Paraphrase auf die Inflation

Von Susanne Burkhardt · 20.11.2010
An der Berliner Volksbühne wurde das Stück bereits vor mehr als 80 Jahren uraufgeführt und löste einen politischen Skandal aus. Walter Mehrings "Kaufmann von Berlin" erlebt unter der Regie von Frank Castorf eine Wiederauferstehung.
"An den Galgen" soll Goebbels den Autor Walter Mehring gewünscht haben – am Abend der Uraufführung seines Stückes "Der Kaufmann von Berlin". SA war aufmarschiert an diesem 6. September 1929 vor der Piscator-Bühne am Berliner Nollendorfplatz. Der Vorwurf an Mehring: projüdische Agitation. Doch auch von der jüdischen Seite hagelt es Entrüstung: antisemitische Hetze – hieß es hier.

Walter Mehring muss zu den großen Satirikern der Weimarer Republik gezählt werden, er war ein Freund von Georg Grosz, mit dem er in Dada-Eskapaden auch mal als Näh- und Schreibmaschine verkleidet um die Wette lief.

Mit dem "Kaufmann von Berlin" hatte Mehring ein Stück zur Inflation geschrieben. Ein Stück über wirtschaftskriminelle Gauner, Inflationsgewinnler und Spekulanten und damit den größten Theaterskandal seiner Zeit verursacht.

Nur wenige Wochen vor Beginn der Weltwirtschaftskrise zeichnete er einen politisch-sozialen Querschnitt der deutschen Bevölkerung nach dem Ersten Weltkrieg. Eine Skizze der Großstadt Berlin – die Protagonisten darin: galizische Juden, preußische Wirte, Kleinkriminelle, Generäle, Freikorpsschläger, Wirtschaftsbosse und Anwälte.

Tucholsky lobte Mehrings Talent, das Berliner Leben in all seinen Facetten zu spiegeln: egal ob auf Jiddisch, im Gossenslang, Kasinodeutsch oder mit den "Floskeln des High-Society-Kapitals". 400 Jahre nach Shakespeares Shylock im "Kaufmann von Venedig" heißt Mehrings Kaufmann: Kaftan. Ein Finanzmagnat, der sich benutzen lässt, um einen Putsch rechtsnationaler Kreise zu unterstützen.

Erwin Piscator war wie Walter Mehring ein Anhänger des Dadaismus. Zwei Jahre zuvor erst hatte er sein eigenes Theater – die Piscator-Bühne – gegründet, weil er die Volksbühne, deren geistiger Vater und Wegbegleiter er lange Zeit war und viel später wieder werden sollte, kleinbürgerlich versumpft fand. Sein "Kaufmann von Berlin" war technisch aufwendig und für die damalige Zeit provozierend modern inszeniert: Mit laufenden Textbändern auf der Drehbühne, Filmeinblendungen und einem mehrstöckigen Bühnenbild.

Dem Uraufführungsskandal folgten Boykottdrohungen gegen das Theater und bald darauf die Schließung. Walter Mehring, dessen Werke 1933 auf dem Scheiterhaufen der Bücherverbrennung landeten, emigrierte in die USA. Acht Jahre nach Kriegsende kehrte er nach Europa zurück.1981 starb er in Zürich - einsam und als Schriftsteller fast vergessen.

Die Theaterkritik von Volker Trauth zur Wiederaufführung des Stückes "Der Kaufmann von Berlin" von Walter Mehring an der Berliner Volksbühne können Sie bis zum 21.4.2011 als MP3-Audio in unserem Audio-on-Demand-Player nachhören.