Parlamentswahl in der Slowakei

Faschisten auf dem Vormarsch

23:48 Minuten
Anhänger der rechts nationalistischen Partei steht vor dem Obersten Gerichtshof in Bratislava.
Die „Kotleba-Leute“ nennt man die L'SNS-Anhänger in der Slowakei - nach dem Parteivorsitzenden Marian Kotleba. © picture alliance / AP Photo / Petr David Josek
Von Kilian Kirchgeßner |
Audio herunterladen
Wenn am Samstag in der Slowakei gewählt wird, hat die rechtsextreme L’SNS gute Chancen, mindestens drittstärkste Kraft zu werden. Ihren Erfolg verdankt sie auch der Empörung über die Verstrickung von Justiz und Politik in den Mord an einem Journalisten.
Banska Bystrica ist ein hübsches Städtchen in der Mitte des Landes: dreieinhalb Stunden von der slowakischen Hauptstadt Bratislava entfernt, 80.000 Einwohner, prachtvolle Häuser im Zentrum, die vom einstigen Wohlstand der Region zeugen. Ab dem 14. Jahrhundert war hier ein Zentrum des Kupfer-Bergbaus. Längst vergangene Zeiten.
Eines der alten Häuser im Zentrum, fein säuberlich saniert, ein großes steinernes Treppenhaus führt in den zweiten Stock. Nie v nasom meste heißt der Verein, "Nicht in unserer Stadt"; rund 100 aktive Mitglieder. Der Verein hat eine kleine Zwei-Zimmer-Wohnung zum Büro umfunktioniert. Eine der Aktiven ist Martina Strmenova, eine Frau um die 40.
"Wir haben alte und junge Leute dabei. Einen Arzt, der ist 60 Jahre alt, wir haben Pastoren, Lehrer, Studenten, Geschäftsleute, Kulturschaffende. Der Jüngste kam mit 16 Jahren zu uns. Er kam dazu, als wir vor ein paar Jahren angefangen haben mit der Kampagne, in der wir den Leuten erklären, dass sie keine Extreme wählen sollen. Ich weiß noch, dass ich die Zustimmung von seinen Eltern eingeholt habe – denn es ist ja eine riskantere Sache, sich im Umfeld der Kotleba-Leute zu bewegen."

Gegen L’SNS wirkt die AfD handzahm

Die "Kotleba-Leute", benannt nach Marian Kotleba, dem Vorsitzenden der ĽSNS, der "Volkspartei Unsere Slowakei". Ihr Gedankengut ist rechtsradikal, gegen sie wirken Populisten wie jene aus der AfD in Deutschland oder der FPÖ in Österreich beinahe handzahm. Ihre Stammwähler leben auf dem Land, die Hochburg von Marian Kotleba ist die Stadt Banska Bystrica. Die Bürgergesellschaft macht Front gegen sie, aber der Erfolg ist ungewiss: Das Rezept der L’SNS kommt bei den hiesigen Wählern an.
Ein Video auf der Homepage von Kotlebas Partei. Zwei Männer stehen im Flur eines Krankenhauses, gedrungene Staturen, der eine von ihnen kahl geschoren. Sie hätten gerade eine alte Dame besucht, 60 Jahre alt, die auf der Straße brutal beraubt und zusammengeschlagen worden sei. Dieser Fall aus dem Dorf Richnavy schockierte im Dezember die ganze Slowakei: Vier Kinder und Jugendliche aus einem Roma-Ghetto schlugen die Frau zusammen und warfen sie von einer drei Meter hohen Brücke. Sie kam schwerverletzt in ein Krankenhaus. Kurz darauf waren die örtlichen Kotlebianer zur Stelle.
"Den Anblick dieser Frau werde ich bis ans Ende meines Lebens nicht vergessen. Denkt daran, dass morgen auch eure Mutter, euer Vater, eure Großmutter hier landen könnte. Wenn wir nicht endlich aufbegehren und etwas gegen diese Asozialen unternehmen, die das Leben von anständigen, arbeitenden Bürgern zerstören. Wir müssen in den Widerstand gehen, denn wir können nicht weiter zuschauen, wie unsere eigenen Leute, unsere eigene Familien tyrannisiert werden von Horden aggressiver, bestialisch angreifender Asozialer."

