Parteinahe Stiftung

"Stresemann passt nicht zu den Vorstellungen der AfD"

Friedensnobelpreisträger Gustav Stresemann (1878-1929) auf einem Gemälde im Auswärtigen Amt in Berlin
Friedensnobelpreisträger Gustav Stresemann (1878-1929) auf einem Gemälde im Auswärtigen Amt in Berlin © dpa / picture alliance / Markus C. Hurek
Andreas Rödder im Gespräch mit Dieter Kassel |
Die AfD will für eine parteinahe Stiftung den Namen des Nationalliberalen Gustav Stresemann reklamieren. Der Historiker Andreas Rödder hält den Friedensnobelpreisträger von 1926 für die falsche Wahl: Ihn hätten "Realitätssinn und Kompromissbereitschaft" ausgezeichnet.
Dieter Kassel: Jede große Partei in Deutschland hat eine ihr nahestehende Stiftung. Das ist weder verboten noch anrüchig, es wird ja auch nicht geheim gehalten. Am offensichtlichsten allein schon vom Namen her ist es vielleicht bei der Konrad-Adenauer-Stiftung, das ist die Stiftung, die der CDU nahesteht. Es gibt die Böll-Stiftung der Grünen, und eigentlich bei jeder im Bundestag vertretenen Partei eine andere.
Bis auf die AfD, die ja nun neu auch im Bundestag vertreten ist, die hat bisher ganz offiziell noch keine Stiftung, die ihr nahesteht. Aber heute wird voraussichtlich der Bundesvorstand der AfD eine Entscheidung treffen, die dazu führt, dass es eine solche Stiftung ganz offiziell in Zukunft gibt. Und Streit ist nun um den Namen dieser Stiftung entbrannt, denn sie soll nach dem früheren Reichsaußenminister, Reichskanzler und Friedensnobelpreisträger Gustav Stresemann heißen.
Das hat seine Nachfahren schon ziemlich empört und sorgt für Diskussionen, über die wir sprechen wollen mit Andreas Rödder. Er ist Professor für Neueste Geschichte an der Universität Mainz, und er sitzt auch im Vorstand der Stresemann-Gesellschaft, die natürlich mit der Stiftung nichts zu tun hat. Herr Rödder, einen schönen guten Morgen!
Andreas Rödder: Guten Morgen, Herr Kassel!
Kassel: Die Stiftungen werden immer nach Männern, theoretisch auch Frauen, da wüsste ich jetzt gerade keine – doch, natürlich, die Luxemburg-Stiftung –, nach Männern oder Frauen benannt, die die Ideologie und die Ideale der jeweiligen Partei repräsentieren. Repräsentiert denn Gustav Stresemann tatsächlich Idee und Ideale der AfD?
Rödder: Es ist eher die Frage, was die AfD mit Gustav Stresemann macht oder vorhat. Alexander Gauland hat diese Namenswahl ja so begründet, dass die AfD an das nationalliberale Erbe anknüpfen wolle, indem sie sich nach Stresemann benennt. Aber das ist, wie so oft bei den Äußerungen von Alexander Gauland, zugleich vage. Denn die Frage ist tatsächlich, was meint er damit, übrigens, welchen Stresemann meint er eigentlich damit? Meint er den Stresemann bis 1918 oder den Stresemann der Weimarer Republik? Das macht schon einen ziemlichen Unterschied aus.

"Kriegstreiber und Hardcore-Nationalist"

