Redaktion: Carsten Burtke
Regie: Giuseppe Maio
Technik: Christoph Richter
Sprecherin: Meike Rötzer
Vorgarten, Fitnessstudio, Club
Der Görlitzer Park in Berlin profitiert von hohem Bürgerengagement, kämpft aber auch mit Problemen wie Drogendealerei. © Brigitte Schulz
Der Stadtpark der Zukunft
29:54 Minuten
Stadtparks sind eine Errungenschaft der Demokratie: Menschen aller Schichten begegnen sich hier. Mit allen Problemen, die das mit sich bringt. Immer mehr Aktivitäten verlagern sich hierhin. Daneben sind sie auch fürs Klima von unermesslichem Wert.
Ein Nachmittag im Volkspark Berlin-Wilmersdorf: Kinder üben Skateboardfahren, eine Gruppe Jugendlicher picknickt auf dem Rasen. Jogger drehen ihre Runden und im Schatten alter Buchen grübeln ältere Männer über ihrem Schachbrett. Es ist ein typischer Volkspark, offen für alle. Außergewöhnlich hier sind die unterschiedlichsten Freizeit- und Sportmöglichkeiten: Es gibt zahlreiche Spielplätze mit Holzburgen und Klettergerüsten, einen Fußballplatz, Fitnessgeräte, Tischtennisplatten und einen Minigolfplatz.
„So, kommen Sie doch mal ein bisschen näher ran. Also wir sind jetzt im formalen Teil dieser Parkanlage. Man muss sich das noch ein bisschen üppiger vorstellen, mit Kübelpflanzen mit vielleicht auch schönen Ein-Jahres-Pflanzen. Es war schon noch ein bisschen üppiger als Bürgerpark herausgeputzt.“
Norbert Kühn, Professor für Landschaftsarchitektur und Umweltplanung der Technischen Universität in Berlin, auf Exkursion mit seinen Studentinnen und Studenten. Ihm ist wichtig, dass sie auch die Geschichte des Volksparks Wilmersdorf kennenlernen: Der entstand vor rund 100 Jahren. Damals war es vor allem das wohlhabende Bürgertum, das den Park zum Flanieren nutzte und sich an der Natur und den Pflanzen erfreute, den Rasen allerdings durfte man nicht betreten.
Erste öffentliche Parks im 18. Jahrhundert
Die ersten öffentlichen Grünanlagen entstanden Ende des 18. Jahrhunderts und glichen einer Revolution: Zuvor waren Parks ausschließlich Königsfamilien und Adligen vorbehalten. 1825 entstand in Deutschland der erste Park, der von einer Stadt in Auftrag gegeben wurde: der Klosterberggarten in Magdeburg. Als sogenannter „Volksgarten“ war er Vorbild für weitere Grünanlagen. Für den preußische Garten- und Landschaftsarchitekten Gustav Meyer waren die Volksgärten „Stätten der Bewegung, der Erholung, Orte geselliger Unterhaltung, auch des Naturgenusses, der Bildung und der Veredelung der Sitten“.
Als immer mehr Menschen in die Städte zogen, änderten sich deren Bedürfnisse und damit auch die Parks, erzählt Norbert Kühn: „Mit der Zeit kamen dann die eigentlichen Volksparks, wo es eigentlich wirklich darum geht, auch große Flächen zu haben für auch die proletarische Bevölkerung, das kam eigentlich dann mit der Industrialisierung zum Ende des neunzehnten Jahrhunderts. Und diese Dinge, die dann auch in der breiten Bevölkerungsschicht offen war und wo man auch versucht hat, sowas wie Sport zu integrieren. Und so ist eigentlich diese moderne Park-Idee entstanden, dass Parks nicht nur schön sein sollen, aber dass auch ganz viele soziale Dinge eine Rolle spielen dort.“
Vielfältige Nutzung heute
Heute sind Parks wichtiger denn je. Und noch nie wurden sie so vielfältig und häufig genutzt.
