Papst von vorgestern
In der Anthologie "Rolle rückwärts mit Benedikt" kritisieren Theologen und Journalisten die Entwicklung der katholischen Kirche unter Benedikt XVI. Ob an seiner Annäherung an die Pius-Bruderschaft oder am Ausschluss der Frauen für das Priesteramt zeige sich die rückschrittliche Haltung des Papstes.
Der Sammelband mit Artikeln von namhaften Theologen wie Hans Küng und Jürgen Moltmann, Hermann Häring und Ida Raming entspringt der Sorge um die Zukunft der katholischen Kirche. Denn der eh schon steife Vatikan, so der Titel, probt die Rolle rückwärts. Er will allem Anschein nach zurück in die Zeit vor dem Zweiten Vatikanum. Bestes Beispiel: Benedikts Umgang mit der Karfreitagsbitte für die Juden.
Hierzu schildert kurz und prägnant Johannes Brosseder, katholischer Theologieprofessor mit Schwerpunkt Ökumene, die Entwicklung der vergangenen 50 Jahre. Mit der Konzilserklärung "Nostra aetate" - lateinisch für "In unserer Zeit" - aus dem Jahr 1965 schlägt die katholische Kirche "ein völlig neues Kapitel" auf für die christlich-jüdischen Beziehungen. Eingestanden wird die christliche Schuld gegenüber den Juden, verurteilt werden Antijudaismus und Antisemitismus.
Eine Folge der theologischen Kehrtwende ist ein "gänzlich neues Karfreitagsgebet für die Juden in der Gottesdienstreform von 1970". Man betet fortan weder für die "treulosen Juden" (so bis 1960) noch betont man deren "Verblendung" (bis 1965). Vielmehr heißt es nun: "Lasst uns auch beten für die Juden, zu denen Gott, unser Herr, zuerst gesprochen hat..."
Mitte 2007 lässt Benedikt XVI. die tridentinische Messe wieder zu als außerordentlichen Ritus in der Fassung von 1962. Zwar streicht er die alte judenfeindliche Fürbitte. Doch fügt er nicht die aktuelle, derzeit gebräuchliche ein. Nein, Benedikt verfasst einen neuen Text: "Lasst uns auch beten für die Juden, auf dass Gott unser Herr ihre Herzen erleuchte, damit sie Jesus Christus als den Retter aller Menschen erkennen..."
Das, so Brosseder, stellt einen Rückfall in antijüdisches Denken vor dem Zweiten Vatikanum dar. Rolle rückwärts! Denn wieder wird indirekt behauptet: Die Juden sind verblendet. Weder sind sie erleuchtet, noch sind sie zur Erkenntnis der Wahrheit gelangt. Nach wie vor "wird ihre Bekehrung zu Jesus Christus erwartet".
All das ist kein Einzelfall, wie Christian Modehn nachzeichnet. Der freie Journalist geht im Artikel "Alles, was rechts ist..." auf die politisch-theologischen Optionen Joseph Ratzingers ein und führt viele Beispiele an für das konservative Denken und Handeln des jetzigen Papstes.
Erstes Beispiel: Ratzinger ist Mitbegründer der theologischen Zeitschrift "Communio". Die versteht sich als Gegenprogramm zur progressiven Zeitschrift "Concilium". In der arbeiten Theologen an der Fortschreibung des Reformkonzils. Zweites Beispiel: Unter Erzbischof Ratzinger bleibt dem Theologen Johann Baptist Metz, Sympathisant der Befreiungstheologie, der Münchner Lehrstuhl für Fundamentaltheologie verwehrt.
Konservativ steht für Modehn im Blick auf den jetzigen Papst "als Symbol für antifeministisch, antiemanzipatorisch, für schwulenfeindlich, für eher antikökumenisch und 'mit Vorbehalt demokratisch'". Diese These unterstreichen weitere Artikel. Dazu zwei, drei Beispiele:
Antifeministisch erweist sich Benedikt mit der Behauptung, die spezifische Sendung der Frau liege in ihrer Berufung zur Mutterschaft und Jungfräulichkeit. Für Ida Raming - sie publizierte 1973 ihre Doktorarbeit über den "Ausschluss der Frau vom priesterlichen Amt" - sind Frauen zu mehr berufen, in der katholischen Kirche etwa auch zum Priestertum. Daher lässt sie sich 2002 "contra legem" ("gegen das Gesetz") zur Priesterin weihen.
Ein Unding für Ratzinger. Denn als Präfekt der Glaubenskongregation liefert er 1994 die theoretische Grundlage für das Apostolische Schreiben Johannes Paul II. mit dem programmatischen Titel "Über die nur Männern vorbehaltene Priesterweihe". Dabei ignoriert er weite Teile der theologischen Forschung.