Kassel: Dann machen wir es doch in dem Fall mal wirklich chronologisch. Bis 1918 war Gustav Stresemann doch wirklich streng deutschnational eingestellt, oder?
Rödder: Ja, er war ein Nationalliberaler, so wie viele Nationalliberale in dieser Zeit waren. Nach innen durchaus sehr sozial, sozialpolitisch orientiert, nach außen streng nationalistisch orientiert. Und im Ersten Weltkrieg war Stresemann, wenn Sie so wollen, ein echter Kriegstreiber, ein Vertreter eines Annexionsfriedens, das heißt also, durch große Abtretungen der anderen an Deutschland. Da war Stresemann echt ein Hardcore-Nationalist. Das Interessante an Stresemann ist die Entwicklung, die er dann als Politiker der Weimarer Republik nimmt. Er war 1923 für hundert Tage Reichskanzler und Außenminister und blieb dann vom November 1923 bis Oktober 1929 Außenminister. Und in der Zeit steht er für Dinge, die anknüpfen an die Zeit vor 1914, sich aber zugleich massiv weiterentwickeln.
Was ihn immer ausgezeichnet hat, ist Realitätssinn und Kompromissbereitschaft nach innen. Und was ihn zugleich auszeichnet vor allem als Außenpolitiker, das ist die Bereitschaft zur Kooperation nach außen. Und das Wichtigste, und da würde ich auch sagen, das ist das große Erbe von Gustav Stresemann, er ist einer der ganz wenigen deutschen und europäischen Politiker in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die überhaupt bereit gewesen sind, die Perspektive des anderen in die eigene Meinungsbildung mit einzubeziehen. Das ist die große Bedeutung von Stresemann, und diese Kooperationsfähigkeit und die Bereitschaft, sich auf die Perspektive des anderen einzulassen, das allerdings sehe ich bislang nicht, dass das mit den außenpolitischen Vorstellungen der AfD wirklich zusammenpassen würde.
Kassel: Die Frage ist, wann ist eine Grenze erreicht. Wir können uns sicherlich darauf einigen, dass vermutlich Angela Merkel auch gelegentlich Dinge sagt und tut, die Konrad Adenauer so nicht unterschrieben hätte. Die Grünen mögen auch Dinge tun, die Heinrich Böll vielleicht nicht gut gefunden hätte. Wo ist für Sie die Grenze erreicht, wo man sagt, das ist wirklich ein Missbrauch eines Namens, wenn jetzt die AfD tatsächlich die Stiftung nach Stresemann benennt?
Rödder: Ich würde rein politisch sagen, noch einmal, diese Kooperationsbereitschaft Stresemanns, diese Bereitschaft, sich auf die Perspektive des anderen einzulassen, eine Europapolitik zu betreiben, die deutsche Stärke oder deutsche Machtpotenziale auf der einen Seite und europäische Interessen versucht, miteinander in Einklang zu bringen, das ist eine Außenpolitik, von der ich bisher nicht erkennen würde, dass die AfD sich tatsächlich in diese Tradition stellen würde.