Samstagmittag im Berliner Volkspark in Schöneberg. Es ist Mitte Januar, plus 8 Grad. Eine Gruppe Erwachsener und Kinder hat sich um zwei Tischtennisplatten versammelt, gedeckt mit Salaten, Oliven, einer Himbeertorte und Obst.
„Also ich feiere heute meinen 49. Geburtstag mit meinem Sohn Felix, der ist 7. Und wir haben den so geplant, dass jeder Gast seine Heißgetränke in der Thermoskanne selbst mitbringt. Und damit wir nicht arg frieren, haben wir uns schon um 12 Uhr getroffen, also zur wärmsten Mittagszeit, wenn man von Wärme im Winter sprechen kann. Und um 13.30 Uhr werden zwei Pizzableche geliefert. Ich bin halt alleinerziehende Mutter und Corona-Risikogruppe. Und um das Ansteckungsrisiko gegen Null zu fahren, haben wir den Geburtstag nach draußen verlegt mit zusätzlich einem negativen Coronatest-Ergebnis.“
Seit Ausbruch des Coronavirus ist Martina Friedrichs bei jedem Wetter und zu jeder Jahreszeit in den öffentlichen Parks. Sogar Weihnachten feierte sie mit ihrer Schwester, deren Kind und Sohn Felix dort: „Wir hatten unseren Adventskranz dabei und verschiedene LED-Lichterketten. Und die Kinder haben dann gespielt im Birkenhain, der hinter der Schutzhütte liegt. Und irgendwann kam der Weihnachtsmann.“
Sport für alle - bei jedem Wetter
Mittlerweile ist es März. Etwa 50 Menschen stehen auf dem Rasen vor der Skulptur des Goldenen Hirschen im Rudolph-Wilde-Park, Schöneberg. Dehnübungen, Ausdauersport und Bauchmuskeltraining stehen auf dem Programm. Die Älteste ist 80, der Jüngste 7 Jahre alt – die Temperatur von plus 10 Grad schreckt niemanden ab: „Wir trainieren bei jedem Wetter, unabhängig von der Jahreszeit und der Temperatur, wir sind immer am Sonntag um 10.30 hier, und dann hat man mal minus 10 und auch mal plus 30 Grad, das gehört dazu. Und natürlich ist es so, wenn es etwas kälter und nässer ist, kommen weniger Leute. Das finde ich ganz toll, dass man in der Stadt so einen öffentlichen Raum so nutzen kann.“
Stojan Nikolov ist Trainer der Gruppe: Er geht herum, korrigiert, feuert an. Auf den Schultern sein zweijähriger Sohn, der die akrobatischen Übungen seines Vaters sichtlich genießt. „Schwitzen im Park“ heißt das sonntägliche Treffen, das Stojan Nikolov ehrenamtlich organisiert. Ihm geht es dabei um weit mehr als um Sport. „Früher gab es ja zum Beispiel die Kirche, wo sich alle am Sonntag getroffen haben und ausgetauscht haben. Das machen ja mittlerweile nicht mehr so viele Leute, und hier haben wir einen kleinen Platz, wo wir das nicht ersetzen, aber auf eine andere Art und Weise uns begegnen können. Und es haben so viele Leute sich schon kennen und sogar lieben gelernt. Also zwei Hochzeiten haben wir auch schon mitgemacht in den zehn Jahren.“
Das Training endet mit der üblichen Atemübung, einige Parkbesucher bleiben stehen und sehen erstaunt herüber. Die Gruppe steht noch lange zusammen. Schnell kommt man mit den anderen ins Gespräch, die Stimmung ist locker und gelöst. „Ganz besonders ist natürlich auch, dass jeder hier willkommen ist, egal, welchen Alters, welches Fitnesslevel, mit Kindern. Wir kommen mit Kindern und Hund hierher, ist einfach toll“, sagt eine Teilnehmerin.