Menschenverachtende Sprache

Die Asozialen – das ist in der Sprache der slowakischen Rechten ein Synonym für die Roma-Minderheit. In Richnavy, das im Osten der Slowakei liegt, organisierte daraufhin Kotlebas Partei Patrouillen von selbsternannten Ordnungshütern. Ein übliches Muster, das gut verfange, urteilt Martina Strmenova von der Bürgerinitiative in Banska Bystrica:
"Sie haben eine geschickte Strategie, wenn sie irgendwo auftauchen. Sie nutzen einen Konflikt zwischen der Mehrheit und der Roma-Minderheit. Meistens, wenn eine Gewalttat passiert ist, wenn irgendwo ein Roma jemanden geschlagen hat. Dann kommen sie, verkünden, dass sie Ordnung schaffen, schicken Patrouillen durch den Ort, sind präsent. Ihre Strategie ist nicht, dass sie systematisch irgendetwas anpacken – nein, sie suchen sich Orte raus, wo gerade in dem Moment etwas passiert."
Die Altstadt von Banska Bystrica mit Marktplatz und Kirchturm.
Die 80.000-Einwohner-Stadt Banska Bystrica ist eine Hochburg der Rechten in der Slowakei.© Kilian Kirchgeßner
In einem der schönsten Gebäude von Banska Bystrica residiert Jan Lunter – er ist Zupan, so heißt es auf Slowakisch, das Amt entspricht am ehesten dem eines deutschen Landrats; nur dass der Amtsinhaber in der Slowakei landesweit sichtbar ist.
Jan Lunter ist 68 Jahre alt, das Haar gescheitelt, eleganter Anzug. Sein Büro ist holzvertäfelt, es lässt den Besuchern keinen Zweifel: Hier laufen die Fäden aus der Region zusammen. Nur sind es vielfach schlechte Nachrichten, um die sich Jan Lunter kümmern muss – die Wirtschaft in der Region stagniert und junge Leute wandern scharenweise ab. Allein in den vergangenen zehn Jahren schrumpfte die Einwohnerschaft um 100.000, vor allem junge Leute.

Rechtsnationale profitieren von Entwicklung auf dem Land

"Bei uns im Kreis haben wir zum Beispiel keinen einzigen Kilometer Autobahn. Schnellstraßen, die schon längst fertig sein sollten, sind nie gebaut worden. Aber als Kreis können wir nichts daran ändern, es liegt nicht in unserer Kompetenz. Wir können nur in Bratislava Lobbyarbeit betreiben, denn wo keine Straßen sind, da sind auch keine Investoren. Die Industrie ist weggegangen, neue Investoren sind nicht gekommen. Und die jungen Leute wandern ab, sie gehen nach Bratislava, nach ganz Europa. Das ist die Entwicklung, die wir versuchen aufzuhalten."
Und es ist die Entwicklung, mit der der Erfolg der Rechtsnationalen zusammenhängt.
"Bei einem Bürger wächst der Frust, wenn seine Kinder für die Arbeit nach Bratislava ziehen oder nach London und er alleine zurückgeblieben ist", so Lunter. "Und wenn ihm dann jemand verspricht, dass wir aus der EU austreten und dann wieder wie vorher von einem großen Zaun geschützt sind, dann kann das sein Denken beeinflussen. Und Kotleba verspricht genau das: dass wir ein gutes Leben haben werden. Er befeuert die Nostalgie nach einem totalitären System, das für uns die Probleme löst."
"Liebe Damen, geehrte Herren, willkommen zur Vorstellung der Kandidatenliste der Volkspartei Unsere Slowakei für die Parlamentswahlen im Februar 2020."
Es ist ein Auftritt, der Respekt einflößen soll: Zehn Männer und vier Frauen haben sich auf der Stirnseite des Raums aufgebaut, mittig vor ihnen ein schmales Rednerpult. Alle blicken streng in die Kameras, die meisten halten die Arme verschränkt.
"Die Volkspartei Unsere Slowakei geht in diese Wahlen mit einer klaren Vision: den nationalen und christlichen Charakter der slowakischen Republik zu verteidigen. Und mit aller Kraft durch unser Programm die Rückkehr des sozialen Charakters unseres Staates durchzusetzen."

