Paritätische Mitbestimmung ein "Irrweg"

Moderation: Hanns Ostermann |
Vor dem Hintergrund der Korruptionsaffäre im Volkswagen-Konzern hat der stellvertretende FDP-Parteivorsitzende Rainer Brüderle die Reform der Mitbestimmung und die Abschaffung des so genannten VW-Gesetzes gefordert. Die Vorgänge machten deutlich, dass die paritätische Mitbestimmung ein "Irrweg" sei, sagte Brüderle.
Ostermann: Ein Konzern am Scheideweg. Neu ist das nicht in einer wirtschaftlich schwierigen Zeit. Prekär allerdings wird die Lage, wenn einerseits die Belegschaft zu einem strikten Sparkurs aufgefordert wird und sich andrerseits skandalöse Dinge abgespielt zu haben scheinen. Die Rede ist vom VW-Konzern, der in seiner wohl schwierigsten Krise steckt. Hat der Vorstand des Unternehmens den Betriebsrat gekauft? Wurden VW-Mitarbeiter als Strohmänner bei Geschäften mit dem eigenen Konzern bedacht? Zahlreiche Fragen sind derzeit unbeantwortet, und die Staatsanwaltschaft in Braunschweig muss sich durch einen Berg von Akten arbeiten. Am Telefon begrüße ich Rainer Brüderle, den stellvertretenden Vorsitzenden der FDP und ihr wirtschaftspolitischer Sprecher im Bundestag. Herr Brüderle, Sie haben davon gesprochen, solche Vorgänge könnten "der Sargnagel des deutschen Mitbestimmungsmodells werden". Was hat der Skandal denn mit der Mitbestimmung zu tun?

Brüderle: Solche Skandale machen immer deutlich, wo strukturelle Schwächen sind. Unternehmensverfassungen und die deutsche paritätische Mitbestimmung müssen dringend reformiert werden. Das wird an solchen Fällen klar. Wir haben auch andere Fälle gehabt, zum Beispiel bei Mannesmann, wo Ähnliches klar wird. Es hat sich eine Grauzone entwickelt jenseits des Aktienrechts, wo sich offensichtlich Manager und Gewerkschaftler arrangieren, einmal über Bezüge, über Sondervergütungen, Sonderprämien, hier über Vergünstigungen offenbar für führende Gewerkschaftsmitglieder oder Betriebsratsvorsitzende. Ich will jetzt nicht den Ermittlungen vorgreifen, Ermittlungen, die VW dankenswerterweise selbst initiiert hat durch eine fremde Wirtschaftsprüfungsgesellschaft. Aber eine solche Struktur begünstigt dies, wenn solche Kungelsphären entstehen, wenn man sehr früh bei der paritätischen Mitbestimmung sich auf Konsens hineinbewegen muss. Man kann nicht ständig im Konflikt sein, deshalb wird man sich relativ früh arrangieren, und deshalb werden solche Netzwerke oder wechselseitige Verstrickungen von der Struktur her begünstigt. Deshalb muss die Struktur auf den Prüfstand.

Ostermann: Aber andere Autobauer wie Porsche und BMW haben einen guten Ruf und keine andere Mitbestimmung als VW. Also schlüssig ist Ihre These doch nicht?

Brüderle: Doch, denn VW hat ein paar Besonderheiten. VW hat durch das VW-Gesetz Regelungen, dass, egal wie viel Aktien sie haben, keiner mehr als 20 Prozent der Stimmrechte hat. Es hat die Besonderheit, dass das Land Niedersachsen als politisch geführtes Land der wesentliche Entscheidungsgeber bei VW ist. Das sind schon Besonderheiten. Es ist dort eine sehr dominante und starke Stellung der IG Metall. Also es kommen offensichtlich hier besondere Berührungspunkte zusammen, die strukturelle Schwächen, die es generell gibt. Ich beklage auch generell, dass die Unternehmensverfassung reformiert werden muss. Ich halte generell den Weg zur paritätischen Mitbestimmung, den kein anderes wesentliches Industrieland der Welt gegangen ist, für Irrwege, die jetzt in der Zeit der Europäisierung, der Globalisierung und Internationalisierung korrigiert werden müssen.

