Paradigmenwechsel ist fällig

Von Frieder Reininghaus |
Optimale Wirkung entfalten die Pastelltöne der Kostüme, die Modele Bickel den Frauen der besseren Gesellschaft eines historisch unbestimmten Mantua zuschneidern ließ, vor den spitz in den Bühnenraum ragenden dunklen Wandelementen.
Warum die Männer des Hofstaats zum Teil ans Hotelpersonal im frühen 20. Jahrhundert erinnern, bleibt unerfindlich. Rigoletto – der massige George Gagnidze, der vorzugsweise massives Forte singt – macht seinen Job als Hofnarr recht tolpatschig, trifft dann auf einen sympathischen Ungarn, der gegen Barzahlung unsympathische Leute aus dem Verkehr zieht.

Die Wände falten sich zur stillen Klause für Gilda, die von ihrem Vater unter strengstem Verschluss gehalten und in keiner Weise auf ein selbstständiges Leben vorbereitet wird. Wie der als Student verkleidete Herzog in der kargen Kammer ins Spiel gebracht wird, ist gutes Kammerspiel altbewährter Machart. Der liebesbedürftigen Tochter verleiht Chen Reiss einen großen und klaren Ton. Sie erweist sich als treffsicher auch bei den großen Sprüngen.

Und doch fügt sich diese solistisch prächtige "Stimme aus meinen Träumen" nicht immer kooperativ in die Duette und das große Ensemble des dritten Akts. Das mag auch dem vermutlich etwas überschätzten Omer Wellber geschuldet sein. Der noch ziemlich junge Dirigent ist eher fürs Ankurbeln gut ist als für feiner abgeschattete Nuancen. Das hoch motivierte ORF Radio-Symphonieorchester agiert unter seinen ein- und ausladenden Armbewegungen durchaus präzise. Gewisse Sorgen bereitete eher der Schoenberg-Chor.

Mangelerscheinungen fallen beim Tenor und der Figur des Herzogs am stärksten ins Gewicht: Francesco Demuro ist nur eine dreiviertel Portion im erotisch-musikalischen Geschäft. In einer trashigen Produktion könnte er, der sich allemal zu sehr und nur selten herzerweichend abmühen muss, plausible Dienste leisten. Doch in der Festwochen-Inszenierung ist alles menschlich ernst gemeint und wird die von Francesco Piave bearbeitete Handlung Victor Hugos auf erschütternd naive Weise nachbuchstabiert.

Unsäglich wird dies schließlich im kläglichen Realismus eines Pfahlbaus, in dem Sparafucile und Maddalena ihrem dunklen Geschäft nachgehen. Gilda bleibt die Peinlichkeit, erst in einen Sack gestopft und dann aus diesem zum Finalgesang befreit zu werden, nicht erspart. Die Ästhetik dieses als Festwochen-Beitrag deklarierten "Rigoletto" wirkt nicht nur, als wäre sie in den 1970er-Jahren stehen geblieben, sondern eher noch regressiv.

Schaudern macht, dass Luc Bondy, der am Ende als sehr kranker Mann auf die Bühne geschleppt wurde, ankündigte, die aktuelle Inszenierung sei als Auftakt einer Trilogie zu verstehen, in deren Rahmen noch "Traviata" und der "Troubadour" folgen sollen.

Niveau und Zuschnitt dieses "Rigoletto" korrespondieren dem von Stéphane Lissner verantworteten Festwochen-Konzertprogramm, das als Gemeinschaftsprojekt mit der Wiener Konzerthausgesellschaft durchgezogen wird: 45 Veranstaltungen, zentriert um das Thema "Mahler und Amerika" (also mit den einschlägigen Symphonien und kontemporär Entstandenem von Charles Ives oder Rachmaninow, der ja irgendwie auch ein amerikanischer Komponist ist).

Ansonsten ein konservativ zugeschnittenes Programm mit Bach, Haydn, Mozart, Beethoven, Schubert, Schumann and so on – dabei einiges von "Zweitjubilar" des Jahres, Franz Liszt. Feine Solisten – die Pollinis, Hampsons, Aimards und Grimauds – geben sich die Klinke in die Hand. Für den Montagabend sind, womöglich zur Beschwichtigung böser Zungen, zwei Uraufführungen anberaumt (Matthias Pintscher und Michael Jarrell) bevor dann ein Niederayerischer Musikantenstammtisch die programmatische "Öffnung" des Programms unter Beweis stellen darf.

Indem der "Rigoletto" neben der aus Basel importierten "Wüstenbuch"-Produktion von Beat Furrer und Christoph Marthaler sowie einer von Carlus Padrissa auf dem Karlsplatz veranstalteten "Oresteïa" die Musiktheatersparte der Festwochen erfüllt, wirkt dieser Sektor konzeptuell und aufführungspraktisch vernachlässigt. So wurde in Wien die Nachricht mit Erleichterung aufgenommen und von Hoffnungsbekundungen begleitet, dass mit Markus Hinterhäuser der bisherige Konzertchef der Salzburger Festspiele (und heuer Interims-Intendant an der Salzach), Bondys Nachfolge übernehmen soll.

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