Simone Schmollack, geboren 1964 in Berlin, ist Journalistin und Autorin zahlreicher Bücher, darunter "Und er wird es wieder tun. Gewalt in der Partnerschaft", "Kuckuckskinder. Kuckuckseltern", "Deutsch-deutsche Beziehungen. Liebe zwischen Ost und West" und "Damals nach der DDR. Geschichten von Abschied und Aufbruch". Simone Schmollack studierte Germanistik, Slawistik und Journalistik in Leipzig, Berlin, Smolensk und war Redakteurin der Tageszeitung "taz" und Chefredakteurin bei der Wochenzeitung "Der Freitag". Sie beschäftigt sich vor allem mit Themen an der Schnittstelle von Politik, Wirtschaft und Privatheit.
Die Hälfte des Bundestags für Frauen!
Zum 100. Jahrestag des Frauenwahlrechts forderte Justizministerin Barley, das Wahlrecht zu ändern, damit gleich viele weibliche und männliche Abgeordnete in politischen Gremien vertreten sind. Die Journalistin Simone Schmollack fordert das schon länger - und erklärt, warum.
Stellen Sie sich vor, Sie schalten an einem Sonntagabend im Herbst 2021 den Fernseher ein und die Tagesschau-Sprecherin verkündet: "Hier die Ergebnisse der Bundestagswahl: Im neuen Parlament sitzen 350 Frauen und 350 Männer."
Eine schöne Vision. Und es wird wohl eine bleiben. Denn ein Paritätswahlgesetz, das ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis in politischen Gremien sicherstellt, gibt es in Deutschland nicht. Alle Anstrengungen, die sogenannte Parité hierzulande zu verankern, sind bislang schon im Ansatz gescheitert. Dabei ist ein solches Gesetz gerade in diesen Tagen, da wir 100 Jahre Frauenwahlrecht feiern, das Gebot der Stunde. Es wäre nicht nur ein Fortschritt für die Frauen, sondern ein Fortschritt für die Demokratie insgesamt: Ein Parlament, das die Hälfte der Bevölkerung auch zur Hälfte beteiligt, ist schlicht gerecht.
Die Realität in Deutschland sieht anders aus: Der Frauenanteil im Bundestag liegt bei knapp 31 Prozent, in den Kommunalparlamenten sind es sogar nur 25 Prozent. Bei Führungspositionen in den Kommunen gestaltet es sich noch dramatischer: Nur jedes zehnte Rathaus wird von weiblicher Hand regiert. Ohne die parteiinternen Quoten bei Grünen, Linkspartei und SPD sähe es noch schlechter aus.
Menschen entscheiden aus ihrer Lebensrealität heraus
Das Problem fehlender Geschlechterausgewogenheit liegt auf der Hand: ein Männerparlament trifft andere Entscheidungen als eines, in dem gleichermaßen Frauen und Männer das Sagen haben. Ein schönes Beispiel ist die Verkehrs- und Städteplanung. Die feministische Geografie hat schon vor mehr als 20 Jahren herausgefunden, dass Männer vor allem das Auto und dafür entsprechende Magistralen im Blick haben, während sich Frauen mehr Busse, Straßenbahnen und Platz für Fußgänger, Ältere und Menschen mit Behinderungen wünschen. Weil Frauen noch immer häufiger als Männer zu Fuß oder mit dem Kinderwagen unterwegs sind, präferieren sie kurze Wege und sozial gestaltete Kieze. Menschen entscheiden nicht nur mit dem Kopf, sondern vielfach aus ihrer Lebensrealität heraus. Wenn im Parlament mehr Männer Beschlüsse fällen, gehen diese häufig zu Lasten weiblicher Bedürfnisse: kaum abgesenkte Bürgersteige, selten verkehrsberuhigte Straßen, mangelnder ÖPNV.
Dabei könnte es so einfach sein. Frankreich macht es vor. Seit 2001 müssen die Kandidatenlisten dort je zur Hälfte mit Frauen und Männern besetzt sein, sonst werden sie zur Wahl nicht zugelassen. Auf diese Weise stieg der Frauenanteil in der französischen Nationalversammlung im vergangenen Jahr auf 39 Prozent.
Neben Frankreich verfahren auch Länder wie Irland, Belgien und selbst Tunesien nach dem Paritätswahlrecht. Das führte in dem arabischen Land zu einem Frauenanteil unter den Abgeordneten von 36 Prozent.
Ziel: Gleicher Zugang zu politischer Macht
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, eine Parität zu erreichen. So können die Wahllisten mit Tandems versehen werden, also mit jeweils einer Frau und einem Mann. Die Wählerinnen und Wähler geben aber nur eine Stimme ab, gewählt würde dann das weiblich-männliche Duo. Oder Geschlechterverschiebungen werden über die Wahllisten ausgeglichen. Gewinnt beispielsweise eine Partei acht Direktmandate und vier davon sind Männer, würde die Parität hergestellt, wenn nun ausgleichend die Listen-Kandidatinnen ein Mandat erhielten.
Kritikerinnen und Kritiker mögen jetzt anmerken, dies sei undemokratisch und eine Bevorzugung von Frauen. Unabhängig davon, dass von der Ausgleichsmethode auch Männer profitieren, wenn Direktmandate verstärkt von Frauen gewonnen werden, zielt das Paritätsgesetz auf den gleichen Zugang zu politischer Macht - und das jenseits des Geschlechts.
Zugegeben: In Deutschland würden zunächst Frauen die größeren Nutznießerinnen der Parité sein. Aber das korrigiert lediglich die Ungerechtigkeiten des aktuellen Wahlsystems. Es ist im 21. Jahrhundert schlicht nicht mehr zeitgemäß, wenn die Hälfte der Bevölkerung nicht auch zur Hälfte politisch vertreten wird. Ein Paritätswahlgesetz muss her, und zwar jetzt.