Papst und Dalai Lama

Gottes Global Player driften auseinander

Eine Collage mit Papst Franziskus und der Dalai Lama - beide lachend
Papst Franziskus und der Dalai Lama © picture alliance / dpa / Ole Spata
Von Uwe Bork |
Der Papst und der Dalai Lama - beide religiösen Oberhäupter kennen nicht nur die Sonnenseiten des Lebens und beide wissen um ihre Macht. Der eine jedoch wird immer politischer, während sich der andere zum altersweisen Guru entwickelt, meint der Autor und Filmemacher Uwe Bork.
Der eine gilt seinen Anhängern als Stellvertreter Gottes auf Erden, der andere sogar als eine Art Gott zum Anfassen. Meinen Respekt haben beide.
Denn der eine hat eine Diktatur überlebt, unter der rund 30.000 Menschen entführt, gefoltert oder ermordet wurden. Er kennt die Not in den südamerikanischen Favelas ebenso wie das Flüchtlingselend Arabiens oder Afrikas und debattiert darüber furchtlos mit Demokraten wie mit Diktatoren.
Und der andere? Auch der kennt die Gassen unten wie den Glamour oben. Zu seinen Gläubigen zählen berühmte Stars, aber auch Bauern und Handwerker. Schon als Vierjähriger wurde er zum Gottkönig gekrönt, musste dann als junger Mann aber vor den chinesischen Besatzern seines Landes fliehen. Seitdem lebt er im Exil.
Der Papst und der Dalai Lama, beide haben sie eine Geschichte, die nicht nur auf den Sonnenseiten des Lebens spielt. Es hieße, sie zu unterschätzen, würde man sie für naiv halten und als freundliche alte Männer abtun, deren Lachen mittlerweile zum Weltkulturgut gehört. Als die wohl einflussreichsten religiösen Führer der Gegenwart wissen beide meiner Meinung nach sehr genau, worauf es in der Öffentlichkeit ankommt, was sie selbst bewegen müssen, damit sich anderswo etwas bewegt.
Viel Zeit fürs Spirituelle
Und plötzlich zeigen sich die Unterschiede: Während der 14. Dalai Lama sich nach Abgabe seiner politischen Funktionen immer mehr zum altersweisen Guru spirituell unausgefüllter Westler entwickelt, wird der derzeitige Pontifex immer politischer. Geradezu mit Genuss eröffnet er den mehr als 1,2 Milliarden Katholiken auf der Welt immer neue Perspektiven, und die sind nicht nach innen gerichtet wie bei seinem von ihm durchaus geschätzten Kollegen im goldenen Orange eines tibetanischen Mönchs.
Während der etwa sagt: "In meinem Alltag verbringe ich 80 Prozent meiner Zeit mit spirituellen Aktivitäten und nur 20 Prozent damit, mich um Tibet zu kümmern", drängt es Franziskus vornehmlich an die diversen Ränder der Gesellschaft.
Mit dem Hintergrund eines engagierten argentinischen Jesuiten baut er an seiner Kirche dort, wo die materielle Not oft größer ist als die seelische, wo diese Kirche aber auch nach wie vor wächst: nicht mehr im saturierten Europa, sondern in Südamerika, in Afrika und in Asien.
Dieser Papst weiß sehr genau, was er will. Schon im Jahr 2005 wies Franziskus – damals noch Kardinal von Buenos Aires – in einem Buch beispielsweise seiner Heimat Lateinamerika die Rolle einer "dritten Kraft" zwischen Kommunismus und Kapitalismus zu. Ihm schwebte damals eine Art EU für Süd- und Mittelamerika vor, die den Staaten des Westens ebenso wie Russland und China eine neue Einigkeit für mehr Menschlichkeit entgegensetzen sollte.
Ungestüm und abgeklärt
Ähnliches zeigte sich jüngst auch auf den Philippinen. In der Kraft seiner Argumente durch einen Tropensturm wirkungsvoll unterstützt, verband der Papst hier die Forderung nach einer ökonomischen Kehrtwende mit der für eine ökologische Umkehr. Er tat das offenbar bewusst in einem Land, dessen Kirche – wie sie nicht zuletzt beim Sturz des Marcos-Regimes demonstrierte – normalerweise das bekommt, was sie verlangt.
Die Unterschiede liegen für mich deutlich auf der Hand: Glaubt man dem Papst, können die Religionen eine enorme Kraft entwickeln, die Welt zum Positiven zu verändern, sie haben deshalb aber auch die Pflicht, diese Kraft zu nutzen. Der Dalai Lama, nur wenig älter als Franziskus, wirkt gegen so viel Ungestüm geradezu abgeklärt, wenn er etwa anregt: "Zorn über andere hilft wenig, stattdessen sollten wir dafür sorgen, dass wir uns selbst ändern."
"Richtig", höre ich Franziskus darauf antworten, "als erster Schritt wäre das nicht schlecht." Recht hat er, finde ich.
Uwe Bork, seit 1998 Leiter der Fernsehredaktion 'Religion, Kirche und Gesellschaft' des Südwestrundfunks in Stuttgart
Uwe Bork, seit 1998 Leiter der Fernsehredaktion 'Religion, Kirche und Gesellschaft' des Südwestrundfunks in Stuttgart© Deutschlandradio

Uwe Bork, geboren 1951, ist seit 1998 Leiter der Fernsehredaktion "Religion, Kirche und Gesellschaft" des Südwestrundfunks in Stuttgart. Für seine Arbeiten wurde er unter anderem mit dem Caritas-Journalistenpreis sowie zweimal mit dem Deutschen Journalistenpreis Entwicklungspolitik ausgezeichnet.
Außer seinen Filmen hat Uwe Bork auch mehrere Bücher veröffentlicht.

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