Doch schließt sich hier der Kreis. Denn schon 1964 schrieb der Theologieprofessor Ratzinger an "Fräulein Ida Raming", dass er sich "für ein weibliches Presbyterat nicht einsetzen werde."
Die Privatdozentin Andrea Günter, promovierte Philosophin und Theologin, verdeutlicht: Die Geschlechterbilder des Papstes und dessen "Vorstellungen über Sexualität, Fortpflanzung und Eheleben" entstammen dem Bürgertum des 18. und 19. Jahrhunderts. Sie verhindern "die große spirituelle Idee des Christentums, dass die Beziehungen der Menschen ständig erneuert werden können und müssen, die Liebe also nicht mit einer bestimmten Form - der Ehe, dem Brautstand - verwechselt werden darf".
Antiemanzipatorisch zeigt sich Benedikt mit seinem Generalverdacht gegenüber allen Freiheitsbewegungen. Denn der Papst, so Norbert Copray, ehrenamtlicher Herausgeber der kritischen Zeitschrift "Publik-Forum", denkt dabei in erster Linie an das Verlangen der Menschen, "endlich wie Gott zu sein, von nichts und niemandem abhängig".
Für Benedikt ist Freiheit "nur in der Wahrheit" möglich. Die legt das katholische Lehramt endgültig und verbindlich fest. Dessen Programm fasst Copray so zusammen: Die Hybris der Vernunft und die Pathologien der Religion lassen sich nur "in einem geordneten Zueinander von Vernunft (=Aufklärung) und Religion (=Christentum) in der Interpretation des katholischen Lehramts (!) meistern". Darum hat sich schon der Präfekt der Glaubenskongregation 20 Jahre lang bemüht.
In "Rolle rückwärts mit Benedikt" tragen Norbert Sommer und Thomas Seiterich 25 gut lesbare Artikel zusammen. Die drehen sich - mal kürzer, mal länger - um Joseph Ratzinger und zeigen dessen theologische Entwicklung auf, vom Theologieprofessor zum Bischof und Kardinal, vom Präfekten der Glaubenskongregation zum Papst.
Dank vieler Hintergrundinformationen zum Selbstverständnis und zur Amtsführung von Benedikt XVI. entsteht für alle, die sich mit "Wir sind Papst!" nicht begnügen wollen, ein buntes und vielfältiges Mosaik. Es zeigt ein differenziertes Papst-Bild und lässt rote Fäden erkennen: So gesehen ist die Aufhebung der Exkommunikation von vier Bischöfen der Piusbruderschaft weder Ausnahme noch Versehen.
Besprochen von Thomas Kroll
Norbert Sommer / Thomas Seiterich (Hg.): Rolle rückwärts mit Benedikt. Wie ein Papst die Zukunft der Kirche verbaut
Publik-Forum Verlagsgesellschaft, Oberursel 2009
222 Seiten, 15,90 Euro
Hierzu schildert kurz und prägnant Johannes Brosseder, katholischer Theologieprofessor mit Schwerpunkt Ökumene, die Entwicklung der vergangenen 50 Jahre. Mit der Konzilserklärung "Nostra aetate" - lateinisch für "In unserer Zeit" - aus dem Jahr 1965 schlägt die katholische Kirche "ein völlig neues Kapitel" auf für die christlich-jüdischen Beziehungen. Eingestanden wird die christliche Schuld gegenüber den Juden, verurteilt werden Antijudaismus und Antisemitismus.
Eine Folge der theologischen Kehrtwende ist ein "gänzlich neues Karfreitagsgebet für die Juden in der Gottesdienstreform von 1970". Man betet fortan weder für die "treulosen Juden" (so bis 1960) noch betont man deren "Verblendung" (bis 1965). Vielmehr heißt es nun: "Lasst uns auch beten für die Juden, zu denen Gott, unser Herr, zuerst gesprochen hat..."
Mitte 2007 lässt Benedikt XVI. die tridentinische Messe wieder zu als außerordentlichen Ritus in der Fassung von 1962. Zwar streicht er die alte judenfeindliche Fürbitte. Doch fügt er nicht die aktuelle, derzeit gebräuchliche ein. Nein, Benedikt verfasst einen neuen Text: "Lasst uns auch beten für die Juden, auf dass Gott unser Herr ihre Herzen erleuchte, damit sie Jesus Christus als den Retter aller Menschen erkennen..."
Das, so Brosseder, stellt einen Rückfall in antijüdisches Denken vor dem Zweiten Vatikanum dar. Rolle rückwärts! Denn wieder wird indirekt behauptet: Die Juden sind verblendet. Weder sind sie erleuchtet, noch sind sie zur Erkenntnis der Wahrheit gelangt. Nach wie vor "wird ihre Bekehrung zu Jesus Christus erwartet".