„Also ich finde Sport sehr cool, und es macht mir auch Spaß, einfach hier mitzumachen, und manchmal kümmere ich mich um Ida, also meine kleine Schwester. Ich finde das hier toll. Und der ist auch superschön, der Park“, meint eines der Kinder.
Mehr Aktivitäten draußen seit der Pandemie
Seit der Corona-Pandemie verlagerten sich viele Aktivitäten nach draußen: Hier wird geturnt und getanzt, Chöre proben neue Lieder und sogar Unterricht und Therapiesitzungen fanden während der Lockdowns auf Parkbänken statt. Auch heute noch feiert man viele Kindergeburtstage und Hochzeiten in Parks.
Dabei verlangt der Bezirk für größere Veranstaltungen eigentlich eine Sondergenehmigung, erklärt Jochen Flenker, Leiter des Grünflächenamts Wilmersdorf: „Wir haben von Hochzeitenanfragen über Kindergeburtstage, Hüpfburg aufbauen... was haben wir noch? Alphörnerblasen... also das ist sehr, sehr bunt, die Anfragen, die wir bekommen. Und da sagen wir ganz klar nein, das geht gar nicht!“
Denn schon jetzt sei der Rasen stark übernutzt: nackte Erde, wo einst Gras wuchs, ausgetretene Wege. Bleibt der Regen längere Zeit aus, gleichen Teile der Wiese einer Steppe.
„Was mir aufgefallen ist, dass der Baum doch an Vitalität verloren hat. Und wenn Sie hier durchsehen, dann sehen Sie, dass oben die Krone licht ist, man sieht also Teile des Himmels.“ Norbert Kühn erklärt seinen Studierenden, dass viele Parkbäume unter der Trockenheit und Hitze der letzten vier Jahre leiden, auch wenn man das nicht auf den ersten Blick sieht. Sie sind anfälliger für Schädlinge und Sturm, viele mussten gefällt werden. Bei Neuanpflanzungen achten die Bezirksämter darauf, möglichst widerstandsfähige Arten zu nehmen.
Gehölzarten müssen vieles abkönnen
Aber es ist keine leichte Aufgabe, die Parks fit für die Zukunft zu machen. „Diese Gehölzarten, die müssen schon viel abkönnen. Also sie müssen klimaresistent sein. Sie müssen einen gewissen Nutzungsdruck abkönnen. Sie müssen Feinstäube abkönnen. Dann sollen sie noch bestäuberfreundlich sein, möglichst noch eine schöne Blüte haben, pflegeleicht sein, wenig Wasser verbrauchen. Das schränkt doch die Auswahl ein. Aber wir pflanzen kontinuierlich nach. Also Eichen, Linden, dann an den Randbereichen Haselnüsse.“
Bäume speichern CO2, filtern Feinstaub und binden Feuchtigkeit. Die gefühlte Temperatur im Schatten eines Baumes ist sechs bis zehn Grad niedriger als in der prallen Sonne. Deshalb rät eine Forschungsgruppe der Technischen Universität in Dresden, künftig so viele Bäume wie möglich zu pflanzen und alte zu erhalten, um gegen zunehmende Hitzewellen in Städten gewappnet zu sein. Doch auch Rasen und offene Flächen in einem Park sind von unermesslichem Wert für das Stadtklima: Sie strahlen die Wärme nach außen ab und ermöglichen, dass die Luft zirkuliert. Beides senkt die Temperatur. Außerdem schützen Parks und Grünflächen bei Starkregen vor Überschwemmungen, weil das Wasser dort versickern kann.
