Parteibuch statt Sachkompetenz

Von Paul-Hermann Gruner |
Schwarz-Gelb hat ein ernsthaftes Problem. Gut - das war eine Untertreibung. Fangen wir noch mal an: Schwarz-Gelb steht vor einem Berg ungelöster Probleme und findet dazu kaum noch jemanden, der ihn abtragen könnte.
Die Rekrutierung von sachlich-versiertem und unabhängig denkendem Personal für Spitzenämter, sie gehört nämlich zu jenen sensiblen Feldern, in denen Schwarz-Gelb einen Oscar für kontinuierlichen Dilettantismus verdient.

Die verkorkste, endlos banale Auslese nach Parteibuch - ein Lieblingsmodell dieser Demokratie - zeigte sich jüngst wieder bei der Suche nach einem Nachfolger für Generalbundesanwältin Monika Harms. Schwarz-Gelb hatte sich vorab nur auf eins ordentlich geeinigt: Schwarz besetzt den Präsidenten des Bundesfinanzhofs, Gelb dann den Generalbundesanwalt. Das übliche Geschachere.

Das Peinsame: Die FDP fand niemanden, der mehrheitsfähig war. Aber jene kleine und kleiner werdende Partei wollte und musste finden. Dann erkor sie einen Kandidaten. Der jedoch verlor im Auswahlpoker die Nerven. Inzwischen ist dies alles ausgestanden, der Posten ist vergeben, die Partei versorgt.

Nach dem Weggang Axel Webers als Bundesbankpräsident gab es ebenfalls keine Konkurrenz der Willigen samt Schaulaufen. Als einziger Kandidat blieb Jens Weidmann übrig, der als Abteilungsleiter im Berliner Bundeskanzleramt tätig war. Und nach Frankfurt geschickt wurde. Was der geforderten absoluten Unabhängigkeit des Bundesbankchefs zumindest kein Beweis-Attest ausstellte.

Auch nach dem Ausscheiden von Jürgen Stark als Direktoriumsmitglied der Europäischen Zentralbank kann Schwarz-Gelb nicht unter befähigten Nachfolgeaspiranten wählen. Jörg Asmussen geht schließlich zur EZB. Mit ihm verliert Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble ausgerechnet mitten in den Turbulenzen der Euro-Krise seinen wichtigsten Staatssekretär.

Logik und Professionalität sehen anders aus. Das Dumme: Man gewöhnt sich tatsächlich an alles.

So erleben wir ja auch den jüngsten Bundeswirtschaftsminister aller Zeiten und den jüngsten Bundesgesundheitsminister aller Zeiten. Haben aber keinesfalls den Eindruck, in den besagten Ministerien sei damit Perspektive, Übersicht, überzeugende Fachkompetenz oder staunenswerte Kreativität eingezogen. Wie auch. Diese Personalentscheidungen wirken wie erhitzter Schnellverschleiß von Parteinachwuchs, wie letztes Aufgebot.

In Währungs- und Haushaltskrisen schaut die Welt auf Deutschland als Wirtschafts- und Finanzstabilisator, als potentiellen europäischen Führungsspieler. Aber? Schwarz-Gelb dilettiert leider auch bei der Durchsetzung nationaler Personalinteressen. Ja, tatsächlich, solche darf es geben, andere setzen sie daher auch in souveräner Opportunität fortwährend um.

Beispiel: Europäische Union. Bei einer Neubesetzungsrunde für die EU-Außenpolitik im August dieses Jahres bekam Deutschland von 25 Top-Positionen, die Catherine Ashton auswählte, gerade einmal einen Vize-Posten ab. Das ist nicht dumm gelaufen. Das ist eine groteske Form von Unterrepräsentanz.

Franzosen und Briten betreiben eine strategisch fundierte, damit höchst einflussreiche Personalpolitik. Deutschland hantiert derweil herum mit B-Kategorien wie Parteibüchern oder Quoten jeder Art. Dabei dürfen dies keine Auswahlkriterien sein in einer hochkomplexen Leistungsdemokratie. Ob Staat, Hochschule, Justiz, Wirtschaft oder Bankenaufsicht - nur die nachgewiesene Beherrschung eines Metiers qualifiziert.

Auf dieser Basis ausgewählte Köpfe müssen auch nicht gefürchtet werden. Sie bringen uns auch nicht die böse Entfremdung oder die noch bösere Diktatur der Experten. Sie sorgten überhaupt erst für Funktionstüchtigkeit der Gewaltenteilung in einem demokratischen Rechtsstaat.

Paul-Hermann Gruner, geboren 1959, ist Politikwissenschaftler und Historiker. Seit Beginn der 80er-Jahre tätig als bildender Künstler mit den Schwerpunkten Montage, Installation und Performance. Seit 1996 in der Redaktion des "Darmstädter Echo", daneben Veröffentlichungen in regionalen und überregionalen Zeitungen, satirische Texte, Buchpublikationen unter anderem zu Sprachpolitik und Zeitgeistkritik.
Paul-Hermann Gruner
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