Hexerei im Paradies
Der Glaube an die Schwarze Magie nimmt in Papua-Neuguinea wieder zu – auch wegen der Modernisierung des fernöstlichen Staates. Schätzungen zufolge werden jährlich hunderte Menschen ermordet, weil sie für Hexen gehalten werden.
Papua-Neuguinea im Hochland, hier kämpfen sich die Sattelschlepper die Serpentinen des Highland Highway hoch; sie versorgen das Erdgasprojekt von Exxon Mobil mit Baumaterialien. Im Schatten der Bäume steht eine kleine alte Frau tief gebeugt am Straßenrand. Sie trägt die traditionelle Kleidung des Hela-Volkes:
"Die Männer kamen mit Macheten und jagten mich. Ich weiß nicht, warum, plötzlich kam es zu diesem Ausbruch von Gewalt in meinem Dorf. Sie sagten, ich hätte sie verhext und das Dorf mit einem Fluch belegt. Ich lebe allein und sie haben mich als Hexe bezeichnet und mich verletzt. Meine Hand musste dann in der Klinik in Tari operiert werden."
Die Frau war Opfer einer so genannten Hexenjagd. Ein Problem, das besonders im Hochland wieder stark zunimmt. Allein lebende Frauen werden schnell beschuldigt, für alle möglichen Schicksalsschläge verantwortlich zu sein: Krankheit, Tod oder gar Missernten, alles wird den Hexen in die Schuhe geschoben. Gegen den Brauch der Hexerei wurde bereits 1971 in Papua-Neuguinea das "Zauberei-Gesetz" erlassen.
Seitdem es in Kraft ist, ist die Ausübung von Sanguma-Magie in Papua-Neuguinea ausdrücklich verboten. Das Problem ging auch in den 80er-Jahren zurück. Weil es viele gewaltvolle Übergriffe im Namen von Sanguma gab, wurde das Gesetzt gerade nochmals verschärft. Denn im Zuge des Rohstoffbooms wurden viele Menschen entwurzelt, und nun klammern sie sich an den althergebrachten Aberglauben und praktizieren ihn zunehmend. Viele Opfer können davon berichten:
"Nur in Tari Krankenkennhaus sind die Ärzte, die uns noch helfen und manchmal finden wir in den Kirchen Unterschlupf, und die Pastoren stellen sich schützend vor uns. Sie können den aufgebrachten Mob beruhigen."
"Die Stimmung ist sehr aufgeheizt"
Es trifft meist Frauen, wie das Opfer sagt, die dann im Krankenhaus in Tari behandelt werden. Die internationale Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen betreibt dort extra für die Opfer von Gewalt eine Klinik. Bereits auf dem Weg zur Klinik mehren sich die Anzeichen der Gewalt. Diese ist anscheinend ein Teil der Alltagskultur geworden. Und selbst die lokale Polizei fühlt sich nicht mehr sicher, wie Joe, der Fahrer, auf ein abgebranntes Autowrack weisend, erklärt:
"Jeden Tag sterben hier Menschen an der Landstraße des Hochlandes, die Stimmung ist sehr aufgeheizt. Die Menschen haben keinen Halt mehr. Hier sehen Sie das Polizeiauto, das wurde von der aufgebrachten Menge angezündet."
Oft haben die Polizisten selbst Angst, verzaubert zu werden und schützen die verfolgten Frauen nicht, oder sie sind einfach machtlos gegenüber einem aufgebrachten Mob, der mit Macheten und Gewehren bewaffnet ist. Auch vor dem Krankenhaus tragen Menschen Macheten, Speere und Gewehre. Obwohl auf großen Warnschildern steht: "Macheten und Maschinengewehre sind in der Klinik verboten". Dr. Chanti von Ärzte ohne Grenzen ist heute der diensthabende Ärztin:
"Seit 2012 betreiben wir von Ärzte ohne Grenzen hier ein Programm gegen Gewalt. Besonders betroffen sind Frauen, die wir in einer besonderen Frauenklinik behandeln. ...maternal ward"
Dr. Chantie sitzt in ihrem kleinen stickigen Büro. Die erfahrene indische Ärztin erklärt weiter, dass das Krankenhaus in Tari die einzige Klinik in Umkreis von einigen hundert Kilometern ist. Das Problem der Gewalt hat solche epidemischen Ausmaße angenommen, dass "Ärzte ohne Grenzen" hier dieses große Hilfsprogramm betreiben. Andere drängende Krankheiten wie Malaria, Tuberkulose oder Aids werden hier nicht behandelt, wie sie erklärt:
"Ärzte ohne Grenzen ist nicht hier, um Infektionskrankheiten zu behandeln. Wir helfen den Opfern von Gewalt. Wir machen hier Operationen und helfen bei den psychischen Folgen und Traumata. Die Zahl der Gewaltopfer hat in der letzten Zeit stark zugenommen, sonst würden wir hier wohl nicht solch ein aufwändiges Programm betreiben. Andere Krankheiten behandeln wir hier nicht."
"Hat sie einen Fluch auf die Familie gelegt?"
Warum nehmen gerade in dieser Region diese eruptiven Gewaltexzesse so zu? Um mehr darüber zu erfahren, reise ich tiefer ins unerschlossene Hochland von Papua-Neuguinea. Bald geht es nicht mehr weiter. Auf der Straße hat sich eine große aufgebrachte Menschenmenge versammelt.
"In unserem Dorf ist der evangelische Pastor plötzlich verstorben. Vor ein paar Wochen ging es ihm noch gut, und plötzlich wurde er unerklärlicherweise krank. Am Dorfrand lebte eine Frau, die sich mit Kräutern auskannte, sie behandelte den Mann. Vielleicht ist sie eine Hexe. Hat sie einen Fluch auf die Familie gelegt?"
