Paradoxe Botschaften

Rezensiert von Ursula März |
Es ist eine ziemlich wilde Mischung der verschiedensten Abschiedsbriefe, die Sibylle Berg gesammelt und zusammengestellt hat. Quer durch die Epochen, Stil- und Reflexionslagen finden sich Briefe von berühmten und von unbekannten Frauen. Die Sammlung muss sich den Vorwurf gefallen lassen, sie sei unsystematisch und konturschwach, aber gerade das passt ziemlich gut zum Charakter der Gefühlschwankung, der die meisten Briefe prägt.
Pedantisch betrachtet, sind Abschiedsbriefe, Liebesabschiedsbriefe, eigentlich ein Paradoxon. Wer wirklich entschlossen ist zur Trennung, braucht nicht Worte. Im Grunde reichen diese drei: Es ist aus. Briefe aber sind von Natur aus Mitteilungen, die den Kontakt halten. Wer also einen Abschiedsbrief schreibt, verabschiedet sich genauso lange nicht, wie der Brief dauert. Anders gesagt: je mehr Brief, desto weniger Abschied.

In dieser Ökonomie liegt das Paradoxe des Abschiedsbriefes. Sein Wesen widerspricht seinem Inhalt. Das macht die Abschiedsbriefe von Frauen, die Sibylle Berg gesammelt und herausgegeben hat, so menschlich - der Widerspruch zwischen trennungsentschlossenem Hirn und liebesgebundenem Herzen springt einem aus vielen Briefen förmlich entgegen - und gelegentlich nicht ganz unkomisch. Eine Frau, die hier Dietlinde R. heißt, schreibt an Herrn G., der der Mann ihrer Träume und ein "Meister im Bett" war, dies aber leider nicht nur für sie:

"Und wenn es jetzt auch Frühling ist und jeder Frühling einen neuen Anfang darstellt, müssen wir anfangen, unsere Beziehung als beendet zu verstehen. Und darüber will ich mit Dir ein letztes Mal reden, entweder in Erfurt oder besser auf neutralem Grund im Park oder Restaurant. Bei Dir zu Hause landen wir ja doch nur wieder im Bett und Du hast wieder nichts als leere Versprechungen für unsere Zukunft zu bieten.

Dabei fällt mir diese blöde Situation in dieser Pizzeria ein, damals, nachdem Du mich mit meiner besten Freundin ..., ach, ich will es mir gar nicht noch mal klar machen, was Du für ein Gigolo bist. Also schlag irgendwas irgendwo und irgendwann vor, ich werde dort sein. Dann können wir das Finanzielle auseinanderklären. Ich will keins meiner Geschenke zurückhaben, sie sollen Dich an unsere Zeit erinnern, basta."

Wirklich basta? Sie trennt sich und macht doch Zeile für Zeile Pläne und Vorschläge, die die Zukunft betreffen, bis hin zu der Idee, dass er sich an sie erinnern, also immer an sie denken soll. Zumindest so, als Frau in seinem Gedächtnis, will sie dem Gigolo erhalten bleiben, und ihn so sich erhalten. Es sind, fast durchweg, sehr komplizierte, sehr umständliche Gefühllagen und Gefühlsknoten, die diese weiblichen Korrespondenzen abbilden.

Wenn das Gerücht stimmt, haben Männer die Tendenz, sich aus dem Staub zu machen. Frauen erklären, wie sich der Staub anfühlt, wie froh sie wären, einen Beziehungsweg ohne Staub unter den Füßen zu haben, wie traurig sie sind, einen solchen Weg nicht mehr zu sehen, et cetera. Vor allem überlegen sie, ob und wenn, auf welche Weise sie schuld sind an der Staubigkeit der Liebe.

Sibylle Berg macht dankenswerterweise erst gar nicht den Versuch, ihre Auswahl an Abschiedsbriefen mit einem theoretisch begründenden Konzept einzuengen. Sie schaut die Briefe nicht von oben an, sondern gleichsam von vorn, als nachdenkende Leserin. Es ist eine ziemlich wilde Mischung, die sie zusammengestellt hat, quer durch die Epochen, Stil- und Reflexionslagen. Sie reicht von Heloise über Sylvia Plath bis Else Buschheuer, von Elizabeth I. über Isadora Duncan bis zu Corinne Hofmann, von historischen zu heutigen Frauen, von berühmten bis zu einem eigenen Kapitel mit Briefen von unbekannten Frauen; Frauen wie du und ich.

Das wirkt auf den ersten Blick ein wenig arg willkürlich und heterogen. Auf den zweiten plausibel und sympathisch. Plausibel deshalb, weil das Unsystematische, Konturschwache der Sammlung ziemlich gut zum Charakter der Gefühlschwankung passt, der die meisten Briefe prägt.

Sibylle Berg: Und ich dachte, es sei Liebe. Abschiedsbriefe von Frauen
Deutsche Verlagsanstalt, München 2006, 223 Seiten