Schwache Opposition, starke Regierung
Eine quantitativ übermächtige Koalition habe in der Generaldebatte die Opposition bis an den Rand der Wahrnehmbarkeit verdrängt, kommentiert Stephan Detjen. Und auch in der Sache sind weder Linke noch Grüne bisher ein echter Gegenpol.
Die Haushaltsdebatte über den Kanzleretat ist die Stunde der parlamentarischen Abrechnung. Für Regierung und Opposition war es heute zunächst die leicht verzögerte Gelegenheit zur Leistungsschau gut 100 Tage nach Antritt der großen Koalition. Die heutige Debatte spiegelte die gegenwärtigen Kräfteverhältnisse in der deutschen Politik in gleich mehrfacher Hinsicht wieder.
Eine quantitativ übermächtige Koalition verdrängt die Opposition bis an den Rand der Wahrnehmbarkeit. Und auch in der Sache sind weder Linke noch Grüne bisher ein echter Gegenpol zu einer schwarz-roten Politik, die erst einmal durch kostspielige Rentenversprechen auf allen Seiten des Regierungsbündnisses und der jeweiligen Klientel für gute Stimmung sorgen will. Die parlamentarische Stimme einer ordnungspolitischen Alternative ist mit dem Ausscheiden der FDP aus diesem Bundestag verstummt. Kritik am kostspieligen Rentenpaket der Großen Koalition ist unter diesen Bedingungen am deutlichsten noch als Grummeln aus dem Bauch der Unionsfraktion vernehmbar.
Keine programmatischen Alternativen
Programmatische Alternativen hat die Opposition auch auf dem anderen großen Spielfeld der Politik nicht zu bieten, dass die Regierung mit neuer Tatkraft beackert: der Energiepolitik. Nachdem die Grünen ihre historische Mission erfüllt haben und der anti-nukleare Generalkonsens in Politik und Gesellschaft durchgesetzt ist, geht es darum, wer die historischen Herausforderungen der Energiewende am effektivsten managt. Die Koalition hat die ersten Klippen auf diesem Weg, die nicht zuletzt im Bundesrat lauern, erfolgreich umschifft. Mit Angela Merkel und Sigmar Gabriel haben sich auf der Kommandobrücke der Regierung zwei Politiker zusammengetan, deren Temperament sich am Kabinettstisch viel weniger unterscheidet, als in Fernsehinterviews und Wahlkampfauftritten. Wenn die Opposition so wie heute nicht einmal ihren letzten Popstar Gregor Gysi gegen die Kanzlerin auflaufen lässt, gelingt es ihr nicht einmal, die Regierungsleute in der parlamentarischen Wettkampfdisziplin der politischen Unterhaltung zu schlagen.
Vor eine vor wenigen Monaten noch nicht absehbare Herausforderung ist die Regierung auf dem Gebiet der Außenpolitik gestellt, dass die Kanzlerin so wie das der Europapolitik dominiert. Die Krise in der Ukraine und die russische Annexion der Krim wirft Europa zurück in eine längst überwunden geglaubte Phase geopolitischer Machtproben. Heute bestimmte Angela Merkel mit scharfen Worten gegen Russlands Präsidenten Putin die Tonlage. Hinter den Kulissen aber ist noch nicht ausgemacht, wie tragfähig die Einigkeit der Großen Koalition im Verhalten gegenüber Russland ist. Außenminister Steinmeier rief mit seiner Hoffnung, direkte Gespräche zwischen Russland und der Ukraine vermitteln zu können, Widerspruch aus der Union hervor.
Europapolitik kein Thema
Umso auffälliger dafür ist, dass die Europapolitik weniger als 50 Tage vor der Wahl zum Europäischen Parlament so gut wie keinen Streitstoff in dieser Debatte lieferte, schon gar nicht zwischen den Regierungspartnern. Erinnert sich noch jemand daran, dass die Kanzlerin im letzten Sommer behauptete, den Sozialdemokraten dürfe man in der Europapolitik nicht über den Weg trauen' So beruhigend es sein mag, dass es in Deutschland tatsächlich einen ungewöhnlich breiten Konsens auf dem Gebiet der Europapolitik gibt, so sehr stimmt es doch nachdenklich, dass das parlamentarische Parteiensystem keine echte Kontroverse darüber zu erzeugen vermag. Die einen schweigen, weil sie ganz auf die Popularität der Kanzlerin setzen, die anderen, weil sie dem nichts entgegen zu setzen wagen. Wenn am 25. Mai an den Wahlurnen bilanziert wird, könnte davon die außerparlamentarische Opposition der Eurokritiker profitieren.