Vor den Paralympics

Paris als ein Hindernisparcours

06:47 Minuten
Paralympische Leichtathleten der Niederlande trainieren im Rollencourt-Stadion im französischen Lievin.
Auch Sportlerinnen und Sportler der Para-Leichtathletik sind bei den Spielen in Paris dabei. © Imago / Ludovic Maillard
Von Ronny Blaschke |
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Sitzvolleyball, Blindenfußball, Para-Leichtathletik: Das sind drei der Sportarten der Paralympics in Paris. Traditionell beschleunigen die Spiele bei den Gastgebern eine Debatte über Barrierefreiheit und Teilhabe. Was können die Paralympics bewirken?
Paris verfügt über eines der ältesten Metronetze der Welt. Einige Linien wurden vor mehr als 120 Jahren eröffnet. An den Stationen führen oft steile Treppen zu den Bahnsteigen. Aufzüge gibt es selten.

Kritik an langsamer Umsetzung von Investitionen

Nur die neue Bahnlinie 14 ist komplett barrierefrei, sagt der Rollstuhltennisspieler Serge Mabilly:
„Paris ist wie ein Hindernisparcours für behinderte Menschen. Mit einem Rollstuhl braucht man hier immer einen Plan B.“
Als Vizepräsident des Verbandes APF France Handicap setzt sich Serge Mabilly für behinderte Menschen ein. Er hatte Hoffnungen mit den Paralympics in Paris verbunden. Schließlich stellten die Organisatoren Investitionen von 1,5 Milliarden Euro in Aussicht: etwa für Rampen, rollstuhlgerechte Busse und Leitsysteme.
Doch NGOs wie APF France Handicap beschreiben die Umsetzung als viel zu langsam. Einige von ihnen demonstrierten gegen die Gastgeber der Paralympischen Spiele.
Und womöglich kann es auch nun bei den Spielen zu Protesten kommen. Der Frust sei groß, sagt Serge Mabilly:

Für manche Strecken, die ohne Rollstuhl zehn Minuten dauern, brauche ich 40 Minuten. Oft kann ich dann nicht mal den Bus nutzen, weil der Bus schon voll ist, nicht richtig parken konnte oder die Einstiegsrampe kaputt ist. Wir müssen jede Fahrt genau planen.

Serge Mabilly, Vizepräsident des Verbandes APF France Handicap

Shuttlebusse und moderne Apartments

Es ist wohl unmöglich, die historische Metro komplett barrierefrei zu gestalten. Die Organisatoren stellen langfristig aber mehr behindertengerechte Busse und Taxis in Paris in Aussicht. Auf den Bürgersteigen sollen Schlaglöcher und hohe Bordsteinkanten beseitigt werden.
Nun bei den Paralympics sollen vermehrt Shuttlebusse an den großen Bahnhöfen bereitstehen, eine Fahrt muss aber reserviert werden.
Die rund 4.400 Athletinnen und Athleten werden im olympischen Dorf von Saint-Denis untergebracht, wo im Norden von Paris ein neues Quartier entsteht, erzählt Karl Quade, der Chef de Mission der deutschen Paralympier: „In diesem Dorf hat jedes Apartment einen barrierefreien Nassbereich, also Bäder. Das heißt, in jedes Apartment können auch Rollis rein.“
In einigen Bereichen haben die Organisatoren langfristige Maßnahmen angekündigt. So sollen öffentliche Stellen in Paris ihre Angebote für Menschen mit kognitiven Einschränkungen künftig leichter zugänglich machen.
Zudem werde es im Bildungssystem Veränderungen geben, sagt Andrew Parsons, Präsident des Internationalen Paralympischen Komitees IPC: „Uns ist ein inklusiver Ansatz sehr wichtig. Bis 2030 soll in Paris mindestens eine barrierefreie Schule in maximal 15 Minuten erreichbar sein.“ 
Olympisches Dorf in Paris
Die Sportlerinnen und Sportler der Paralympics in Paris wohnen im olympischen Dorf.© dpa / picture alliance / Georg Hochmuth

