Parforceritt durch die deutsche Geschichte
Spätestens seit Christopher Clarks fabelhaftem "Preußen"-Buch (2007) weiß man, dass ein Blick von außen nicht schadet, um hergebrachte Lesarten der eigenen Geschichte gründlich durcheinanderzuwirbeln. So ein Beobachter von außen ist auch der Brite Simon Winder, ein intimer Deutschland-Kenner und -liebhaber, der nichts im Sinn hat mit dem "Kraut-bashing" seiner Landsleute. Auf unzähligen Reisen, von Hessen-Kassel bis Augsburg, von Schwäbisch Gmünd bis Eisleben, gewann der studierte Historiker ein Bild von Deutschland, das auch Leser hierzulande überraschen mag.
Die Fundstücke seiner Spurensuche setzt er zu einer hemmungslos subjektiv eingefärbten historischen Erzählung der letzten knapp 2000 Jahre zusammen, die mit Tacitus beginnen und bis zu den "golden Twenties" in Berlin reichen. Bei seinem Sightseeing zieht er die Nebenwege den Hauptrouten vor. Er besuchte abgelegene Provinzstädtchen wie Altenburg, Köthen oder Bückeburg, deren verstaubte Museen und prachtvoll restaurierte Schlösser sein Entzücken genauso erregen wie übermütige Respektlosigkeiten. Der Vogelsaal in der Bamberger Residenz? "Der schönste Raum der Welt". Die Figuren der Meißener Porzellanmanufaktur? Nur "zickige Schäferinnen – grauenhaft".
Während er sich gegen die lange geläufige These vom deutschen Sonderweg, dem angeblich konsequenten Zusteuern Deutschlands auf das "Dritte Reich" verwahrt, richtet er sein Augenmerk umso mehr auf den Partikularismus der deutschen Länder, der nicht nur die segensreiche föderale Struktur, sondern Kultur und Künste zu weltweit einzigartiger Vielfalt und Blüte gebracht habe. Denn während man in Englands Grafschaften um die Schlagkraft von Jagdhundrudeln wetteiferte, konkurrierten die deutschen Duodezfürsten mangels eines großstädtischen Machtzentrums um das schönste Opernhaus. So erzählt Winder, wenn er die Auseinandersetzung um den Nationalgedanken im 19. Jahrhundert darstellt, nicht ein weiteres Mal die Geschichte von der Formierung einer verspäteten Nation, die ihr Heil in der Militarisierung der Gesellschaft suchte. Allerdings gerät beim Hin und Her der dynastischen Bündnisse und Stammesfehden auf dem Weg zum Einigungsprozess einiges durcheinander – wie überhaupt das Fehlen einer klaren Chronologie sowie der universalhistorischen Zusammenhänge die schnelle Orientierung behindern.
Dabei bleibt der Parforceritt durch die deutsche Geschichte immer anschaulich, schnoddrig und frech. Wenn er die "späten Habsburger" als einen "erstaunlichen Haufen von Weicheiern" bezeichnet oder Sachsen als eines seiner "Lieblingsländer", in dem die Wettiner "politisch immer wieder alles vermasselten", kann man das unangemessen bis übermütig finden; unterhaltsam und nicht selten sogar triftig ist es jedenfalls. Auch wenn Simon Winder sich nicht an die hartgesottene akademische Zunft wendet, mag doch gerade der historisch gebildete Leser in diesem Buch das eine oder andere Trüffelstück entdecken. Bedauerlich, dass solch ausladende Geschichtsschmöker nicht auch hierzulande geschrieben werden.
Besprochen von Edelgard Abenstein
Simon Winder, Germany, oh Germany. Ein eigensinniges Geschichtsbuch,
aus dem Englischen von Sigrid Ruschmeier,
Rowohlt Verlag, Reinbek 2010, 464 Seiten, 19,95 Euro
Während er sich gegen die lange geläufige These vom deutschen Sonderweg, dem angeblich konsequenten Zusteuern Deutschlands auf das "Dritte Reich" verwahrt, richtet er sein Augenmerk umso mehr auf den Partikularismus der deutschen Länder, der nicht nur die segensreiche föderale Struktur, sondern Kultur und Künste zu weltweit einzigartiger Vielfalt und Blüte gebracht habe. Denn während man in Englands Grafschaften um die Schlagkraft von Jagdhundrudeln wetteiferte, konkurrierten die deutschen Duodezfürsten mangels eines großstädtischen Machtzentrums um das schönste Opernhaus. So erzählt Winder, wenn er die Auseinandersetzung um den Nationalgedanken im 19. Jahrhundert darstellt, nicht ein weiteres Mal die Geschichte von der Formierung einer verspäteten Nation, die ihr Heil in der Militarisierung der Gesellschaft suchte. Allerdings gerät beim Hin und Her der dynastischen Bündnisse und Stammesfehden auf dem Weg zum Einigungsprozess einiges durcheinander – wie überhaupt das Fehlen einer klaren Chronologie sowie der universalhistorischen Zusammenhänge die schnelle Orientierung behindern.
Dabei bleibt der Parforceritt durch die deutsche Geschichte immer anschaulich, schnoddrig und frech. Wenn er die "späten Habsburger" als einen "erstaunlichen Haufen von Weicheiern" bezeichnet oder Sachsen als eines seiner "Lieblingsländer", in dem die Wettiner "politisch immer wieder alles vermasselten", kann man das unangemessen bis übermütig finden; unterhaltsam und nicht selten sogar triftig ist es jedenfalls. Auch wenn Simon Winder sich nicht an die hartgesottene akademische Zunft wendet, mag doch gerade der historisch gebildete Leser in diesem Buch das eine oder andere Trüffelstück entdecken. Bedauerlich, dass solch ausladende Geschichtsschmöker nicht auch hierzulande geschrieben werden.
Besprochen von Edelgard Abenstein
Simon Winder, Germany, oh Germany. Ein eigensinniges Geschichtsbuch,
aus dem Englischen von Sigrid Ruschmeier,
Rowohlt Verlag, Reinbek 2010, 464 Seiten, 19,95 Euro