Vor den Parlamentswahlen im Iran ist die Situation verhältnismäßig ruhig, berichtet Karin Senz. Die Korrespondentin erlebt die Menschen in Teheran als kommunikativ und diskussionsfreudig – allerdings meist nur, bis sie ihr Mikrofon auspackt. Lesen und hören Sie hier ein Interview mit Karin Senz:
Audio Player
Ein Volk, das nicht mehr mitmacht
22:37 Minuten
Im Januar töteten die USA General Soleimani. Wenige Tage später schoss die Flugabwehr des Iran einen ukrainischen Passagierjet ab. Tausende Iraner gingen auf die Straße: aus Wut, Trauer und Enttäuschung. Jetzt sollen sie ein Parlament wählen.
"Willkommen im Teheraner Hostel, ihr seid eingeladen!" So wirbt Navid auf der Homepage für seine Herberge mitten in der iranischen Hauptstadt. 2016 hat er eröffnet, ein paar Monate nachdem der Atomdeal abgeschlossen war und es im Land aufwärts gehen sollte.
Navid hatte sich damit einen Traum erfüllt: "Es geht nicht nur ums Geld, klar das ist wichtig, aber es geht auch darum, dass uns etwas gefehlt hat, wir waren sehr isoliert. Nicht nur wirtschaftlich, sondern auch kulturell und politisch. Und dann zu erleben, dass sich da im Iran etwas Neues entwickelt, das war einfach toll."
Ausländische Touristen und Iraner kamen miteinander in Kontakt. Im Hostel ist die Stimmung familiär. Die Mitarbeiter, die oft genauso jung sind, wie die Gäste, geben gerne Tipps. Navid führt durchs Haus. Im Hintergrund hört man eine Dusche.
Es sind Gäste da, drei oder vier, erzählt der junge Iraner freundlich: "Nach den Protesten im November war es nicht ganz so schlimm. Damals waren wir zu einem Drittel belegt. Aber jetzt, nachdem das mit dem Flugzeug und so weiter passiert ist, da kam erstmal gar niemand mehr."
Im November hatte die iranische Führung Demonstrationen gegen höhere Benzinpreise blutig niedergeschlagen. Anfang Januar schoss das Militär eine Passagiermaschine mit vielen Iranern an Bord über Teheran ab, wohl aus Versehen.
Kurz zuvor hatte es den Vergeltungsschlag gegen die USA im Irak gegeben, weil die den iranischen General Kassem Soleimani getötet hatten. Die Lage war extrem angespannt.
"Es gibt Situationen, da haben wir den Eindruck, wir können nichts ändern", sagt Navid. "Alle Möglichkeiten werden einem weggenommen, das bezieht sich jetzt nicht nur auf das Ausland, sondern auch auf hier. Und das lässt einen daran zweifeln, dass man überhaupt was bewegen kann."
Ein Leben mit viel Druck
Navid hat in den USA in Kalifornien studiert. Er kam vor dreieihalb Jahren zurück. Jetzt sitzt er auf dem Innenhof seines Hostels an einer Feuerstelle. Ob er überlegt wieder zu gehen?
Darüber will er nicht reden. Er sei privilegiert, dass er überhaupt die Möglichkeit hat, meint er. Andere würden viel mehr Druck schon seit Jahren aushalten.
Allerdings – was die Zukunft hier angeht, da ist er nicht wirklich optimistisch: "Deswegen fällt es mir gerade echt schwer, so leidenschaftlich zu sein wie am Anfang, mit Sprüchen zu motivieren wie 'Hey Leute, wir sehn uns im Iran, ir gebt den Leuten hier Kraft'."
Ali könnte diese Kraft gut brauchen. Auch er lebt in Teheran, ist Ende 20 und hat psychische Probleme, wirkt sehr niedergeschlagen. Dabei spielt der Abschuss der ukrainischen Passagiermaschine im Januar eine große Rolle. Immer wieder muss er an die 176 Opfer denken. Darunter waren viele Iraner, die im Ausland lebten.
"Ich wollte auch auswandern", erzählt er. "Letztes Jahr hatte ich mich beworben, wurde aber abgelehnt. Jetzt beschäftigt mich der Gedanke, dass ich auch unter den Opfern hätte sein können, wenn mein Antrag durchgegangen wäre. Denn im Januar kommen viele, die im Ausland leben, heim."
Aus Trauer wurde Wut
Drei Tage lang hatte die iranische Führung behauptet, das Flugzeug habe technische Probleme gehabt und sei deshalb abgestürzt. Schließlich gab sie zu, es wurde abgeschossen, weil man es für ein feindliches Objekt gehalten hatte. Viele Iraner fühlten sich belogen. Aus der Trauer um die Opfer wurde Wut.
Ali war, wie viele andere, zu einer der Teheraner Unis gegangen, um Kerzen für die Opfer anzuzünden. Aus den Trauerkundgebungen entwickelten sich Demonstrationen, die sich überraschend offen auch gegen den obersten Führer Ajatollah Chamenei richteten.