Immer mehr Partys im Park
In einer lauen Sommernacht im Volkspark Wilmersdorf: Etwa 100 Jugendliche feiern, tanzen, trinken. Am Morgen wird der Rasen übersät sein von Flaschen, Fast-Food-Verpackungen, Essensresten und Pappbechern. Seit Beginn der Corona-Pandemie hat sich auch das Nachtleben in die Parks verlagert: ein Trend, der anhält, auch wenn Kneipen und Clubs längst wieder geöffnet sind: „Wir haben in den letzten zwei, drei Jahren gesehen, dass der Nutzungsdruck enorm zugenommen hat auf dieser Fläche, dass zunehmend die Leute in der Grünanlage auch übernachten, Alkohol konsumieren, ja die Beete entsprechend dann auch als Toilette benutzen.“
Gefeiert wird in fast allen Berliner Parks, doch besonders betroffen ist der kleine James-Simon-Park in Berlin Mitte. Direkt an der Spree gelegen, ist er bei Einheimischen und Touristen gleichermaßen beliebt: Schiffe ziehen vorüber, gegenüber die beleuchtete Museumsinsel und der Dom. Als hier im letzten Sommer 3000 Menschen eng gedrängt feierten und tanzten, sperrte die Polizei den Park abends ab, denn noch galten Corona-Kontaktbeschränkungen - eine Maßnahme, die für das Bezirksamt Wilmersdorf nicht in Frage kam.
„Wir versuchen, es anders in den Griff zu bekommen. Eine Grünanlage abzusperren, widerspricht auch dem Grünanlagengesetz. So viele Zäune kann ich gar nicht beschaffen, und so viel Polizei und Ordnungsamt kann ich gar nicht abstellen, dass ich die Leute daran hindere, in eine Grünanlage zu gehen.“
Öffentliche Parks müssen immer offen sein
Laut Grünanlagengesetz ist ein öffentlicher Park rund um die Uhr offen für alle. Als dieses Jahr wieder Hunderte im James-Simon-Park feierten und es zu Gewalttaten kam, verhängte das Bezirksamt Mitte für die Zeit zwischen 22 und 6 Uhr ein Alkoholverbot. Zur Begründung hieß es: Die Vegetation werde durch „wildes Urinieren“ geschädigt, der Park sei morgens stark vermüllt, und Glasscherben machten das Liegen auf der Wiese gefährlich. Eine studentische Initiative klagte gegen das Alkoholverbot. Ihr Argument: Es gehe nicht um den Schutz der Grünanlage, sondern vielmehr um die Verdrängung Jugendlicher und anderer Menschen, die es sich nicht leisten könnten, in eine teure, hippe Bar auszuweichen. Das Gericht gab den Studierenden recht, die Beschränkung wurde aufgehoben.
An einem heißen Sommertag im Görlitzer Park in Kreuzberg. Auf einer Wiese haben Eltern ihre Lastenräder geparkt. Eine Gruppe von etwa 30 Kindern sitzt um einen Zauberer herum, auf einem Tisch stehen belegte Brote, Kuchen und Getränke. Nur wenige Meter entfernt sitzt eine Gruppe obdachloser Männer auf der Bank, ihre Habseligkeiten um sich herum ausgebreitet. Nachts ziehen sie sich zwischen die umliegenden Sträucher zum Schlafen zurück. Am Parkeingang spricht ein Drogendealer eine junge Frau an, doch die geht einfach weiter. Nirgends prallen soziale Gegensätze so aufeinander wie im Görlitzer Park, der von den Anwohnern kurz „Görli“ genannt wird.
Paradebeispiel für Gentrifizierung
„Es sind sehr, sehr verschiedene Menschen, die hier sehr, sehr verschiedenen Nutzungen nachgehen, manchmal auch zu unterschiedlichsten Tages- und Nachtzeiten. Und auch Menschen mit Kindern kommen hier gut zu ihrem Recht. Meine eigenen Kinder sind jetzt 8 und 10. Die sind hier aufgewachsen in dem, was ich immer so liebevoll unseren Vorgarten nenne. Und das funktioniert auch im Gegensatz zu dem, was in den Randgebieten oder auch manchmal nur, was von Presse informierte Menschen so glauben, ist das hier nämlich nicht das Ende der Welt, wo nur schreckliche Dinge passieren, sondern man kann hier gut auch miteinander leben und auskommen.“
Florian Fleischmann lebt schon viele Jahre in Kreuzberg, seit Anfang des Jahres sitzt er für die Partei „Die Grünen“ in der Bezirksverordnetenversammlung von Friedrichshain-Kreuzberg. Der Kiez um den Görlitzer Park ist ein Paradebeispiel der Gentrifizierung: Wohnungen und Häuser wurden saniert, Besserverdienende zogen ein. Doch auch viele, die am Rande des Existenzminimums leben, wohnen weiterhin in Kreuzberg. Die Kluft zwischen Arm und Reich geht weit auseinander.