Kontakte zur Presse werden vermieden

Es ist einer ihrer seltenen Auftritte vor Kameras. Denn die "Volkspartei Unsere Slowakei" ist ausgesprochen zurückhaltend, was Pressekontakte angeht. Meistens verbreitet sie ihre Botschaften lieber selbst auf der Homepage, statt kritischen Fragestellern Interviews zu geben. Auch ihre Pressekonferenz haben sie als Video online gestellt.
Ihr Rezept: Eine Mischung aus martialischem Auftreten, einer Rückbesinnung auf die slowakische Stärke und eine Kritik in Richtung der Regierungsparteien, die es ihren Gegnern nach vielen Jahren der Misswirtschaft und des Machtmissbrauchs tatsächlich denkbar einfach machen. Zuletzt zeigte der Mord an dem Journalisten Ján Kuciak und seiner Verlobten, wie verquickt die herrschenden Parteien mit der organisierten Kriminalität hier sind. Davon hat nicht zuletzt die Partei von Marian Kotleba profitiert.
In der Hauptstadt Bratislava, wo das Parlament sitzt und wo die Kotlebianer ihre Pressekonferenz abgehalten haben, erzielen sie aber ohnehin keine Wahlerfolge. Das Fünf-Millionen-Einwohner-Land Slowakei ist ein gespaltenes Land, und das zeigt sich allein schon geografisch: Bratislava mitsamt Umgebung boomt wie noch nie. Von hier aus, dem Westen des Landes, sind es nur 50 Kilometer bis nach Wien. Die nördlichen und östlichen Teile der Slowakei, die an Polen grenzen und an die Ukraine, stehen wirtschaftlich deutlich schlechter da. Hier, in Orten wie Richnavy und Banska Bystrica, wird Marian Kotleba gewählt – und er wurde es tatsächlich schon einmal, 2013.

Kotleba war vier Jahre in Regierungsverantwortung

Vier Jahre lang war er damals Zupan des Kreises Banska Bystrica. Die ganze Slowakei beobachtete gebannt, was er von seinen Plänen umsetzen kann, und Kotleba selbst stand endgültig im Rampenlicht. Mehr Beschäftigung, weniger Ausgaben, eine bessere Verteilung der niedergelassenen Ärzte – das alles waren zentrale Versprechen, deren Umsetzung aber meistens allein schon daran gescheitert ist, dass die politischen Zuständigkeiten nicht auf der lokalen Ebene liegen. Jan Lunter, Kotlebas Nachfolger, zeigt in seinem Büro auf eine Tür:
"Da vorne, in dem Raum hinter dieser Türe, haben wir ein Bett gefunden, das Kotleba dort einbauen ließ. Das ist für mich ein Symbol – dafür, dass die Region hier einige Jahre lang geschlafen hat."
Die Gegner Marian Kotlebas werfen ihm vor, er habe Mitarbeiter des Kreises von ihren eigentlichen Aufgaben etwa in der Straßeninstandhaltung abgezogen und stattdessen auf öffentlichkeitswirksame Patrouillen geschickt. So zeigte die Partei Präsenz, die Regierenden gaben sich den Anstrich von starken Machern. Dass viele andere Aufgaben in der Zeit liegengeblieben seien, sei die Kehrseite dieser Medaille gewesen.
Ein Mann und Frau in Wollpullovern lächeln in die Kamera.
Martina Strmenova und Maros Chmelik wollen den Rechten nicht das Feld überlassen.© Kilian Kirchgeßner
Jan Lunter, der heutige Zupan, war bei der dann folgenden Wahl im Jahr 2017 der gemeinsame Kandidat aller Oppositionsparteien, die eine Wiederwahl der Extremisten und ihres Vorsitzenden Marian Kotleba verhindern wollten. Er scheute sich nicht, im Wahlkampf auch Videos von einem Roma-Volksfest zu verbreiten – ein rotes Tuch für die Rechten. Lunter ist Quereinsteiger in der Politik, er hat vorher ein Unternehmen mit 200 Mitarbeitern aufgebaut.
"Mich forderte jemand auf zu kandidieren mit den Worten: Wenn die Verantwortungsvollen ihre Verantwortung nicht wahrnehmen, missbrauchen das die Unverantwortlichen", sagt er. "Das war für mich der Impuls, mich zur Wahl zu stellen."
Seither ist er der neue Lieblingsfeind von Kotleba und dessen Leuten: Am laufenden Band ziehen sie auf ihren Kanälen über Jan Lunter her. Sie verfolgen jeden seiner Schritte und haben schon etliche Strafanzeigen gestellt wegen vorgeblicher Fehler oder Versäumnisse. Lunter zuckt darüber die Achseln:
"Mir war von Anfang an bewusst, dass eine Aktion eine Reaktion hervorruft. Und so kam es dann auch: Ich werde beschuldigt, von Soros Geld zu nehmen, dass ich unfähig bin und alles mögliche andere. Da muss man sich einfach dran gewöhnen."
Seine Strategie gegen die Extremisten?
"Ihre Entscheidungen nicht kritisieren, aber stattdessen eine Vision zeigen, was sich ändern soll – was WIR ändern wollen."

