"Es geht um ein Massenaussterben"
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Die Pariser Artenschutzkonferenz berät über den bislang aufwändigsten UN-Report zur Biodiversität. Der Soziologe Jens Jetzkowitz, einer der Autoren, warnt: Das Aussterben von Arten bedroht auch den Menschen.
Auf der UN-Konferenz zur Artenvielfalt in Paris debattiert der sogenannte Weltartenschutzrat mit Delegierten aus aller Welt den globalen Report zum Zustand der Natur. Es ist der bisher umfassendste Öko-Check, erstellt von 150 Experten. Noch sind die Details nicht veröffentlicht. Doch einer der Autoren, der Soziologe Jens Jetzkowitz, spricht schon jetzt von "Alarmsignalen". Im Deutschlandfunk Kultur sagte er:
"Es geht nicht um das Sterben von einzelnen Arten, sondern es geht um ein Massenaussterben - Massenaussterben von Tieren und Pflanzen. Da wissen wir aus der Erdgeschichte, dass durch so ein Massenaussterben von Arten ganze Ökosysteme zusammengebrochen sind. Und mit dem Zusammenbruch von Ökosystemen bricht für uns Menschen, die menschlichen Gesellschaften auch im Wesentlichen zusammen, was wir an Dienstleistungen aus der Natur mit beziehen."
Hoffen auf den "Paris-Moment"
Dabei gehe es zum Beispiel um den Aufbau von Böden oder deren Filterfähigkeit. Unter den Wissenschaftlern sei unumstritten, so Jetzkowitz, dass das massenhafte Artensterben menschengemacht sei. Von der Konferenz erhofft er sich einen "Paris-Moment" ähnlich dem 1,5-Grad-Ziel, das auf der UN-Klimakonferenz 2015 festgelegt worden war. Den Regierungen müsse klargemacht werden, "dass hier dringend gehandelt werden muss". Auf Europa und Deutschland bezogen heiße das vor allem: ein Umbau der Agrarpolitik.
(bth)
Das Interview im Wortlaut:
Stephan Karkowsky: In Paris wird ab heute auf einer internationalen Konferenz der neue UN-Report über die weltweite Artenvielfalt diskutiert. 150 Experten machen eine Inventur der Natur und versuchen, 100 Regierungsexperten von ihren Ergebnissen zu überzeugen. Einer der Autoren des Reports ist Jens Jetzkowitz, der Soziologe arbeitet am Museum für Naturkunde Berlin. Guten Morgen!
Jens Jetzkowitz: Schönen guten Morgen, Herr Karkowsky!
Karkowsky: Eine Woche später erst will der Weltbiodiversitätsrat die gemeinsamen Ergebnisse veröffentlichen. Warum jetzt diese Geheimniskrämerei?
Jetzkowitz: Es ist eigentlich keine Geheimniskrämerei, es ist Teil eines ganz üblichen Verhandlungsprozesses der Vereinten Nationen. Da kommen die Vertragsstaaten zusammen, also die, die im sogenannten Weltbiodiversitätsrat dabei sind, nur 132 Staaten um genau zu sein, und die gucken sich unseren Bericht an, also den, den wir jetzt in den letzten drei Jahren erarbeitet haben, und versuchen sozusagen, mit den Vertretern der Wissenschaft jetzt noch mal durchzusprechen, welche Formulierungen wie zu gewichten sind und ob man vielleicht andere Formulierungen wählen kann. Da geht es wesentlich um Formulierungsfragen, weniger um die wissenschaftlichen Expertisen, die da jetzt eingegangen sind.
Alarmsignale leuchten auf
Karkowsky: Also offiziell dürfen wir noch nicht reinschauen, aber es ist vermutlich nicht schwer zu erraten, dass die Artenvielfalt, also die Biodiversität weltweit abnimmt, oder?
Jetzkowitz: Ja. Das ist etwas, was man in der Öffentlichkeit ja durchaus schon breit diskutiert, in der Wissenschaft jetzt eigentlich seit 1960. Da gab es berühmte Publikationen, die das Aussterben – das Massenaussterben muss man korrekterweise sagen – zum Thema machten, und seitdem ist das wissenschaftlich gut untersucht. Nur wir gehen davon aus, dass die Hintergrundrate des Aussterbens, also das, was man normal im Evolutionsprozess, in dem wir uns ja alle befinden, die ganze Natur, in der menschliche Gesellschaften eingelebt sind, die sind ja Teil eines Evolutionsprozesses. In dem gibt es eine sogenannte Hintergrundrate des Aussterbens – also Arten entstehen, Arten verändern sich, Arten sterben aus, das ist ein ganz normaler Prozess –, aber die – und das kann man wissenschaftlich berechnen – ist derzeit tausendfach höher als das zu anderen Zeiten des Evolutionsprozesses der Fall ist, und das ist lässt Alarmsignale schlagen.
Karkowsky: Aufleuchten. Die Intergovernmental Science Policy Platform on Biodiversity in Ecosystem Services, lange Wort, auf Deutsch: zwischenstaatliche Plattform für Biodiversität und Ökosystemdienstleistungen, nennt sich kurz Biodiversitätsrat, eine UN-Organisation mit Sitz in Bonn – sind sich denn die daran beteiligten Wissenschaftler in großer Mehrheit weltweit so einig über die Rate des Artensterbens wie beim Klimawandel?
