Parabel über Glück und Zufall

Von Jörg Taszman |
Vor kurzem feierte Woody Allen seinen 70. Geburtstag, doch statt milder Alterswerke liefert der "Stadtneurotiker" überraschende Filme wie "Match Point" ab. Dieser wurde komplett in Europa gedreht und ist keine der üblichen netten Allenschen Komödien geworden, sondern eine Parabel über das Glück und den Zufall.
Im London von heute mit seinen klar ausgeprägten Klassengegensätzen versucht sich der Ex-Tennisprofi Chris - ein gebürtiger Ire - als Trainer für die Söhne und Töchter der "upper middle class", also der leicht gehobenen Gesellschaft. Schnell freundet er sich mit Tom Hewett, einem smarten Engländer mit wohlhabenden Eltern, an.

Chris verwendet viel Mühe darauf, in der feineren Gesellschaft zu punkten. So liest er Dostojewskis "Schuld und Sühne", geht in die Oper und lernt bei "La Traviata" die Schwester von Tom - Chloe - kennen, die sich schnell in den mittellosen, charmanten, jungen Mann verliebt.

Als Chris aufs Landhaus der Hewetts eingeladen wird, trifft er beim Tischtennis auf die Amerikanerin Nola, eine arbeitslose Schauspielerin und Verlobte seines Freundes Tom.

Filmszene:
"Darf ich mal?
- Bitte.
Sie müssen sich reinlegen und ziehen den Ball dann durch.
- Eigentlich konnte ich das schon ganz gut und jetzt tauchen Sie auf.
Das Drama meines Lebens. Verraten Sie mir, was treibt eine wunderschöne, amerikanische Pingpong-Spielerin im Kreis der britischen Oberschicht?
- Hat ihnen schon einmal jemand gesagt, dass Sie ein unglaublich aggressives Spiel spielen?
Hat ihnen schon einmal jemand gesagt, dass Sie unglaublich sinnliche Lippen haben?
- Extrem aggressiv.
Der Wettkampf liegt mir im Blut. Ist das unangebracht?
- Darüber muss ich einmal nachdenken. "

Chris und Nola verbindet ihre gemeinsame Herkunft aus einfachen Verhältnissen, ihr Wunsch nach einem süßeren Leben. Beide stellen die Karriere über ihr Privatleben und flirten zunächst heftig miteinander, ohne sich wirklich gefährlicheren Leidenschaften hinzugeben.

Nola wird verkörpert von einer zunächst hinreißend sexy spielenden Scarlett Johansson, die nach so eindrucksvollen Leinwandauftritten wie in "Lost in Translation" oder "Das Mädchen mit dem Perlenohrring" erneut ihr gutes Händchen für wichtige Rollen beweist. Scarlett Johansson über die Zusammenarbeit mit Woody Allen:

"Woody hat eine sehr eigenwillige Art, wenn es um den visuellen Look geht. Damit will ich nicht sagen, dass es ihm weniger wichtig ist, wie man in einer Szene spielen soll, aber er ist da nicht so besessen. Wenn schauspielerisch etwas nicht gelungen ist, dreht man nach ein paar Tagen die Szene einfach noch einmal. Wenn Nola zum ersten Mal im Film auftaucht, dann sieht man sie Ping Pong spielen und Woody war dieser erste Eindruck, der Look von Nola, so ungemein wichtig. Ich probierte drei verschiedene Kleider aus und trug meine Haare viermal unterschiedlich. Wir drehten diese Szene immer und immer wieder. "

Zurecht gilt Woody Allen nicht nur als brillanter Autor, sondern auch als hervorragender Schauspielregisseur, der sehr oft mit bekannten Stars arbeitet, die für ihn auf den Großteil ihrer Gage verzichten. Im Gegenzug entlockt Allen ihnen dann meist ganz andere Facetten ihrer Schauspielkunst in kleinen aber feinen Nebenrollen.

Unvergesslich ist beispielsweise ein wüst polternder Leonardo di Caprio als verzogener Star in "Celebrity"; der immer nur unscharf ins Bild gerückte Robin Williams in "Deconstructing Harry" oder eine singende Julia Roberts im Fast-Musical "Everyone says I love you".

Und nachdem Woody Allen seinen langjährigen Partnerinnen Diane Keaton und Mia Farrow die Rollen immer direkt auf den Leib schrieb, scheint er in Scarlett Johansson eine neue Muse gefunden zu haben. Nach "Match Point" drehte er bereits einen weiteren Film mit der erst 21-jährigen New Yorkerin, die er in den höchsten Tönen lobt.

"Scarlett hat alles. Sie ist schön, jung, sexy - eine wunderbare Schauspielerin. Sie strahlt Sinnlichkeit und Intelligenz aus, kann witzig sein, aber auch dramatische Szenen spielen. So flog sie einmal eine ganze Nacht lang und kam in London um 7 Uhr früh an den Drehort. Sie hatte nicht geschlafen und spielte eine komplizierte, dramatische Szene und war brillant. Es würde mich auch nicht überraschen, wenn sie singen und tanzen würde und nebenbei noch ein paar Kartentricks. Sie ist großartig."

So sinnlich, so leidenschaftlich und tragisch wie in "Match Point" hat man Scarlett Johansson noch nicht gesehen. Denn Nola wird, nachdem Tom sie fallen lässt, zur Geliebten von Chris, der allerdings Chloe geheiratet hat. Und nun muss sich der arrivierte Dandy zwischen zwei Frauen entscheiden und zögert dies bis zu einer überraschenden Kurzschlußhandlung lange heraus.

Woody Allen läuft in "Match Point" wieder zu ganz großer Form auf, nachdem er mit seinen letzten Filmen wie "Hollywood Ending", der nie in Deutschland zu sehen war, oder "Anything Else" und "Melinda und Melinda" ein wenig enttäuschte. Sein Blick auf eine Gesellschaft, in der Attitüden mehr zählen als Charakter und in der das Glück oder Unglück von kleinen, bösen Zufällen abhängt, ist kompromisslos und bestechend.

"Für mich geht es darum, wie wichtig im Leben Glück ist. Das Leben ist so chaotisch und beängstigend und ziel- und sinnlos. Wir alle mögen den Gedanken, dass wir so viel Kontrolle über unser Leben und Schicksal haben. Wir bilden uns ein, dass mit harter Arbeit der Erfolg kommt. Es heißt ja immer: Glück allein sei Quatsch und jeder- wenn er nur hart arbeitete- sei seines eigenen Glückes Schmied. Sicher ist es wichtig, hart zu arbeiten, aber keiner gibt wirklich zu, wie viel letztendlich von Zufällen und Glück abhängt. "