„Ich sage immer so, der Görli ist so ein kleines Versuchslabor für alle Probleme, die Deutschland so hat, hier konzentriert. Und dazu gehört Obdachlosigkeit und Verdrängung aus Mietwohnungen in der katastrophalen Lage, die wir haben, auch mit dazu, ja."
Drogenumschlagplatz Görlitzer Park
Florian Fleischmann engagiert sich für den Görlitzer Park, der weithin für Gewalttaten bekannt ist und als Drogenumschlagplatz gilt. Die Dealer stammen meist aus Afrika. Sie haben oft keine Arbeitserlaubnis und verkaufen Drogen, um Geld zu verdienen. Viel wurde schon versucht, um die Probleme zu lösen. So galt zwei Jahre lang die sogenannte „Null-Toleranz-Politik“: Hundertschaften der Polizei gingen schon bei kleinsten Mengen von Drogenbesitz gegen Dealer vor. Als dies nicht den gewünschten Erfolg zeigte, gab man diese Strategie wieder auf. Nach wie vor ist Polizei im Park präsent, doch seit fünf Jahren setzt der Bezirk vor allem auf die Parkläufer, um die Situation im Görlitzer Park zu entspannen.
Souleymane Sow, kurz Solo genannt, kennt die Dealer, er kommt selbst aus Guinea in Afrika und spricht zehn Sprachen. Als Parkläufer ist er an seiner knallgrünen Weste erkennbar. Dealer zu kontrollieren und des Parks zu verweisen, ist weiterhin Aufgabe der Polizei, er und seine Kollegen achten vor allem darauf, dass sie nicht am Eingang stehen.
„Wir sehen, zehn Leute stehen am Eingang. Dann sagen wir den Leuten: ‚Das geht nicht, geht mal zur Seite, die Leute kriegen ja Angst, Frauen mit Kindern und muslimische Menschen.‘ Wir kommen, wir sprechen, und sobald sie Parkläufer sehen, dann gehen sie von alleine weg. Aber sie sind Wiederholungstäter, kann ich sagen.“
Solo kennen alle hier, auch die Obdachlosen, und die wechseln gern ein Wort mit ihm. Gibt es Konflikte, versuchen er und seine Kollegen zu schlichten. Sie passen auf, dass niemand bedroht und belästigt wird und man sich an das Grünanlagengesetz hält, zum Beispiel keine Zelte aufbaut, den Müll entsorgt und Hunde an die Leine nimmt. „Viele von denen reagieren positiv, sagen: ‚Ja, Danke, gut dass ihr hier seid.‘ Manche sagen: ‚Kümmert euch mal um die Dealer‘, wenn ich gesagt habe: ‚Können Sie mal ihren Hund anleinen.‘“
Hohes Bürgerengagement
Im Görlitzer Park treffen auch die unterschiedlichsten Kulturen aufeinander. Und so musste Solo schon darauf hinweisen, dass es verboten ist, ganze Hammel oder Spanferkel im Park zu grillen. Auf seinen Inspektionsgängen wirft er auch einen Blick auf die Sandkästen: Die sind mit roten, abschließbaren Kisten ausgestattet, in denen sich Müllzangen, Handschuhe und Eimer befinden. Denn viele Erzieherinnen suchen den Sand nach Spritzen ab, bevor die Kinder darin spielen dürfen.