Was paralympische Spiele verändern können

Was können Paralympics gesellschaftlich und politisch bewirken? 1996 ließen die Organisatoren in Atlanta nach Ende der Olympischen Spiele etliche Sportstätten abbauen, sodass die Paralympics zum Teil in Ruinen stattfinden mussten.
2008 in Peking wurden bei den Paralympics zum ersten Mal behinderte Menschen im Fernsehen gezeigt, doch Ausgrenzung erleben diese in China bis heute. Immerhin: Nach den Spielen in London 2012 haben laut einer Studie ein Drittel der Briten ihre Einstellung zu Menschen mit Behinderungen geändert. 

Vor den Sommerspielen in Rio 2016 erarbeitete die brasilianische Regierung ein Antidiskriminierungsgesetz. Zwei Jahre später war in Brasilien die Zahl der Beschäftigten mit einer Behinderung um 50 Prozent höher als 2009, in dem Jahr, als Rio den Zuschlag für die Spiele erhielt. Trotzdem können behinderte Menschen in den Favelas bis heute ihre Wohnungen oft nicht verlassen.
Andrew Parsons vom IPC sagt, dass die Paralympics nur ein Anstoß für eine Entwicklung sein können, die oft Jahrzehnte andauere:

Tokio zum Beispiel war schon vor den Paralympics 2021 eine Stadt mit eher wenigen Barrieren im Nahverkehr. Trotzdem sah man selten behinderte Menschen im Stadtbild. In der japanischen Gesellschaft gab es die Wahrnehmung, dass man sie besonders schützen müsse. Aber das ist falsch: Behinderte Menschen brauchen Möglichkeiten, um sich zu entfalten. Ich glaube, dass die Paralympics die Wahrnehmung in Japan verändert haben. 

Andrew Parsons, Präsident des Internationalen Paralympischen Komitees IPC

1972 waren die Paralympics in Heidelberg

In Deutschland fanden die Paralympics einmal statt, 1972 in Heidelberg. Die Olympiastadt München wollte das Athletendorf aber nicht umbauen, sondern die Wohnungen früh für zahlende Mieter freigeben.
Mehr als 50 Jahre später wollen Sportverbände erneut eine deutsche Olympiabewerbung auf den Weg bringen. Aber wie könnte die Gesellschaft von Paralympics profitieren?
Jürgen Dusel, der Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen, nennt ein Beispiel: „Wenn es darum geht, Hotelzimmer zu finden. Wir haben zuletzt bei den Spielen der versehrten Soldatinnen und Soldaten in Düsseldorf erhebliche Probleme gehabt, entsprechende Hotelzimmer überhaupt zu finden.“ 
Logo der Paralympics auf dem Arc de Triomphe in Paris
Logo der Paralympics auf dem Arc de Triomphe in Paris© dpa / picture alliance / Straubmeier

Viele Rehasportvereine verlieren Mitglieder

Realistisch sind Olympische und damit auch Paralympische Spiele in Deutschland frühestens 2040. Doch auch in der Bewerbungsphase könnten Themen in den Fokus rücken, die für behinderte Menschen von Bedeutung sind: Barrieren in Sporthallen, fehlende Lehrkräfte oder die mangelnde Zusammenarbeit zwischen olympischen und paralympischen Vereinen.
Jürgen Dusel möchte über den Leistungssport hinausblicken: „Menschen mit Behinderungen treiben deutlich weniger Sport als Menschen ohne Behinderungen. Wir haben in der Corona-Situation gesehen, dass das noch massiv zurückgegangen ist, dass auch sehr viele Rehasportvereine Mitglieder verloren haben. Das hat damit zu tun, dass die Infrastruktur für Sport für Menschen mit Behinderungen in Deutschland eher noch besser werden muss.“

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