Wajdi Mouawad wird Theaterchef
Der Regisseur Wajdi Mouawad ist im Libanon geboren und hat in Frankreich und Kanada gelebt. In Deutschland machte ihn sein Stück "Verbrennungen" über den libanesischen Bürgerkrieg bekannt. Jetzt will er das Pariser Théatre National de la Colline in ein internationales Haus verwandeln.
Wajdi Mouawad: Autor, Regisseur, Schauspieler; 1968 geboren, eine Kindheit im Libanon, eine Jugend in Frankreich, das Erwachsenwerden in Kanada.
Schauspielstudium in Montreal, Gründung eigener Theater-Compagnien in Kanada und Frankreich, Künstlerischer Direktor verschiedener Bühnen in beiden Ländern. 28 Theaterstücke hat er geschrieben, viele wurden übersetzt. Er inszenierte und spielte auch in Moskau und Berlin, ein Theaterprojekt mit 50 Jugendlichen zeigte er in Athen und Auschwitz und dem senegalesischen Dakar.
Überhaupt die Jugendlichen: sie gehen Wajdi Mouawad auch jetzt nicht aus dem Kopf, da er Intendant der wichtigsten französischen Bühne für zeitgenössisches Theater geworden ist: des Théatre National de la Colline, ein großes Haus im Pariser Osten, nur sechs Nationaltheater gibt es in Frankreich. Jeden Tag, erzählt Wajdi Mouawad, würde er sich sagen:
"Ich muss was für junge Leute machen, ich muss was für junge Leute machen..."
Ein "Hamlet"-Erlebnis brachte ihn darauf: die Erkenntnis, dass Hamlet, Ophelia, Laertes, die jungen Hauptfiguren in Shakespeares Tragödie, zugrunde gehen, weil sie für die Irrtümer, die Fehler, die Gemeinheiten ihrer Eltern einstehen müssen.
"Das Thema der Adoleszenz berührt mich sehr"
"Als ich das mit 18 Jahren zum ersten Mal las, erinnerte es mich sofort an die Situation meiner Generation im libanesischen Bürgerkrieg und was ich damals erlebt habe und noch immer mit mir herumtrage. Dieses ganze Thema der Adoleszenz berührt mich sehr. Und wir arbeiten mit jungen Erwachsenen in Theaterprojekten und Schreibwerkstätten, nicht, indem wir ihnen sagen, was sie machen sollen, sondern indem wir sie bitten, uns von ihnen zu erzählen – immer rund um die Frage: was versteht man von euch nicht? Das ist genau die Frage, von der ich als 17-Jähriger immer wollte, dass man sie stellt."
Wajdi Mouawad hat viele Jugendprojekte initiiert, fast alle Figuren seiner Theaterstücke sind junge Erwachsene.
"Das ist das Alter, in dem man in so einer Leere steckt. Man sieht noch die Kindheit, der man nicht mehr angehört, und man sieht die Welt der Erwachsenen näher rücken, die etwas Angsterregendes hat. Und – man hat einen großen Nebel in sich, es ist schwer, Vertrauen zu sich zu entwickeln, und man hat das Gefühl, notwendigerweise seine ganzen Träume verraten zu müssen… Das macht einen wütend, man fühlt sich schlecht, irgendwie minderwertig… Vielleicht ist es genau das, was mich am meisten berührt."
Das ideale zeitgenössische Theater ist für Wajdi Mouawad eines, in dem Autoren ihre eigenen Texte inszenieren. Sechs der 18 Premieren der nächsten Saison werden diesem Autorentheater gewidmet sein. Einer von Ihnen ist Paul Toucang, dessen Stück "Lourdes" fanatisierte junge Erwachsene auf einer Pilgerfahrt nach Lourdes beschreibt, umgeben von Sündern und vergebenen Sünden, auf der Suche nach Lebenssinn und Poesie.
"Ich kann Ihnen nicht sagen, wer Paul Toucang ist, denn er hat noch nie etwas gemacht. Dies ist sein erstes Stück, seine erste Inszenierung."
Wajdi Mouawad vertraut seinem Intellekt und seinem Instinkt.
"Plötzlich hatte ich einen erstaunlichen Text in der Hand"
"Wenn Sie mit Schauspielschülern arbeiten, ist immer mal wieder einer dabei, der schreibt, meistens heimlich. Und dann bekommt man es vielleicht zu lesen. So erging es mir: plötzlich hatte ich einen ganz erstaunlichen Text in der Hand, einen, der sich überhaupt nicht in Frage stellt. Und ich dachte mir: dieser Mann ist wie ein Schlafwandler oben auf dem Dachfirst, schnell, schnell, ehe er aufwacht! Du musst ihm sofort eine Chance geben, sein Stück zu zeigen!"
Im bekanntesten seiner eigenen Stücke, "Verbrennungen", erzählt Wajdi Mouawad von einem Geschwisterpaar im Libanon, das die Vergangenheit ihrer Mutter rekonstruiert, die nach jahrelangem Bürgerkrieg im Alter stumm geworden ist. Das Rätsel menschlicher Gewalt, seine Verlorenheit, der Umgang mit Schuld: sind zentrale Themen des Autors Wajdi Mouawad, und als Theaterleiter bringt er sie mit Leidenschaft in den Pariser Osten, von Migranten geprägt das ganze Viertel: sie sollen in seinem Theater von sich erzählen können und Fragen stellen und Antworten finden und neue Fragen. Es sei doch ein schönes Sinnbild, sagt Wajdi Mouawad, dass sein Theater genau zwischen diesem bunt-belebten Viertel und dem Père Lachaise liegt, dem größten Friedhof von Paris.
"Dieses Theater liegt also zwischen den Lebenden und den Toten – und das entspricht doch genau dem, was das Theater ist. Es erinnert die Lebenden an die Toten und kümmert sich um den Schmerz der Lebenden: es wird ein Spiegel für diesen Schmerz des Einzelnen und für den Schmerz der Zeit."