Partisan und Parmesan

Rezensiert von Cora Stephan · 03.02.2008
Bespöttelt und verachtetet oder bewundert und verklärt: An der 68er-Generation spalten sich bis heute die Geister. Unbestritten bleibt nur, dass 1968 als eine historische Zäsur der deutschen Nachkriegszeit gelten kann. Mit Ironie und dem Abstand der Jahre schildert Reinhard Mohr in "Der diskrete Charme der Rebellion" jene Epoche.
"Partisan und Parmesan
Wo sind sie geblieben?
Partisan und Parmesan
Alles wird zerrieben."

Das ist die Sache mit der Revolution auf den Begriff gebracht, meinte einst der Kabarettist Matthias Beltz, Frankfurter Alt-68er-Größe aus der Sponti-Szene. Und unter dieses Motto stellt auch Reinhard Mohr, der für Beltz manches Kabarettstückchen komponiert hat, sein jüngstes Buch vom "diskreten Charme der Rebellion".

Wer nun von diesem Autor, dessen vor vielen Jahren erschienenes Buch "Zaungäste" ein selbstironisches Lamento der Zuspätgeborenen war, eine melancholische Abrechnung mit Mythen und Legenden von 1968 erwartet hat, wird von seinem neuen Buch angenehm enttäuscht sein. Mohr legt eine handliche Geschichte der Bewegung unter Berücksichtigung vor allem Berliner und Frankfurter Verhältnisse vor - ohne viel Polemik und ohne sich auf den Streit ums Erbe von ’68 einzulassen. Die im Übrigen treffend bebilderte Einführung in die damals so stillgestellten deutschen Verhältnisse hat schon fast Lehrbuchcharakter: Da ruft der Berg mit Luis Trenker und ein skeptisch blickender Adenauer meint "Keine Experimente". Das fasste das Empfinden der Älteren zusammen, die sich nach der totalitären Politisierung aller Lebensverhältnisse während der Nazizeit hinter die undurchdringlichen Hecken des Privaten zurückgezogen hatten.

Die Jungen aber, die sich modisch und musikalisch vom Stillstand im Hergebrachten abzugrenzen begannen, durchbrachen damit

"eine unsichtbare Schranke und durchkreuzten so das geheime Erfolgsrezept der Nachkriegs- und Wiederaufbaujahre - die möglichst strikte Trennung von Politik und Privatsphäre."

Die Folge: ein manchmal womöglich tragisches Missverständnis. Die Jungen hatten keinen Sinn für die Irritation der Älteren bei Begriffen wie "Politisierung" und "Bewegung", Begriffe, die sie an totalitäre Zeiten erinnerten. Ohne solche Missverständnisse und Projektionen, vor allem ohne die Tatsache, dass die Väter als "Täter" allesamt unter Generalverdacht standen, ist das deutsche ’68 nicht zu verstehen - und sicher auch nicht, dass wir uns heute weit intensiver als in anderen Ländern an diese Zeit erinnern.

1968 ist indes auch ohne die DDR und die SED und deren Einflussagenten im Westen nicht zu verstehen - ein Aspekt, der bei Mohr ein bisschen zu kurz kommt. Was daran liegen mag, dass die meisten Frankfurter Spontis, in deren Zentralorgan "Pflasterstrand" Reinhard Mohr in den achtziger Jahren mitgemischt hat, gegen den orthodoxen Kommunismus erfreulich immun waren. Dennoch standen auch hier in den meisten Bücherregalen die blauen Bände der Marx-Engels-Werke. Die großen theoretischen Entwürfe übten eine Anziehungskraft aus, die heute kaum noch nachzuvollziehen ist:

"Die akademische Verve theoretischer Analyse und die Rhetorik der Welterklärung hatten ihre eigene Erotik. Der schon beinah naive Glaube an die Schrift, an das Argument, an Abstraktionen und Begriffe, die die irritierende Welt der Erscheinungen in ihrem Wesen erhellen sollten - das ’Auf-den-Begriffbringen’ der Dinge - das alles enthielt ein faszinierendes Versprechen, einen faustischen Moment der wahren Erkenntnis. In ihm lag das Wunder der ideologiekritischen Entlarvung, wenn man will: einer innerweltlichen Offenbarung."

Genau so war es. Und der Hohepriester dieses Eros, der Meister "der verstiegenen Grammatik" linker Geheimsprache, war Rudi Dutschke. Reinhard Mohr schildert das Berliner Milieu, in das Dutschke und die Studenten einbrachen wie ein Gesteinsbrocken aus dem Weltall, als ob er mittendrin gewesen wäre. Die Studenten provozierten, die Polizei und das Establishment waren überfordert, und alle schlugen um sich. Mit dem Tod Benno Ohnesorgs am 2. Juni 1967 war die Eskalation unvermeidlich geworden; auch das ein tragischer Moment:

"Auf beiden Seiten der Barrikade, die zugleich ein ziemlich durchsichtiger Zerrspiegel war, schien die Demokratie in akuter Gefahr: hier die tobenden roten Horden, die Jünger von Marx und Mao, dort die Reaktionäre und Faschisten, Knechte des US-Imperialismus. Die einen fürchteten sich vor der gnadenlosen Generation von Stalingrad und Auschwitz, die anderen vor dem wüsten Ansturm der Kommunisten, die sich in der mongolischen Steppe zwischen Berlin, Moskau und Peking zum Angriff sammeln. Zerr- und Wahnbilder allemal, aber sie funktionieren, weil unter ihnen jeweils komplementäre Ängste, Wünsche und Hoffnungen lagern - nicht nur, aber vor allem entlang der Scheidelinie von Kriegs- und Generationserfahrung."

Der Bruch ist bis heute nicht geheilt - wohl auch deshalb werden die Schlachten dafür oder dagegen noch immer geschlagen. Das Buch lässt wenig aus, auch nicht manch trauriges Ende - die einen versackten im Drogensumpf, die anderen verkalkten in einer der vielen Politsekten. Der "Polizeistaat" verhielt sich weit maßvoller, als die paranoiden Revolutionäre glaubten, während Astrid Proll, Gudrun Ensslin und Andreas Baader aus reiner Langeweile die RAF erfanden. Und Reinhard Mohr, der Zaungast der Revolte?

"Immer kamen wir zu spät zur Revolution. Manchmal ist die Position des Zaungasts, des teilnehmenden Beobachters, gar nicht so schlecht, denn es ist nicht zwingend, immer selbst ins Becken zu steigen, um zu wissen, wie sich die Brühe anfühlt."

Wer weder auf das allzeit beliebte 68er-Bashing noch auf die Heldenlegenden der Veteranen Lust hat, dem sei zum Buch von Reinhard Mohr dringend geraten. Auch wenn es sich vor allem auf den politischen und weniger den lebensweltlichen Aspekt von 1968 kapriziert, bietet es einen hervorragenden Einblick in das, was "damals wirklich" geschehen ist. Und man spürt, was sich alles seither zum Besseren verändert hat.

Reinhard Mohr: Der diskrete Charme der Rebellion
Ein Leben mit den 68ern

WJS Verlag, Berlin 2008
Reinhard Mohr: Der diskrete Charme der Rebellion
Reinhard Mohr: "Der diskrete Charme der Rebellion"© WJS-Verlag