Ostermann: Sie haben die Landesbeteiligung an einem Autokonzern angesprochen. Dann müssten Sie ja jetzt der Landesregierung in Hannover vorschlagen, sich zurückzuziehen.

Brüderle: Das war schon immer meine Auffassung.

Ostermann: Auch die der FDP?

Brüderle: Auch der FDP. Das ist vor Ort auch von dem Landesverband so gesehen worden. Es ist in den Koalitionsverhandlungen mit der CDU nicht erreicht worden. Aber ich halte generell Einflussnahmen des Staates bei großen Unternehmen für falsch. Da muss man einen geeigneten Zeitpunkt haben, wie auch der Bund nach vielen Wehen sich von der Telekom und von der Post schrittweise entfernt, was der Sache gut tut, was die Wettbewerbssituation bereinigt, weil es zu Verzerrungen führt. Sie wissen ja auch, dass die Europäische Gemeinschaft das VW-Gesetz immer wieder angegriffen hat, gesagt, hier ist ein Sonderstatuts, das passt nicht zum europäischen Kapitalmarkt. Man muss fairerweise sagen, es gibt andere europäische Länder, die auch Fehlentwicklungen haben, etwa die so genannte "goldene Aktie" oder Mehrfachstimmrechten. Das muss beseitigt werden, damit wir zu einem funktionierenden europäischen Kapital- und Finanzmarkt kommen.

Ostermann: Nun warnten Unionspolitiker davor, die Mitbestimmung generell in Frage zu stellen. Ganz offensichtlich zieht Schwarz-Gelb auch hier nicht an einem Strang.

Brüderle: Wir stellen ja auch nicht die Mitbestimmung generell in Frage. Wir sind durchaus der Meinung, dass Mitbestimmung einen Sinn hat. Wir stellen aber bestimmte Fehlentwicklungen in Frage, zum Beispiel die paritätische Mitbestimmung, 50 Prozent der Sitze auf der Arbeitnehmerseite, und davon das so genannte "Gewerkschaftsprivileg", betriebsfremde Gewerkschaftsfunktionäre in den Gremien drin. Das kann man sich in einem Fall ganz deutlich vor Augen führen. Bei der Lufthansa ist stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender Herr Bsirske, der verdi-Chef, der nach dem Aktiengesetz die Aufgabe hat, das Wohl des Unternehmens und seiner Mitarbeiter zu fördern. Aber gleichzeitig ist er als verdi-Chef der Streikführer gegen Lufthansa gewesen. Erklären Sie mal, wie das funktionieren soll, dass einer im Aufsichtsrat sitzt, die Interessen des Unternehmens und seiner Mitarbeiter wahrnehmen soll und gleichzeitig von außen der Lobbyist ist als Streikführer der Gewerkschaft gegen das Unternehmen. Ich habe das früher auch gegeißelt auf der Seite der Banken. Das hat sich durch die Schieflage vieler Banken ein Stück entschärft. Aber ich halte es auch nicht für in Ordnung, wenn eine Bank wesentliche Anteile an einem Unternehmen hat, gleichzeitig wesentlicher Kreditgeber ist - in Frankreich dürfen sie dann die Stimmrechte nicht ausüben - und dann sind sie noch gleichzeitig Treuhänder für andere kleine Aktionäre. Hier gibt es offensichtlich eine Interessenskollision, und deshalb ist hier ein Bedarf, die Unternehmensverfassungen zu ändern, auch die Balance zwischen Vorstand und Aufsichtsrat. Der Aufsichtsrat soll nicht den Vorstand decken, sondern kontrollieren. Sie müssen kleiner und effektiver werden und durch bessere Ausstattung in die Lage versetzt werden, Unternehmensführung, Vorstände besser zu kontrollieren.

Ostermann: Wie bewerten Sie die Vorschläge, dass auch freigestellte Betriebsräte ihre Gehälter und Vergünstigungen offen legen müssen?

Brüderle: Ich würde das halten wie bei den Managern - das ist meine Auffassung. Die Eigentümer, denen das Unternehmen gehört, legen fest, was ihre Manager kriegen, was Betriebsräte kriegen. Ob es öffentlich oder nicht öffentlich gemacht wird, hier muss der Eigentumsgedanke gestärkt werden.

Ostermann: Vielen Dank für das Gespräch.