Die Berliner Türken und die Wahl
In Berlin leben etwa 60.000 Wähler mit türkischen Wurzeln. Seit der Armenier-Resolution des Bundestages und dem Putschversuch in der Türkei ist die Gemeinschaft so gespalten wie selten. Ins Berliner Landesparlament ziehen aber auf jeden Fall acht türkisch-stämmige Abgeordnete ein.
"Rot-Rot-Grün, Rot-Rot-Grün…" - Auf einer Wahlparty jubeln türkeistämmige Kreuzberger über den Erfolg der linken Parteien. Der "Türkische Bund in Berlin-Brandenburg" hat zu einem Picknick eingeladen und dabei eine symbolische Wahl für alle Teilnehmer mit und ohne deutsche Staatsbürgerschaft durchgeführt. Etwa 200 Personen beteiligten sich daran und stimmten mehrheitlich für Die Linke, gefolgt von den Grünen und der SPD. Die Sprecherin des "Türkischen Bundes", Ayşe Demir:
"Das deckt sich natürlich nicht mit dem Ergebnis der Berliner Wahl laut der ersten Prognosen. Wir fordern ja seit Jahren, dass auch Menschen, die keine EU-Bürger sind, zumindest das kommunale Wahlrecht haben sollten. Und das war für uns eine Art, um unseren Protest zum Ausdruck zu bringen."
Acht türkischstämmige Abgeordnete kommen ins Parlament
Wie die wahlberechtigten türkeistämmigen Berliner insgesamt gewählt haben, lässt sich nicht ermitteln. Dass die Community aber ziemlich gespalten ist, war im Wahlkampf deutlich zu beobachten. Die islamisch-konservative "Türkische Gemeinde zu Berlin" und ihr Chef riefen offen dazu auf, nicht die etablierten Parteien und ihre türkeistämmigen Kandidaten zu wählen. Grund: Alle Parteien hatten im Bundestag der Armenier-Resolution zugestimmt. In mehreren Bezirken stellten sich unabhängige türkischstämmige Kandidaten zur Wahl, die den Genozid an den Armenier leugnen und dem türkischen Präsidenten Erdogan nahestehen. Die konservative Türkische Gemeinde sprach eine Wahlempfehlung für diese Kandidaten aus, die aber unbedeutend wenige Stimmen erhielten.
Ins Berliner Landesparlament ziehen acht türkischstämmige Abgeordnete ein. Die Herkunft der Kandidaten habe bei seiner Entscheidung keine Rolle gespielt, sagt der Sozialpädagoge Gökalp Özalp. Er hat in Kreuzberg Die Linke gewählt, die eine kurdischstämmige Kandidatin aufgestellt hatte.
"Wir machen hier in Berlin Politik, nicht in der Türkei"
"Ich bin kein Kurde. Sie ist eine Kurdin. Aber wir machen hier in Berlin Politik, nicht in Kurdistan oder der Türkei."
Bei Wein, Raki und Tee verfolgen die Gäste des "Türkischen Bundes" die Wahlberichterstattung und diskutieren parallel untereinander auf Türkisch. "Warum wählen die Türken die SPD?", fragt eine Frau. Eine andere antwortet, sie sei die stärkste Partei und könne die doppelte Staatsbürgerschaft durchsetzen. Semra Tosun, Krankenschwester mit doppelter Staatsbürgerschaft, meint, die Große Koalition habe sie enttäuscht. Es sei Zeit für einen Regierungswechsel.
"Es muss einfach eine Veränderung kommen, sei es mit der Mieterhöhung. Es gab früher mehr soziokulturelle Angebote für Jugendeinrichtungen, was jetzt nicht mehr vorhanden ist. Es kommt hinzu, dass Jugendliche jetzt öfter mit Drogen in Konflikt kommen."
Zweistelliges Ergebnis der AfD sei "alarmierend"
Die migrationspolitischen Positionen der Parteien arbeitete der "Türkische Bund" anhand von Wahlprüfsteinen heraus und befragte dazu auf Diskussionsveranstaltungen die türkeistämmigen Kandidaten der Parteien und deren Spitzenpersonal. Der Verband sprach keine Wahlempfehlung aus, warnte aber vor einem Einzug der migrantenfeindlichen AfD ins Abgeordnetenhaus. Das Ergebnis sei umso enttäuschender, sagt Ayşe Demir.
"Dass die AfD ein zweistelliges Ergebnis bekommen hat, ist sehr alarmierend. Wir haben in Berlin einen Ruf, dass Berlin weltoffen und solidarisch ist. Vielleicht haben wir uns zu sehr auf diesem Ruf ausgeruht. Insbesondere sind die Politiker und auch die Medien gefragt, die frauenfeindlichen, die unsozialen und rassistischen Positionen der AfD zu entlarven."
Alle Teilnehmer des Wahlpicknicks teilen diese Meinung und hoffen auf eine rot-rot-grüne Regierung in Berlin. Aber die Gäste des "Türkischen Bundes" repräsentieren nicht die gesamte türkeistämmige Berliner Community. Die konservativen Vereine dürften vor allem über den Erfolg der türkeistämmigen Kandidaten von SPD, Grünen, Linken und CDU enttäuscht sein. Sie luden erst gar nicht zu einer Wahlparty ein.