Tod dem Diktator, Tod den Lügnern rufen die Menschen. Es waren ein paar Hundert, vielleicht ein paar Tausend. Ob Ali darunter war? Er sagt, er hält nicht viel von den Protesten, aber es gebe auch keinen anderen Weg. Vielleicht fehlt ihm einfach die Kraft zu demonstrieren. Es geht ihm nicht gut, erzählt er. Immer würden ihm die Tränen kommen, einfach so.
"Ich bin aber auch plötzlich gereizt ohne einen Grund - und nervös, immer wieder nervös. Und dann habe ich nicht mehr gut geschlafen. Ich wollte morgens nicht mehr zur Arbeit, wollte nur noch schlafen."
Er holte sich einen Termin beim Psychiater. Durch den politischen und wirtschaftlichen Druck, die Angst vor einem Krieg und die Hoffnungslosigkeit nehmen Depressionen insgesamt zu, heißt es aus Fachkreisen. Aber Psychopharmaka sind wegen der US-Sanktionen Mangelware.
Ali ist Bauingenieur, er hatte davon geträumt, dass er Karriere macht, dass die Sanktionen irgendwann aufgehoben werden und sich die Beziehungen zum Westen verbessern.
"Früher bin ich zur Wahl gegangen, immer", sagt er, "aber diesmal nicht. Denn das bringt nichts. In den letzten Jahren hat das Parlament nichts von dem erfüllt, was mir wichtig war."
Auch Künstler, Regisseure und Schauspieler protestieren
Das ist Alis Weg des Protestes. Tarlan Lotfizadeh wählte einen anderen. Die 35-jährige ist Künstlerin und wollte ihre Werke bei einer Skulpturen-Biennale in Teheran ausstellen.
Aber nach dem Abschuss der Passagiermaschine entschied sie sich zum Boykott – zusammen mit anderen Künstlern: "Ich habe das zum ersten Mal gemacht. Denn normalerweise überlege ich vorher sehr genau, wo ich da mitmache. Aber das ging um eine soziale Aktion, bei der ich mitmachen wollte."
Ähnliche Konsequenzen hatten auch Regisseure und Schauspieler für ein international bekanntes Filmfestival in Teheran angekündigt. Das ging international durch die Presse. Aber sie bekamen, wie auch Tarlan und ihre Kollegen, Druck. Sie beugte sich nicht.
Die junge Frau sitzt entspannt in einem Teheraner Café und trinkt Latte Macchiato. Ihr Kopftuch ist, wie bei vielen modernen Iranerinnen, fast ganz nach hinten gerutscht. Wenn es ihr mal schlecht geht, erzählt sie, dann arbeite sie, das hilft.
Vor allem Gedanken an ihre Zukunft scheinen sie runterzuziehen: "Ich habe keine Ahnung, wie das alles wird. Wir leben alle für den Moment ohne zu wissen, was uns morgen erwartet. Wir leben wie im Nebel und können die Zukunft nicht sehen."
"Nach dem Geständnis der Regierung hat jeder geweint"
Deutlich kritischer ist das junge Paar Sahand und Neda. Die beiden Zeitungsjournalisten heißen eigentlich anders, wollen ihre wirklichen Namen nicht nennen.
Neda erzählt vom Tag, als das Regime eingestand, die ukrainische Passagiermaschine abgeschossen zu haben: "Als wir in die Redaktion kamen, da hat jeder geweint, weil er einfach geschockt war und man den angerichteten Schaden erkannt hat. Innerhalb von wenigen Monaten hat man unsere verwundete Seele wieder getroffen. Das machte sprachlos. Das war wirklich hart vor allem für die, die für die Medien arbeiten."
Die beiden sind Anfang 30 und haben keine Kinder, sind schick gekleidet. Sie bezeichnen sich selbst als Medienaktivisten, haben immer noch Hoffnung und Kraft zu kämpfen.
Aber Neda fürchtet: "Dass die Kritiker des Staates gleichgültig werden und sich nur noch auf den Alltag konzentrieren. Andere sind schon weg oder gehen, es werden noch viele gehen."
Sie wollen erstmal bleiben. Nach Feierabend sitzt das Paar in einem vollen Café im Zentrum von Teheran. Die aktuellen Geschehnisse hätten vor allem den kommenden Parlamentswahlen geschadet, meint Sahand. Er und auch seine Frau haben kein Interesse ihre Stimme abzugeben.
Und da seien sie nicht alleine: "Viele haben sich entschieden, nicht zu wählen, weil sie schon bei früheren Wahlen enttäuscht wurden. Das bringt alles nichts."
Regierung will Menschen an die Wahlurne bringen
Im Schnitt lag die Wahlbeteiligung im Iran in den letzten Jahren bei rund 60 Prozent. Einer der konservativen Kandidaten sagte jetzt, man brauche mindestens 50 Prozent. Alles darunter würde zeigen, dass das Vertrauen der Bevölkerung in die Politik angeschlagen sei.
"Ich habe den Eindruck, dass sich die Menschen über den Plan der Regierung bewusst sind", sagt Neda. "Die will sie an die Wahlurne bringen. Aber danach kümmert sie sich wieder nicht um die Probleme. Darum wollen sie bei diesem Spiel nicht mehr mitmachen."