Der Görli ist der Berliner Park mit den größten Problemen, den unterschiedlichsten Nutzern, aber auch mit dem höchsten Bürgerengagement. Als einer der jüngsten Parks Berlins entstand er in den 80er-Jahren auf Initiative von Anwohnern: Die räumten zunächst den Bauschutt des alten Görlitzer Bahnhofs weg, wo dann der Park entstand. Seit 2018 gibt es einen Parkrat: Anwohner und Vertreter von umliegenden Bürgerinitiativen, die sich für den Park engagieren und mit dem Bezirksamt zusammenarbeiten. Dieses Jahr wurde ein neuer Parkrat gewählt.
„Wir haben hier neun Kandidatinnen, die sich jetzt der Reihe nach vorstellen werden, das machen wir jetzt schön alphabetisch. Dann kommt jetzt die Julia, die schon ungeduldig wartet, an Julia habe ich zwei Fragen: Was ist deine Motivation, was erhoffst du dir?“
„Ich habe mehrere Motivationen. Eine Motivation ist ein diverser Kiez und ein solidarischer Park, der von einer diversen Community und Gemeinschaft mitgestaltet wird und deshalb bin ich bereit mitzugestalten und mich zu engagieren.“ Julia Vetter ist eine der Kandidierenden: Sie ist 32 Jahre alt und lacht viel. Auf dem Arm hält sie ihren neugeborenen Sohn. „Ich habe zwei Kinder, und ich habe einen Hund. Und gerade jetzt im Sommer in Berlin - wir haben Wohnungsknappheit. Auf eine Person hat man mittlerweile sehr wenig Wohnraum zuhause. Das ist, wie ich den Park nutze: als Grünfläche. Wenn man keinen Balkon hat, muss man irgendwie rauskommen.“
Julia Vetter ist in Kreuzberg aufgewachsen, der Görlitzer Park hat sie ein Leben lang begleitet. „Ich habe hier im Busch meine erste Zigarette geraucht und hier Skateboardfahren gelernt. Wir haben hier in unserer Jugend irgendwie kleine Feiern gefeiert, und hier war aber auch der erste Geburtstag meines Sohnes usw. Also es gibt auch einen großen emotionalen Wert, glaube ich, in diesem Park für viele Menschen.“
Julia wird als neues Parkratsmitglied gewählt. Ihr wichtigstes Ziel ist es, dass die unterschiedlichen Parknutzer einander besser kennenlernen und so Vorurteile abbauen: zum Beispiel durch gemeinsame Essen und Feste.
Volkspark Friedrichshain mit langer Geschichte
Vier Kilometer vom Görlitzer Park entfernt, im ehemaligen Ostteil der Stadt, liegt der Volkspark Friedrichshain. Er ist die älteste kommunale Grünanlage der Stadt. 1848 eröffnet, sollten sich hier vor allem die Arbeiter erholen, die unter katastrophalen Wohnverhältnissen in den dichtgedrängten Miethäusern lebten. Schon von Weitem sichtbar sind zwei bewaldete Hügel: der Große und der Kleine Bunkerberg. Seit einigen Jahren werden sie ökologisch umgebaut. Die Vegetation soll so gelenkt werden, dass sich ein naturbelassenes Waldstück entwickelt, das der Klimaveränderung standhält. Im Vordergrund stehen dabei Erholung, Naturerleben und Artenvielfalt. Mit einer nur dünnen Humusschicht am Boden ist das eine Herausforderung, denn die Bunkerberge bestehen aus Trümmern des Zweiten Weltkriegs: zwei Bunker, Flaktürme und zwei Millionen Kubikmeter Schutt von zerbombten Häusern sind unter ihnen begraben.