Auch hier war wohl Sanguma am Werk, also eine Hexe, so sagen die aufgebrachten Leute. Gibt es bald wieder ein Opfer dieses Aberglaubens? Viele Menschen werden durch diesen Aberglauben verdächtigt, am Unglück der Menschen schuld zu sein: Die angeblichen Hexen werden dann willkürlich stigmatisiert, gefoltert und getötet. Sie haben angeblich mit „schwarzer Magie" oder dem „bösen Blick" den Tod eines Menschen verursacht oder eine Krankheit ins Dorf gehext. Sangumas werden verantwortlich gemacht für schlechte Ernten, Unfälle, Ehebruch und Diebstahl - alles wird auf Hexen geschoben. Tritt ein Unglück ein, setzen sich die Clans und Familien zusammen und bestimmen, wer dafür büßen muss. Meistens sind es alleinstehende Frauen, Witwen, Kranke, Eigenbrötler.
Auch der deutsche Pastor Uwe Hummel kennt das Problem von seiner Lehrtätigkeit am theologischen Seminar. Er unterrichtet am Lutheran-Highlands Seminar in Ogelbeng. Auch er wurde zu den Trauerfeierlichkeiten gerufen. Mit seiner Körpergröße von 1 Meter 80 ragt er deutlich sichtbar aus der Menge der Trauernden. Ein brauner Filzhut schützt ihn vor der aggressiven Sonne.
"Magie und Geisterglaube, hier sagt man Sanguma. Naposim, das spielt ständig eine Rolle. Gerade, wenn jemand stirbt, beherrscht das das Denken der Menschen."
Glaube an die traditionellen Mythen tief verankert
In Papua-Neuguinea rechnen sich 96 Prozent zu den Christen, trotzdem spielt Geisterglaube auch in den christlichen Gemeinden zunehmend eine Rolle, so Pastor Hummel. Am theologischen Seminar wird er oft mit dem Glauben an Hexerei konfrontiert. Auch bei seinen Theologie-Studenten ist der Glaube an die traditionellen Mythen tief in ihren melanesischen Glaubenswelten verankert.
"Wir hatten in den letzten Jahren einige Todesfälle gehabt auf dem Campus, und sofort gibt es irgendwelche, die dann sagen, dass war Sanguma - das war Hexerei. Da hat ein Feind oder ein Konkurrent diese Person verhext, so dass sie dann eines frühen Todes gestorben ist."
Dr. Hummel unterstreicht, dass es aber auch viele positive Mythen und alte Heilmethoden gibt. Zum Beispiel schätzt er auch die lokalen Heilkräuter, die er von erfahrenen Heilern bekommt.
"Nicht alles, was mit Sanguma in Zusammenhang gebracht wird, ist immer schlecht. Auch diese Kenntnis - die natürlich oftmals bei älteren Leuten vorhanden ist - die dann ganz schnell unter Verdacht stehen, Sanguma zu sein."
Dr. Hummel sagt, dass es eine große Herausforderung und eine schwierige Gratwanderung für die Landeskirche in Papua-Neuguinea ist: Einerseits die guten melanesischen Traditionen zu wahren - und andererseits den Aberglaube des Sanguma zu verdammen. Meist beginnen die Probleme, wenn die intakten Dorfstrukturen durch die rasante Entwicklung zerbrechen und die Menschen mit neuen Problemen konfrontiert werden.
Auch die trauernde Familie des Pastors glaubt an Hexerei.
"Wir denken, mein Bruder ist von ihr verhext worden."
Eine andere Frau der Trauergemeinde fügt hinzu:
"Der Doktor kam und sagte, der Mann ist an Tuberkulose gestorben, aber wir glauben das nicht."
Aufklärungsarbeit zu leisten
Neue Infektionskrankheiten, wie AIDS und TB, sind in Papua-Neuguinea auf dem Vormarsch; da sind die alten Heilmethoden wirkungslos. Oft kennen die Menschen die Symptome von diesen fremden Krankheiten nicht. Sie bekommen Angst, suchen Antworten und flüchten in die Geisterwelt. Experten sehen in der starken Zunahme der Hexenjagden ein „Überdruckventil des Ohnmachtsgefühls" gegenüber dem hereinbrechenden Wandel in die Moderne; der globale Rohstoffboom krempelt das ressourcenreiche Papua-Neuguinea in dramatischem Tempo um. Zu schnell, wie ein Mann des Dorfrates erklärt.
"Vom Geld aus den Minenprojekten sind nur einige gesegnet. Dann entsteht Missgunst und Neid bei den anderen, der mit Alkohol, Drogen kompensiert wird. Die Dorfstrukturen zerfallen, und die alten Regeln des Respekts sowie die Achtung vor uns Älteren gelten nun nicht mehr. Ohne diese melanesischen Werte kommt es schnell zu Unruhen. Menschen flüchten in merkwürdige Kulte, und so können sie dann die Gewalt rechtfertigen."
Das kann auch Pastor Uwe Hummel bestätigen:
"Andererseits kommt es natürlich immer wieder auch zu Hetzjagden auf so genannten Sagumas, auf Hexen. Ganz oft liest man es auch in der Zeitung, dass gerade ältere Frauen dann getötet zu werden, weil sie als Saguma verdächtigt werden."
Und der deutsche Pastor sieht hier eine große Aufgabe für die Kirche:
"Das ist eine große Aufgabe der Kirchen, dort Aufklärungsarbeit zu leisten und auch diese Menschen konkret in Schutz zu nehmen. Oft ist es so, dass sich niemand traut, diese Menschen in Schutz zu nehmen."