Jetzkowitz: Es gibt unterschiedliche Forschergruppen, die jetzt unterschiedliche Hintergrundsterberaten, die das Massenaussterben in unterschiedlicher Weise beziffern, das variiert zwischen einem hundertfach höheren oder erhöhten Massenaussterben oder einem zehntausendfachen, aber die Tendenz – es gibt Uneinigkeit, aber die Tendenz – ist doch sehr eindeutig, und da sind wir uns alle einig, muss man sagen.
Karkowsky: Nun hat es ja schon mehrere dieser Massenartsterben in der Artgeschichte gegeben. Wie sicher sind sich denn die Forscher, dass dieses menschgemacht ist?
"Massenartensterben ist anthropogen"
Jetzkowitz: Also da kann man sich tatsächlich ziemlich sicher sein. Zu den Gründen gibt es natürlich immer Diskussionen, aber es ist, glaube ich – da kann ich das "glaube ich" sogar streichen –, es gibt neben dem Klimawandel, von dem ja gut belegt ist, dass er anthropogen ist, einen Wandel von Landnutzungsformen, also dass wir Wälder abholzen oder Moore trockenlegen und sie landwirtschaftlich nutzen, das ist ein wesentlicher Faktor, und dann die auch durch unsere Globalisierung und durch das Austauschen von Waren und von Menschen, das wir über unsere Mobilitätssysteme aufgebaut haben, die Ausbreitung sogenannter gebietsfremder Arten, die in andere Regionen kommen und dort Lebensraum auch bewegen und besetzen, das führt sozusagen zu diesem großen Massenartensterben, in dem wir uns befinden, und da kann man sicher sein, dass das anthropogen ist.
Karkowsky: Ich muss trotzdem mal die Mütze der Relativierer aufsetzen, denn wenn man den Menschen als Teil der Natur betrachtet und der Mensch quasi die Erde so formt, wie sie ihm am besten passt, warum sollte man dann nicht den Dingen ihren Lauf lassen? Ich meine, keiner will doch heute mehr einen Säbelzahntiger im Vorgarten stehen sehen.
Jetzkowitz: Das stimmt sicherlich, und man kann sich immer fragen, ist diese einzelne Art wichtig, ist es wichtig, dass wir die Bachschmerle noch in Berlin habe oder kann sie ruhig mal für eine andere Zeit ins Umland nach Brandenburg ziehen und nur noch dort vorkommen. Sicherlich kann man solche Fragen stellen, aber wie gesagt, es geht nicht um das Sterben von einzelnen Arten, sondern es geht um ein Massenaussterben.
Massenaussterben von Tieren und Pflanzen, da wissen wir aus der Erdgeschichte, dass durch so ein Massenaussterben von Arten ganze Ökosysteme zusammengebrochen sind, und mit dem Zusammenbruch von Ökosystemen bricht für uns Menschen, für die menschlichen Gesellschaften, auch im Wesentlichen zusammen, was wir an Dienstleistungen aus der Natur mitbeziehen. Also dass Böden aufgebaut werden, dass Böden filterfähig sind, eine Filterfähigkeit haben, dass Naturstoffkreisläufe in Bewegung sind und Biomasse erzeugen oder wieder abbauen – all das sind Dienstleistungen, so sagen wir in der Wissenschaft mittlerweile, der Natur, die wir als Gesellschaft wie selbstverständlich in Anspruch nehmen. Das hängt im Wesentlichen mit der Artenvielfalt zusammen.
Karkowsky: Am Ende ist also der Mensch selbst bedroht vom Massenartensterben.
Jetzkowitz: So sieht es aus.
"Es muss dringend gehandelt werden"
Karkowsky: Nun wissen wir davon ja nicht erst seit gestern. Sie sagen, seit den 60er-Jahren weiß man das im Grunde genommen, dass es darauf hinausläuft. Kann denn Ihr Bericht diese Entwicklung aufhalten?
Jetzkowitz: Also tatsächlich hoffen wir alle, die daran gearbeitet haben, dass hier jetzt so ein Paris-Moment, wie es in der Klimaforschung mit dem Bericht zum 1,5-Grad-Ziel entstanden ist, dass wir das hier auch erzeugen können und der Welt, den Regierungen klarmachen können, dass hier dringend gehandelt werden muss.
Karkowsky: Wie würde dieses Handeln denn aussehen?
Jetzkowitz: Also da muss man tatsächlich sagen, das ist anders als in der Klimaforschung. Dort geht es immer um CO2 oder die Reduzierung von klimaschädlichen Gasen. Da kann man die technischen Möglichkeiten relativ klar benennen. Bei der Biodiversität muss man von Region zu Region, also von Bioregion zu Bioregion gucken, und für Deutschland oder für Europa muss man tatsächlich sagen, hier steht endlich ein Umbau der Agrarpolitik an. Das ist etwas, was dringend nötig ist, gerade jetzt auch vor dem Hintergrund der Verhandlungen, die wir bei der EU haben zu einer Neuausrichtung der Agrarpolitik.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.