Historisch symbolträchtig: Banska Bystrica

Banska Bystrica ist für die Slowaken historisch ein symbolträchtiger Ort – wegen des Kampfes gegen Rechts: Während des Zweiten Weltkriegs nahm hier der Slowakische Nationalaufstand seinen Ausgang – ein Aufstand, in dem eine breite Allianz von Bürgern und Soldaten den faschistischen slowakischen Staat bekämpfte, der von Hitlers Gnaden entstanden war. Ein riesiges Museum aus kommunistischer Zeit erinnert an die Heldentaten der schließlich niedergeschlagenen Aufständischen. Mit Filmen und Exponaten aus dem Partisanenkampf werden die Besucher zurückgeführt in jene Zeit.
Direktor des Museums ist der Historiker Stanislav Micev, der nur den Kopf darüber schüttelt, dass jetzt Rechtsextreme wieder nach der Macht greifen – und dass die Lehren aus dem Nationalaufstand offenbar weithin vergessen sind:
"Neulich war ich bei einer Wahlveranstaltung von denen am Kulturhaus und habe eine Kerze gehalten. Vom Niederschreien von solchen Kundgebungen, vom reinen Übertönen, halte ich nichts, ich bevorzuge den stillen Protest. Und die Diskussion mit Kotlebas Wählern."
Immer wieder stößt er bei diesen Diskussionen auf eine slowakische Besonderheit: auf die Person des damaligen Staatschefs. Josef Tiso hieß er, ein brutaler Diktator reinsten Wassers, der aus freien Stücken zehntausende slowakische Juden in die Konzentrationslager der Nazis deportieren ließ. Dennoch halten bis heute viele Slowaken die Erinnerung an ihn hoch.
"Das ist ein schwieriges Thema, weil er nicht nur Präsident war, sondern auch katholischer Priester", sagt Historiker Stanislav Micev. "Und der Katholizismus ist in der Slowakei die zentrale Religion. Viele Leute sind überzeugt, dass ein katholischer Priester gar nichts Schlimmes tun KANN. Unlängst habe ich bei einer Kundgebung mit einem Anhänger von Kotleba gesprochen, und der sagte: Diese Partei bekennt sich wenigstens zu Tiso, und der ist ein heiliger Mann! Versuchen Sie mal, das zu widerlegen! Da hilft es nicht einmal, dass selbst der Vatikan auf Abstand von ihm gegangen ist. Bei den Leuten ist verankert, dass er ein Priester war und folglich ein guter Mensch."
Die Wurzeln für den aufflammenden Rechtsradikalismus in der Slowakei sieht Stanislav Micev darin, dass die Extremisten sich sehr viel herausnähmen und niemand dagegen protestiere. Als Kotleba vor einigen Jahren mit selbstgemachten Uniformen regelrechte Fackelzüge veranstaltete und damit klar gegen die Verfassung verstieß – da hätte der Staat sich wehren müssen, so Micev. Nun sei es möglicherweise schlicht zu spät.
Mehr zum Thema