jetzt immer deutlicher wird – und das hat nichts mit den Pädophilieskandalen zu tun! –, aber es wird deutlich, viele Menschen in der katholischen Kirche, die dort ein Amt haben, auch einen Dienst haben, Priester, Ordensfrauen, sind selber homosexuell und leugnen das aber andererseits. Also, insofern, aus einer eigenen Sexualität ist ein großer Kampf gegen die Homosexualität. Ich denke, wir müssen da wirklich ein anderes Verhältnis dazu gewinnen!

Das ist kein leichter Prozess, denn das hat ja auch in den Staaten lange gedauert. Schauen Sie mal, wie lange war es in Deutschland verboten, homosexuell zu leben, wie lange war es in Deutschland, wie war das, sogar unter Todesstrafe, oder in anderen Ländern ist es noch unter Todesstrafe. Also, ich denke, man muss schrittweise die Menschen da auf diesem Weg mitnehmen und sagen, wenn sich Menschen im Vertrauen auch die Treue geben wollen, dann muss man auch diesen Weg sehen von Menschen, die einfach nur so lieben können und lieben wollen. Es ist ein langer Prozess, aber ich kann nur hoffen, dass wir an einem Wendepunkt sind und dass wir einen neuen Wendepunkt gehen. Es wird nicht alles auf einmal gehen und es geht nicht darum, die Wunschliste von "Wir sind Kirche" abzuarbeiten, aber wenn die katholische Kirche als Großkirche mit 1,2 Milliarden Menschen weltweit noch wieder gehört werden will, dann muss sie sich deutlich ändern. Sie muss sich deutlich ändern in ihrer Zentrale und noch viel mehr in ihren Ortskirchen, hier in Deutschland und in Südamerika!

Watty: Sie haben gerade schon das Alter des neuen Papstes angesprochen, 76 Jahre ist er alt, es wird natürlich jetzt schon über seinen Gesundheitszustand spekuliert. Und Sie haben gerade einen interessanten Satz gesagt, nämlich dieser alte Papst könnte auch ein Zeichen dafür sein, dass danach wieder was Neues kommt. Warten Sie jetzt schon auf den nächsten Papst?

Weisner: Ja, natürlich! Denn man muss sehen, also, jeder Papst gibt natürlich – und das ist dann wie ein Chefmanager von einem Großunternehmen –, gibt natürlich eine gewisse Richtung vor und leitet das Kirchenschiff, um den Vergleich zu nehmen, wie ein Kapitän auf einen neuen Kurs. Auf der anderen Seite muss man aber sagen, er kann es gar nicht alleine machen. Er hat einerseits eine Landkarte und das muss immer noch die Landkarte des Konzils sein, das zweite Vatikanische Konzil, wo wir jetzt 50 Jahre gerade zurück uns erinnern, dieses Konzil hat auf Dialog gesetzt, hat auf mehr Reform gesetzt, hat auf mehr Öffnung zur Welt gesetzt, Öffnung zu den anderen Religionen, Stichwort … Das sind alles schon wichtige Schritte, die angepackt werden müssen, die Papst Benedikt nur schlecht gemacht hat, sage ich mal vorsichtig. Und dann ist er angewiesen auf gute Berater und hoffentlich auch … Denn das war wohl das Schlimmste von Papst Benedikt, dass er keine guten Berater hatte.

Watty: Danke schön! Das war Christian Weisner, der Sprecher von "Wir sind Kirche", zur Papstwahl und mit seiner ersten Einschätzung zum neuen Papst Franziskus, hier im Radiofeuilleton!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.


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