Hans Rusinek ist Innovationsberater und als Experte für das Themenfeld "Moral & Märkte" Mitglied im thinktank30 des Club of Rome. Zusätzlich setzt er sich als Redakteur beim "Transform Magazin" mit Fragen von sozialen Innovationen in einer sich wandelnden Gesellschaft auseinander. Er studierte VWL, Philosophie und Internationale Politik in Bayreuth und an der London School of Economics.
Die Revoluzzer von heute
Große Unternehmen haben es trotz hoher Gehaltsaussichten immer schwerer, qualifizierte junge Menschen anzulocken. Die Arbeitswelt scheint vor einer Revolution zu stehen. Doch wer sind die Revoluzzer von heute? Was verbindet sie mit den 68ern, was unterscheidet sie?
50 Jahre nach 68 sehen wir wieder die gleichen Menschen, junge Männer, und Männer sind es vor allem, mit einem Bein noch in der Universität, in den gleichen Städten, wie Berlin oder Paris hektisch umherwuseln. Auch sprechen sie scheinbar vom Gleichen. Man hört: Revolution, umdenken, Grenzen überschreiten. Der Unterschied: Es sind Start-up-Gründer, keine Spontis.
Kaum ein Jungunternehmen kommt ohne einen Aufruf zur Revolution aus. Die einen wollen die Gewerbeversicherung revolutionieren, andere rufen zum Umsturz des verhassten PDF-Software-Imperiums auf. Wem das zu banal ist, kann sich den Brigaden einer Schuhfirma anschließen: die revolutionieren nichts Geringeres als "die Art zu laufen". Doch Sprache ist nicht die einzige Parallele zu 68.
Das Feindbild
Natürlich ist in postdemokratisch anmutenden Zeiten der Feind nicht mehr der Staat, es sind Konzerne. Doch die Attribute, die die Gründer diesen geben sind nah an denen, die die 68er den Staatsdienern zuschrieben: Spießerhölle und oberflächliches Statusstreben bei gleichzeitiger Unfreiheit. "Kein Vertrauen den Anzugträgern" – ist ein Credo der Start-up-Szene und erinnert an den Kampf gegen den Muff unter den Talaren.
"Ein Konzern ist ein halbtoter Elefant, der sich an die Innovationen von anderen gerade noch so heranrobbt", sagt mir ein FinTech-Gründer.
Natürlich sieht der Revolutionär das System bereits im Untergang. Der Elefant ist halbtot, der Staat war es für die 68er auch. Doch welch Ironie: Der Straßenkämpfer möchte eigentlich selbst Staat werden, das Start-up macht sich über die Größe des Konzerns lustig und doch ist erste Devise: "Wachsen, wachsen, wachsen".
Das System hacken
68er und Gründer sind überzeugt es besser zu können, betrachten sich als Elite und betreiben kontrollierten Regelverstoß. In StartUps liegt dem die Hackingkultur zugrunde. Hacking bedeutet "herauszufinden, wie man mit einer Kaffeemaschine Toast machen kann", so Chaos-Computerclub-Gründer Wau Holland.
Im Silicon Valley wurde erst Software und dann ganze Industrien gehackt. Heute betrachten Entrepreneure die Politik, das Gehirn oder Freundschaft als Systeme, die sie knacken und umgestalten können. Womit wir wieder bei 68 wären.
Von der Kommune zum Co-Working Space
"Wir gingen durch Nahtod-Erfahrungen zusammen", erzählt mir ein IT-Gründer. Bei überlebenswichtigen Finanzierungsrunden und juristischen Weichenstellungen, die die Angst vor der Insolvenz lindern sollen, braucht es eine Gemeinschaft, die bei dem Getöse nicht den Mut verliert.
Deren Rituale erinnern dann wieder an ihre Vorgänger vor 50 Jahren. Hier heißt es: "Die Solidarität wird siegen!", ob es um die Anti-Schah-Demo geht oder um den Insolvenzverwalter, ob in Kommunen oder CoWorking-Spaces.
Frauen müssen noch immer alleine kämpfen
Bei all der Solidarität gibt es aber nur 15 Prozent Gründerinnen in Deutschland. Selbst in Aufsichtsräten ist der Anteil doppelt so hoch. Ist auch dies eine Parallele zum "männlichen Chauvinismus" mancher 68er, die der Historiker Richard Vinen diagnostiziert?
Feministinnen mussten sich erst von linken Machos befreien. Auch heute engagieren sich Gründerinnen gegen die Männerdominanz in verschiedenen Netzwerken.
Das wahre Erbe der 68er
Zwischen den beiden Gruppen bleiben große Unterschiede: Die 68er waren in Selbst- und Fremdwahrnehmung "links", für StartUps ist das schwer zu sagen. Über die Theoriefixiertheit der 68er und deren manierierte Soziologismen würde man in StartUps ebenso lachen wie über deren Idealisierung einer Arbeiterklasse, die es so gar nicht mehr gibt. Stattdessen erschafft man mit Foodora & Co. mal eben ein neues Digitalproletariat. Dessen Idealisierung lässt noch auf sich warten.
Was die Gründer aber von den 68ern geerbt haben, ist das Versprechen einer besseren Welt. Zu erleben wie leicht dies gesagt und wie schwer es getan ist, darin liegt vermutlich das wahre Erbe der 68er.