1950 wurden die Bunkerberge mit sogenannten Pionierbäumen bepflanzt, mit Arten, die besonders schnell wuchsen, um die Hänge zu sichern und zu begrünen. „Jetzt sieht man also an diesem Bereich zum Beispiel ganz, ganz schön die Pionier-Vegetation, also hier Robinie und dort Graupappel. Der Zustand ist nicht so toll, die sind beschnitten. Natürlich musste die Verkehrssicherheit gewährleistet werden, hier auch gerade im Wegebereich.“
Viele dieser Bäume mussten inzwischen gefällt werden, sagt Oliver Voge, Leiter des Sachgebiets Natur- und Landschaftsschutz beim Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg. Sie hatten ihr Durchschnittsalter von 60 Jahren überschritten und zahlreiche Bruchschäden, Hitze und Trockenheit der letzten Jahre haben diesen Prozess noch beschleunigt. Damit waren sie eine Gefahr für Spaziergänger. „Das Konzept sieht dann vor, andere Arten zu pflanzen. Das hängt dann ab von der Hanglage, von der Beschattung oder Besonnung. Die Hauptgesellschaft eigentlich sind Hainbuchen, Linden, Eichen.“
Oliver Voge führt die Serpentinen hinauf auf die Plattform des Großen Bunkerbergs. Hier sieht man bereits viele dieser neuen Bäume und Sträucher. Die Hänge sind mit querliegenden Baumstämmen gesichert, dazwischen abgebrochene Äste und Zweige: Das Totholz wird liegengelassen, denn es bietet Lebensraum für Tiere und verhindert ein schnelles Austrocknen des Bodens. Oben angekommen, hat man einen weiten Blick über Berlin bis hin zum Fernsehturm.
„Hier ist ein Weg, und eigentlich kann man dort runtergehen, vernünftig, mit Geländer. Also hier sind wir im Planungsbereich des Kleinen Bunkerbergs. Hier ist auch der Bereich mit den Nadelgehölzen. Man sieht tatsächlich, dass die sehr leiden jetzt unter der Trockenheit.“
Unzugängliche Wildwiese als Parkexperiment
Auf dem kleinen Bunkerberg ist seit diesem Jahr eine Wiese, die jetzt noch ein Zaun umgibt. Dort blühen Wildrosen, Schafgarben, Wilde Möhre und Anis. Es wachsen aber auch Sträucher wie Schlehen und Johannisbeeren. Im Sand sind Wildbienen zu Hause, und es gibt ein Insektenhotel. Dieser Ort soll dazu anregen, mit einfachen Mitteln Lebensräume für Insekten nachzubauen: „Also alles Strukturen, die es eigentlich auch in der freien Natur gibt, die haben wir jetzt ein bisschen nachgeahmt. Und die wollen wir dann entsprechend, wenn das dann als Stadt-Natur-Lernort auch genutzt wird, den Kindern erklären, und die sollen auch mal hier einen Stein umdrehen und gucken, was unterm Stein ist.“
Die Wildwiese ist auch ein Experiment, welche Blumen und Sträucher trockenresistent sind: Gegossen wird hier oben nicht. „Was auch sehr für den naturnahen Zustand der beiden Bunkerberge spricht, das ist die Artenvielfalt bei den Singvögeln. Und die Anzahl der Individuen, die ist sehr, sehr groß, weil im Umkreis natürlich viele Brachen weggefallen sind, viele Nahrungsangebote verschwunden sind. Und die nutzen dann den Park auch so als Zufluchtsstatt.“
Rodelbahn musste weichen
In diesem Teil des Parks geht es weniger um Freizeitspaß, sondern mehr um die Natur. Nicht jeder weiß das zu schätzen: Ein Vater mit zwei Töchtern sieht die mit Sträuchern und Obstbäumen bewachsene Schneise hinunter, die in die Stadt führt. Er vermisst die Rodelbahn, auf der er noch vor anderthalb Jahren mit seinen Kindern Schlitten gefahren ist. Grillen darf man nur noch im vorderen Teil des Parks. Er grenzt direkt an die vielbefahrene Danziger Straße. Dicke Rauchschwaden hängen in der Luft, Afrikaner in bunten Gewändern feiern eine Hochzeit, gleich daneben tanzt man zu lateinamerikanischer Musik.
