Das Vermächtnis von Christo und Jeanne-Claude
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Jahrzehntelang planten die Verhüllungskünstler Christo und Jeanne-Claude, den Arc de Triomphe in Paris zu verhüllen. Im Herbst wird das Projekt der mittlerweile verstorbenen Künstler nun endlich realisiert.
Am Place de Charles-de-Gaulle mit seinem berüchtigten Kreisverkehr herrscht wie immer Verkehrschaos. Insgesamt zwölf Straßen laufen hier sternförmig zusammen. Auch im Zentrum des Platzes, am berühmten Triumphbogen, herrscht derzeit geschäftiges Treiben: 150 Arbeiter sind dabei, Metallgerüste aufzustellen, damit rechtzeitig zur Eröffnung der Kunstaktion am 18. September alles fertig sein wird.
Projektleiter ist Jonathan Henery, Christos Neffe, der seit vielen Jahren das künstlerische Team leitet. Er kommentiert: "Der verhüllte Arc de Triomphe ist das erste Projekt, das nach dem Tod von Christo und Jeanne-Claude realisiert wird. Wir werden es genau so umsetzen, wie Christo es zu Lebzeiten entworfen hat. Die ersten Projektskizzen des verhüllten Arc de Triomphe hatte Christo in Paris bereits vor mehr als 50 Jahren angefertigt, noch bevor er in die Vereinigten Staaten übersiedelte."
Ein Traumpaar, das sich lautstark fetzen konnte
Eigentlich wollte Christo den Pariser Arc de Triomphe bereits 1962 verhüllen. Damals lebten er und seine Partnerin Jeanne-Claude in der Metropole an der Seine. Doch das Projekt war nicht durchsetzbar. Der Fotograf Wolfgang Volz erinnert sich: "Die beiden waren ein ideales Paar. Und sie waren trotzdem darüber hinaus die größten Kampfhähne, die man sich überhaupt nur vorstellen kann."
Auf seinen Fotografien hat er über Jahrzehnte hinweg exklusiv das Werk der beiden Künstler festgehalten – so wie jetzt den Pariser Triumphbogen. "Die konnten sich fünf Minuten unheimlich lautstark fetzen, um danach zu lachen, sich einen Kuss zu geben, und dann war wieder alles okay. Denn in der Zeit, wo gestritten wurde, hatte sich ergeben, wie die Zusammenarbeit immer wieder zu neuen Lösungen geführt hat. Und darin war Jeanne-Claude unheimlich gut."
Knapp 60 Jahre später ist es endlich so weit: Der von Kaiser Napoleon I. zur Verherrlichung seiner Siege 1806 in Auftrag gegebene Triumphbogen – in dem auch das Grabmal des unbekannten Soldaten aus dem Ersten Weltkrieg liegt – wird verhüllt.
Verhüllen, um zu enthüllen
Projektleiter Jonathan Henery erläutert:"Der Arc de Triomphe wird mit einem blauen Polypropylengewebe verhüllt, das mit silberner Farbe überzogen ist. Es wirkt so, als hätte man eine Aluminiumschicht auf den Stoff gesprüht, ganz ähnlich wie beim verhüllten Reichstag 1995, aber mit dem Unterschied, dass das recycelbare Gewebe beim Arc de Triomphe blau ist.
Je nach Lichteinfall wird das Gebäude farblich changieren: mal strahlend weiß, mal tiefblau, dann wieder mehr grau. Außerdem verwenden wir 3000 Meter rotes Seil, mit dem das Gewebe so drapiert wird, wie Christo es entworfen hat."
Jede einzelne Stofffalte wurde am Computer geplant
"Verhüllen, um zu enthüllen" – so umschrieben Christo und Jeanne-Claude selbst ihre Kunst. Das speziell angefertigte Polypropylengewebe sorgt dafür, dass der Triumphbogen nur noch schemenhaft an seinem Profil erkennbar sein wird. Mithilfe von Computersimulation hatte Christo jede einzelne Falte vorab geplant.
Anschließend wurden 25.000 Quadratmeter des Kunststoffgewebes von Näherinnen in Mecklenburg-Vorpommern in elf Bahnen zugeschnitten. Jede von ihnen ist 52 Meter lang und wiegt fast eine Tonne. Auch deshalb wurden extra flache Stahlkäfige gefertigt, um die Dach- und Seitenornamente des Triumphbogens sowie kleinste Verzierungen am Denkmal zu schützen:
Henery erzählt: "Vor seinem Tod 2020 hatte Christo bis ins kleinste Detail festgelegt, wie das Projekt umgesetzt werden soll, wie der verhüllte Arc de Triomphe auszusehen hat. Christo war mehrfach in Paris, um alles zu testen. Und er hat zu Lebzeiten testamentarisch verfügt, dass sein Team das Projekt auch ohne ihn zu Ende führen soll."
Christo war Selbstzahler
Wie immer hat Christo sein Kunstwerk aus der eigenen Tasche bezahlt: Das 14 Millionen Euro teure Kunstspektakel kommt ohne Sponsorengelder und Zuwendungen der Stadt Paris aus. Finanziert wird es allein durch den Verkauf von Originalen: Zeichnungen, Skizzen, Collagen, Lithografien, die Christo in seinem New Yorker Studio vor seinem Tod angefertigt hatte.
Wie alle Projekte von Christo und Jeanne-Claude ist auch der verhüllte Triumphbogen zeitlich begrenzt und nur 16 Tage lang zu sehen. Ob es dem Künstlerehepaar posthum gelungen ist, die massige Herrschaftsarchitektur des Pariser Wahrzeichens in ein Sinnbild der Anmut und Freude zu verwandeln, das wird sich zeigen. Ein unwiederholbares Kunsterlebnis wird es in jedem Fall sein.