Partisan der Erkenntnis
Die auf der Einheit von Forschung und Lehre gegründete moderne Universität ist im Übergang zur Massenuniversität in den Griff von Verwaltung und Management geraten, klagt Reinhard Brandt. Und fordert: Widerstand gegen Bürokratie und Reformitis.
Universitäten gehören neben der katholischen Kirche zu den ältesten Organisationen, die wir kennen. Die ersten sind um 1200 gegründet worden. Das bringt es mit sich, dass man endlos über das Wesen der Universität streiten oder den Verlust ihrer Substanz beklagen kann. Denn selbstverständlich hat sich die Universität ständig verändert, hat sie Aufgaben abgegeben und neue erhalten, ist sie nicht mehr dieselbe, wenn sie sich statt als Ort der Elitenausbildung als Massenuniversität oder als Forschungsunternehmen begreift.
Reinhard Brandts scharfe Attacke auf die gegenwärtige Hochschulpolitik trägt diesem Umstand Rechnung. Die Minimaldefinition der genuin universitären Aufgabe, die der Marburger Emeritus der Philosophie verwendet, lautet: Bildung durch Erkenntnis. Das wendet sich sowohl gegen eine Hochschule, die sich in Wissensvermittlung oder Berufsvorbereitung erschöpft, wie auch gegen eine von Forschung dominierte Anstalt.
Das Buch skizziert zunächst die Geschichte der Universität: von "Erkenntnis ohne Universitäten" in der Antike und dem Frühmittelalter über die Universität der Juristen-, Theologen- und Medizinerausbildung zwischen 1200 und 1800 bis zur Universität im Zeitalter wissenschaftlicher Disziplinen. Manchmal verläuft sich der Autor dabei ein bisschen und pflückt ideengeschichtliche oder zeitkritische Blumen, die nur entfernt zu seinem Thema gehören: bei Platon und Aristoteles, in der Frage, ob Geisteswissenschaften auch Wissenschaften sind, beim hochtrabenden Ton mancher Theorierhetorik oder beim akademischen Titelwesen. Das ist die liebenswerte Art des Professors, in sein Argument beiläufig auch sein Missfallen an diesem und jenem einzuflechten.
Das Argument selbst bleibt dabei aber ganz klar: Die auf der Einheit von Forschung und Lehre gegründete moderne Universität sei im Übergang zur Massenuniversität in den Griff der Verwaltung und des Managements geraten. Die Organisation des Studiums werde zunehmend von außen vorgeschrieben. Zugleich ziehe sich der Staat aus der Grundfinanzierung zurück. Die Universität spalte sich in den Bachelor-Bereich, in dem nur noch Wissen abgefüllt werde, und in Exzellenz-Zonen, in denen der Kampf um Drittmittel alles dominiere. Gemeinsam ist beiden Bezirken, dass sich in ihnen alle, Lehrende und Forschende wie Lernende, nur noch strategisch verhalten.
Was also tun? Brandt sieht vier Möglichkeiten: Die Universität löst sich in private Anbieter von Ausbildung auf; das Fernstudium übernimmt die Aneignung von Wissen, weil auf die lebendige Interaktion im Seminar sowieso kaum noch Wert gelegt wird; alles bleibt, wie es ist. Oder: man wird "Partisan der Erkenntnis". Brandt ruft zum Widerstand gegen die Bürokratie, zum Neinsagen gegenüber der Reformitis, zum Eigensinn auf. Das allerdings würde voraussetzen, dass Professoren und Studenten die Universität nicht als Mittel zum Zweck begreifen. Und wie wahrscheinlich ist das?
Besprochen von Jürgen Kaube
Reinhard Brandt: Wozu noch Universitäten? Ein Essay
Meiner Verlag, Hamburg 2011
250 Seiten, 18,90 Euro
Reinhard Brandts scharfe Attacke auf die gegenwärtige Hochschulpolitik trägt diesem Umstand Rechnung. Die Minimaldefinition der genuin universitären Aufgabe, die der Marburger Emeritus der Philosophie verwendet, lautet: Bildung durch Erkenntnis. Das wendet sich sowohl gegen eine Hochschule, die sich in Wissensvermittlung oder Berufsvorbereitung erschöpft, wie auch gegen eine von Forschung dominierte Anstalt.
Das Buch skizziert zunächst die Geschichte der Universität: von "Erkenntnis ohne Universitäten" in der Antike und dem Frühmittelalter über die Universität der Juristen-, Theologen- und Medizinerausbildung zwischen 1200 und 1800 bis zur Universität im Zeitalter wissenschaftlicher Disziplinen. Manchmal verläuft sich der Autor dabei ein bisschen und pflückt ideengeschichtliche oder zeitkritische Blumen, die nur entfernt zu seinem Thema gehören: bei Platon und Aristoteles, in der Frage, ob Geisteswissenschaften auch Wissenschaften sind, beim hochtrabenden Ton mancher Theorierhetorik oder beim akademischen Titelwesen. Das ist die liebenswerte Art des Professors, in sein Argument beiläufig auch sein Missfallen an diesem und jenem einzuflechten.
Das Argument selbst bleibt dabei aber ganz klar: Die auf der Einheit von Forschung und Lehre gegründete moderne Universität sei im Übergang zur Massenuniversität in den Griff der Verwaltung und des Managements geraten. Die Organisation des Studiums werde zunehmend von außen vorgeschrieben. Zugleich ziehe sich der Staat aus der Grundfinanzierung zurück. Die Universität spalte sich in den Bachelor-Bereich, in dem nur noch Wissen abgefüllt werde, und in Exzellenz-Zonen, in denen der Kampf um Drittmittel alles dominiere. Gemeinsam ist beiden Bezirken, dass sich in ihnen alle, Lehrende und Forschende wie Lernende, nur noch strategisch verhalten.
Was also tun? Brandt sieht vier Möglichkeiten: Die Universität löst sich in private Anbieter von Ausbildung auf; das Fernstudium übernimmt die Aneignung von Wissen, weil auf die lebendige Interaktion im Seminar sowieso kaum noch Wert gelegt wird; alles bleibt, wie es ist. Oder: man wird "Partisan der Erkenntnis". Brandt ruft zum Widerstand gegen die Bürokratie, zum Neinsagen gegenüber der Reformitis, zum Eigensinn auf. Das allerdings würde voraussetzen, dass Professoren und Studenten die Universität nicht als Mittel zum Zweck begreifen. Und wie wahrscheinlich ist das?
Besprochen von Jürgen Kaube
Reinhard Brandt: Wozu noch Universitäten? Ein Essay
Meiner Verlag, Hamburg 2011
250 Seiten, 18,90 Euro