Einige Gruppen sitzen an langen Tischen und Bänken, die man in einem angrenzenden Café gegen einen geringen Geldbetrag leihen kann. Ihren Grill haben alle selbst mitgebracht, doch den Platz dafür muss man seit einiger Zeit über das Internet buchen. Eine Maßnahme des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg, denn früher grillte man zu jeder Tages- und Nachtzeit. Zurück blieben dann Berge von Müll. Bei schönem Wetter sind die Grillplätze jetzt schnell ausgebucht. Diese Gruppe hatte Glück.
„Ich finde es eigentlich nicht so verkehrt, weil dadurch bleiben die Plätze, denke ich mal, sauber, weil es wird niemand seinen Müll einfach hier liegen lassen und irgendwie was anzünden. Das finde ich schon in Ordnung.“
Gebühr für kommerzielle Sportangebote
Friedrichshain-Kreuzberg ist bisher auch der einzige Bezirk, der seit diesem Jahr eine Gebühr verlangt, wenn jemand mit einem Sportangebot Geld verdient: ein weiterer Versuch, um gegen die Übernutzung der Parks vorzugehen.
Die Ansprüche an Parks sind heute unterschiedlicher denn je: Areale, wo Naturschutz und Artenvielfalt Priorität haben, eigenen sich nicht für Sport und Freizeit. Und während einige Besucher im Park Ruhe und Erholung suchen, wollen anderen hier feiern.
Wie kann ein Park in Zukunft aussehen, um all dem gerecht zu werden? Der Landschaftsarchitekt und Umweltplaner Norbert Kühn: „Diesen Park der Zukunft kann man sich wirklich so vorstellen, dass er offene Bereiche hat, dass er geschlossene Bereiche hat, dass er weniger intensiv genutzte Bereiche hat. Zum anderen ist es natürlich wichtig, Parks so zu gestalten, dass man auch eine bestimmte Besucherlenkung hat, dass es Bereiche gibt, die grob sind, die rau sind, wo man sich nicht hinsetzt, die auch gar nicht einladen, die dann vielleicht für Biodiversität wichtig sind und andere Bereiche, wo man genauso zeigt, hier will man die Menschen haben, dort ist ein Rasen, dort kann man Fußball spielen. Das ist natürlich sehr viel Ansprüche auf einen kleinen Ort. Und je kleiner der Ort ist, desto mehr muss man sich natürlich auch für bestimmte Dinge entscheiden.“
Was tun gegen wachsende Müllberge?
Eine entscheidende Frage ist auch, was gegen die wachsenden Müllberge getan werden kann. Geplant ist, dass Hersteller von Einwegplastik eine Sonderabgabe zahlen, die zur Reinigung von Parks und Straßen beiträgt. Außerdem müssen Restaurants und Cafés ab dem nächsten Jahr Speisen und Getränke auch in Mehrwegbehältern anbieten.
Um Grünflächen zu pflegen und neue Bäume zu pflanzen, sei es nicht zuletzt auch wichtig, das Personal aufzustocken und überhaupt mehr finanzielle Mittel zur Verfügung zu stellen, sagt Jochen Flenker, Leiter des Grünflächenamts Wilmersdorf: „Es müsste definitiv Geld in die Hand genommen werden, um den Pflanzenbestand, um die Vegetation zukunftsfit, klimafest zu machen. Es müsste dann aber auch von den Parknutzern mehr Achtsamkeit auch entgegengebracht werden. Ich finde die Grundidee eines Volksparks, jeder soll sich dort wohlfühlen, soll für jeden was dabei sein, finde ich aktueller denn je. Wir müssen quasi jeden Tag neu aushandeln, wie wir gemeinsam diese Grünanlage nutzen und pflegen können, ich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben.“