Parade der Hundertjährigen

Von Hartmut Krug |
Das Staatsschauspiel Dresden kann auf eine bewegte Geschichte zurückblicken. Gegründet 1913 durch einen bürgerlichen Theaterverein und die Hilfe des Königs, wurde es schnell bekannt. In der DDR wurde es für seine innovativen Inszenierungen geschätzt.
Karl Maria von Webers Jubelouvertüre erklang bei der Eröffnungszeremonie des Neuen Königlichen Schauspielhauses am 13.September 1913 für den sächsischen König deutlich aus. Andererseits nannte man das neue Haus das "erste bürgerliche Hoftheater": Weil ein bürgerlicher Theaterverein das Geld für die Errichtung des Gebäudes aufbrachte, während der König "Zinsen und Amortisation" übernahm. Und weil das in Jugendstil und Neobarock erbaute Haus bürgerliche Schlichtheit mit höfischem Glanz vereint.

Unter dem langjährigen, schon im alten Albert Theater in der Neustadt tätigen und bis 1919 das Königliche Schauspielhaus leitenden Intendanten Nikolaus Graf von Seebach wurde das Theater zwar nicht innovativ, aber es folgte den neuen Strömungen. Der Berliner Kritiker Herbert Ihering kam im Juli 1914 zu folgender Einschätzung:

"Das Dresdner Königliche Schauspielhaus hat heute schon ein Repertoire, das von den Berliner Bühnen in ihrer Gesamtheit, aber von keiner einzelnen Bühne übertroffen wird. Es ist dem Vorwurf, dass es kein modernes Hoftheater geben könne, damit begegnet, dass es den Anschluss an Bürgertum und Demokratie gesucht hat. In der Art, wie es organisch aus den Bedürfnissen der Hauptstadt und des Landes herauswächst und diese doch leitet und bestimmt, ist es eher ein modernisiertes Burgtheater."

Nach der Novemberrevolution und dem Abdanken des sächsischen Königs erhielt das Königliche Hoftheater zunächst den Namen Sächsisches Landestheater, um 1923 zum Staatstheater Dresden umbenannt zu werden.

Und es kam die expressionistische Zeit auch auf dem Theater in Dresden. Berthold Viertel inszenierte, manche in Uraufführungen, Stücke von Sternheim, Friedrich Wolf, Georg Kaiser und Walter Hasenclever.

Unter dem Nationalsozialismus folgten künstlerisch bedeutungslose, angepasste Jahre, mit der 1. Reichstheater-Festwoche im Frühsommer 1934, und der Zerstörung des Theaters im Bombenhagel. Doch schon 1948, nach einer Lotterie für den Wiederaufbau, wurde das Schauspielhaus wieder eröffnet, als Großes Haus des Staatstheaters für Oper, Ballett, Schauspiel und Staatskapelle. Die Hoffnung des neuen Intendanten Erich Ponto aber, der zur Eröffnung folgende Verse dichtete, erfüllte sich nicht:

"Mein Demokrat, mein Kommunist:
Wenn heilge Liebe in euch ist
Und ihr den Tempel haltet frei von Meinungsstreiten und Partei -
Sei auch der Weg noch lang, ist mir ums Ziel nicht bang."

Doch über Weg und Ziel waren sich SED und Theaterleute nicht immer einig. Die nächsten dreißig Jahre waren so spannend wie widersprüchlich. Darüber ist im dicken Jubiläumsbuch, das im Verlag Theater der Zeit erschienen ist, einiges zu lesen.

Eine Blütezeit des Dresdner Schauspiels begann in den 80er Jahren. Wer in der DDR ästhetisch anspruchsvolles, kritisch fragendes Theater sehen wollte, der fuhr nach Schwerin und Dresden. In Dresden existierte ein glänzendes, eingespieltes Ensemble. Nachdem die Oper 1985 in die renovierte Semperoper einziehen konnte, hatte das Schauspiel sein Haus für sich allein. Horst Schönemann als Chefregisseur und Gerhard Wolfram als Intendant schufen ein Klima, in dem der Regisseur Wolfgang Engel das Haus mit seinen Inszenierungen in der DDR zum wichtigsten und auch in der Bundesrepublik umjubelten Sprechtheater machte.

"La Guerra" von Goldoni 1982, dann Hebbels "Nibelungen", Shakespeares "Sonette" Kleists "Penthesilea" und erstmals in der DDR Becketts "Warten auf Godot" als Sprechstücke von kühler Ästhetik auf fast leeren Bühnen: Das alles waren Inszenierungen, gedacht aus dem Heute und für das Heute. Stets ging es um den Konflikt zwischen Individuum und Gesellschaft. Ein Zitat von Wolfgang Engel:


"Wir haben nach einer Ausdrucksweise unserer Zeit gesucht. Wir wollten den Text ins heute übertragen, ohne ihn zu vernuscheln. Es ging uns dabei um eine konkrete Haltung und nicht eine Theaterhaltung."

Gezeigt wurden auch Stücke von Heiner Müller, Volker Braun und Christoph Hein. Die Uraufführung von Heins "Die Ritter der Tafelrunde", in dem eine Schar alter Ritter hilflos auf Sinnsuche ist, war im April 1989, nach langen Verboten, eine Sensation:

"Ich habe gesucht und gesucht: Wenn der Gral auf der Welt wär, ich hätte ihn finden müssen. Keiner hat ihn je gesehen. Er ist nicht zu finden.
Er ist leicht zu finden, ja ...
Er ist überhaupt nicht vorhanden.
Vielleicht ist er im Lauf der Zeit zu Staub zerfallen.
Unsinn, Lancelot. Der Gral ist unvergänglich.
Oder er ist nicht mehr auf dieser Erde.
Oder er ist wirklich nur eine Idee."

Die Schauspieler traten schon im Oktober aus ihren Rollen heraus und nach einer Vorstellung mit einer Resolution vor ihr Publikum, so wie sie es später in Heckmanns Theaterstück "Zukunft für immer" im Jahr 2009 mühsam zu erinnern suchen:

"Wir treten aus unseren Rollen heraus. Die Situation in unserem Land zwingt uns dazu."
Einhundert Jahre Theatergeschichte sind nicht in wenigen Minuten zu fassen. Also kann die erfolgreiche Arbeit, mit der Dieter Görne als Intendant das Theater durch die Nachwendezeit führte, nur erwähnt werden. Und von der Arbeit seines Nachfolgers Holk Freytag kann hier nur die Entdeckung des Regisseurs Volker Lösch mit seinem Bürgerchor hervorgehoben werden:

"Es war einmal ein Kind, eigensinnig.
Und tat nichts, was seine Mutter haben wollte.
Darum hatte der liebe Gott kein Wohlgefallen an ihm
Und ließ es krank werden.
Und kein Arzt konnte ihm helfen."

Zuletzt bleibt Respekt zu äußern: Für die Arbeit des seit 2009 amtierenden Intendanten Wilfried Schulz. Er hat es verstanden, die Dresdner einerseits in ihrem Theaterverständnis abzuholen, sie andererseits aber auch mit neuen Formen und Themen zu fordern. Es gibt Klassiker, inszeniert von jungen Regisseuren, dazu Gegenwartsstücke, und Texte, die sich mit der Dresdner Geschichte auseinander setzen, und nicht zuletzt Bürgerbühnen für alle Generationen: ein kluger Mix, dem das Publikum applaudiert:
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