Namensrechtliche Möglichkeiten prüfen

Kassel: Sehen Sie denn eigentlich – ich meine, das beschäftigt Sie ja auch ganz konkret aufgrund der Stresemann-Gesellschaft, wenn es tatsächlich die AfD-nahe Stresemann-Stiftung gibt, wird man das ständig verwechseln, und in jedem Zeitungsartikel muss dazu stehen, das sind die anderen. Das heißt, auch Ihnen kann das ja allein schon aus diesem Grund gar nicht recht sein. Sehen Sie denn Möglichkeiten, konkret zu verhindern, dass die AfD ihre Stiftung so nennt?
Rödder: Ja. Das Problem würden wir mit der Stresemann-Gesellschaft tatsächlich haben. Die Stresemann-Gesellschaft verfolgt das Ziel, die außenpolitische Meinungsbildung in Deutschland zu befördern und sich europapolitisch zu engagieren. Natürlich würde uns genau das passieren mit der Stresemann-Gesellschaft, da können sie hundertmal sagen, aber wir machen doch dies und jenes, nach außen hin werden sie tatsächlich verwechselt. Das ist ein Problem auch für die Familie Stresemann. Wir sind mit der Familie Stresemann auch im Kontakt. Und wenn die AfD beschließen sollte, ihre Stiftung nach Gustav Stresemann zu nennen, dann werden wir prüfen lassen, inwiefern namensrechtlich Möglichkeiten bestehen, dass wir dagegen etwas tun. Denn ich meine, es ist jedem unbenommen, sich an Gustav Stresemann zu orientieren, und das ist außenpolitisch für Deutschland nicht das Schlechteste. Aber den Namen Stresemann hier für etwas zu reklamieren, wofür Stresemann und auch die Erinnerung an Stresemann nicht steht, das können wir als Stresemann-Gesellschaft und das kann auch ich als Historiker so natürlich nicht gut finden und mitmachen.
Kassel: Herr Rödder, ich finde aber, wir müssen an dieser Stelle mal eine Sache erwähnen. Es gibt bereits einen – von der Rechtsform ist es eigentlich ein Verein –, aber es gibt bereits einen Verein, der sich Gustav-Stresemann-Stiftung nennt. Der wurde bereits 2011 in Jena gegründet, und es ist davon auszugehen, insofern haben wir das beide der Einfachheit halber ein bisschen unsauber formuliert, dass heute der Bundesvorstand der AfD nicht beschließt, diese Stiftung zu gründen, sondern eben diese regionale Stiftung, die bisher die Rechtsform des Vereins hat, zur AfD-Stiftung zu machen. Es gibt sie unter diesem Namen seit 2011. Fürchten Sie nicht auch, wenn man es jetzt schafft, der AfD zu verbieten, ihre Stiftung Stresemann-Stiftung zu nennen, und vorher hat sich da vier, fünf Jahre lang keiner drum gekümmert, dass die dann wieder sich als Opfer stilisieren und sagen, ja, so lange das nur so war, war alles in Ordnung, jetzt, wo es unsere Bundesstiftung werden soll, wollen uns wieder alle was Böses?
Rödder: Ich bin in der Tat nicht dafür, dass man permanent den Opfermythos der AfD bedient. Aber in dem Fall geht es natürlich schon um zwei unterschiedliche Dimensionen. Wissen Sie, ob da jetzt eine Gruppe in Jena sich Stresemann-Stiftung nennt oder nicht, das kriegen Sie und ich und 83 Millionen Deutsche kaum mit. Aber wenn die AfD ihre Parteistiftung so nennt, dann ist das natürlich schon noch mal eine andere Liga, und insofern würde ich mir darum keine Gedanken machen. Ich finde ohnehin, man soll sich bei der AfD auch nicht ständig Gedanken machen, wie könnte dies oder jenes ankommen. Man soll sich mit der AfD ordentlich und argumentativ und offensiv auseinandersetzen. Damit ist, glaube ich, viel mehr gewonnen, und das müssen wir im Hinblick auf den Namen Stresemann auch tun.

"Stresemann ist ein kostbarer Name"

Kassel: Können Sie sich denn überhaupt eine historische Persönlichkeit vorstellen, deren Name wirklich geeignet ist, einer AfD-nahen Stiftung den Namen zu geben?
Rödder: Na wissen Sie, da müsste ich jetzt die Tiefen des Selbstverständnisses, der Identität und der gewünschten Identität der AfD ergründen. Das soll die AfD mal selber machen. Ich würde umgekehrt sagen, Stresemann ist tatsächlich ein kostbarer Name, und ich glaube tatsächlich, dieses Erbe Stresemanns, von dem ich vorhin gesprochen habe, ist eines, das in der Bundesrepublik, in der öffentlichen, in der politischen Erinnerung der Bundesrepublik und auch als ein historisches Erbe, das außenpolitisch uns heute noch was zu sagen hat, dass da wirklich gehütet werden sollte. Ich glaube, es ist umgekehrt eine Aufgabe an die politische demokratische Öffentlichkeit in Deutschland, Stresemann den Rang und die Bedeutung zu geben, die diesem Politiker mit dieser Entwicklung und dem Potenzial der 20er-Jahre wirklich zukommt.
Kassel: Andreas Rödder, Professor für Neueste Geschichte an der Universität Mainz und Vorstandsmitglied der Stresemann-Gesellschaft, die – und ich sag das, ich hoffe, wir müssen es nicht jahrelang sagen, weil sich das Problem irgendwann erledigt, aber heute noch mal deutlich, dieses Stresemann-Gesellschaft hat nichts mit der Stresemann-Stiftung zu tun, die die AfD höchstwahrscheinlich heute im Bundesvorstand zu ihrer parteinahen Stiftung ernennen wird. Herr Rödder, ich danke Ihnen herzlich für das Gespräch!
Rödder: Herr Kassel, sehr gern! Einen schönen Tag!
Kassel: Ihnen auch, danke.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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