All das ist kein Einzelfall, wie Christian Modehn nachzeichnet. Der freie Journalist geht im Artikel "Alles, was rechts ist..." auf die politisch-theologischen Optionen Joseph Ratzingers ein und führt viele Beispiele an für das konservative Denken und Handeln des jetzigen Papstes.
Erstes Beispiel: Ratzinger ist Mitbegründer der theologischen Zeitschrift "Communio". Die versteht sich als Gegenprogramm zur progressiven Zeitschrift "Concilium". In der arbeiten Theologen an der Fortschreibung des Reformkonzils. Zweites Beispiel: Unter Erzbischof Ratzinger bleibt dem Theologen Johann Baptist Metz, Sympathisant der Befreiungstheologie, der Münchner Lehrstuhl für Fundamentaltheologie verwehrt.
Konservativ steht für Modehn im Blick auf den jetzigen Papst "als Symbol für antifeministisch, antiemanzipatorisch, für schwulenfeindlich, für eher antikökumenisch und 'mit Vorbehalt demokratisch'". Diese These unterstreichen weitere Artikel. Dazu zwei, drei Beispiele:
Antifeministisch erweist sich Benedikt mit der Behauptung, die spezifische Sendung der Frau liege in ihrer Berufung zur Mutterschaft und Jungfräulichkeit. Für Ida Raming - sie publizierte 1973 ihre Doktorarbeit über den "Ausschluss der Frau vom priesterlichen Amt" - sind Frauen zu mehr berufen, in der katholischen Kirche etwa auch zum Priestertum. Daher lässt sie sich 2002 "contra legem" ("gegen das Gesetz") zur Priesterin weihen.
Ein Unding für Ratzinger. Denn als Präfekt der Glaubenskongregation liefert er 1994 die theoretische Grundlage für das Apostolische Schreiben Johannes Paul II. mit dem programmatischen Titel "Über die nur Männern vorbehaltene Priesterweihe". Dabei ignoriert er weite Teile der theologischen Forschung.
Doch schließt sich hier der Kreis. Denn schon 1964 schrieb der Theologieprofessor Ratzinger an "Fräulein Ida Raming", dass er sich "für ein weibliches Presbyterat nicht einsetzen werde."
Die Privatdozentin Andrea Günter, promovierte Philosophin und Theologin, verdeutlicht: Die Geschlechterbilder des Papstes und dessen "Vorstellungen über Sexualität, Fortpflanzung und Eheleben" entstammen dem Bürgertum des 18. und 19. Jahrhunderts. Sie verhindern "die große spirituelle Idee des Christentums, dass die Beziehungen der Menschen ständig erneuert werden können und müssen, die Liebe also nicht mit einer bestimmten Form - der Ehe, dem Brautstand - verwechselt werden darf".
Antiemanzipatorisch zeigt sich Benedikt mit seinem Generalverdacht gegenüber allen Freiheitsbewegungen. Denn der Papst, so Norbert Copray, ehrenamtlicher Herausgeber der kritischen Zeitschrift "Publik-Forum", denkt dabei in erster Linie an das Verlangen der Menschen, "endlich wie Gott zu sein, von nichts und niemandem abhängig".
Für Benedikt ist Freiheit "nur in der Wahrheit" möglich. Die legt das katholische Lehramt endgültig und verbindlich fest. Dessen Programm fasst Copray so zusammen: Die Hybris der Vernunft und die Pathologien der Religion lassen sich nur "in einem geordneten Zueinander von Vernunft (=Aufklärung) und Religion (=Christentum) in der Interpretation des katholischen Lehramts (!) meistern". Darum hat sich schon der Präfekt der Glaubenskongregation 20 Jahre lang bemüht.
In "Rolle rückwärts mit Benedikt" tragen Norbert Sommer und Thomas Seiterich 25 gut lesbare Artikel zusammen. Die drehen sich - mal kürzer, mal länger - um Joseph Ratzinger und zeigen dessen theologische Entwicklung auf, vom Theologieprofessor zum Bischof und Kardinal, vom Präfekten der Glaubenskongregation zum Papst.
Dank vieler Hintergrundinformationen zum Selbstverständnis und zur Amtsführung von Benedikt XVI. entsteht für alle, die sich mit "Wir sind Papst!" nicht begnügen wollen, ein buntes und vielfältiges Mosaik. Es zeigt ein differenziertes Papst-Bild und lässt rote Fäden erkennen: So gesehen ist die Aufhebung der Exkommunikation von vier Bischöfen der Piusbruderschaft weder Ausnahme noch Versehen.
Besprochen von Thomas Kroll
Norbert Sommer / Thomas Seiterich (Hg.): Rolle rückwärts mit Benedikt. Wie ein Papst die Zukunft der Kirche verbaut
Publik-Forum Verlagsgesellschaft, Oberursel 2009
222 Seiten, 15,90 Euro