Gelebte Annäherung von Ost und West
10:27 Minuten
Zwei Jahre vor dem Mauerfall pendelten zwischen Wuppertal und Schwerin bereits regelmäßig Delegationen hin und her. Dank der Städtepartnerschaft wurden aus Fremden Freunde. Bis heute hält die Verbindung, die sogar Ehen hervorgebracht hat.
"Im Januar 1989 haben wir uns am Freitag nach Feierabend getroffen, sind mit mehreren Autos nach Schwerin gefahren und kamen gegen Mitternacht da an. Das schwierigste war immer der Grenzübertritt, der dauerte am längsten."
Der Textilunternehmer Jörg Eckholdt erinnert sich an das Kernstück der Städtepartnerschaft Wuppertal-Schwerin: die gegenseitigen Besuche.
"Man erwartete uns in einer typischen DDR-Wohnung mit dem einheitlichen Kamin. Wir haben bis fünf Uhr morgens gesprochen und ich blieb bei den Gastgebern. Dieser Anfang, da entstanden innige Beziehungen, die teilweise noch bis heute halten."
Aussöhnung und Annäherung
Jörg Eckholdt engagiert sich seither in den Wuppertaler Städtepartnerschaften. Er ist Vorsitzender eines unterstützenden Freundeskreises. Dem gehört auch Ursula Kraus an. Zwölf Jahre war die heute 89-Jährige Oberbürgermeisterin der nordrhein-westfälischen Industriestadt.
"Ich hab den Krieg noch bewusst erlebt. Für mich war es wichtig, dass sich Menschen kennenlernen, dass man sieht, dass die Leute in dem anderen Land auch Probleme haben, dass es Familien sind, die auch keinen Krieg wollen."
Aussöhnung und Annäherungen. Wuppertal hatte bereits positive Erfahrungen mit Städtepartnerschaften gemacht. In der Nachkriegszeit mit South Tyneside in England, in den 70ern mit Beer Sheva in Israel. 1980 ging Wuppertal als erste westdeutsche Großstadt eine Partnerschaft mit einer Stadt im Ostblock ein, dem slowakischen Kosice. Und nun 1987: eine Partnerschaft mit einer Stadt in der DDR.
An Unterstützung von westdeutscher Seite mangelte es der SPDlerin Kraus nicht: Der Antrag dafür kam von der CDU. Auch FDP-Außenminister Hans-Dietrich Genscher, dem später eine Schlüsselrolle in der Wiedervereinigung zukommen sollte, war gerade diese Partnerschaft ein Anliegen. Er hatte in Wuppertal seinen Wahlkreis. Möglich wurde die Kooperation jedoch erst, als auch die SED und ihr Generalsekretär grünes Licht gaben. Damit war aber noch nicht klar, mit welcher Stadt in der DDR Wuppertal nun eine Partnerstadt eingehen würde.
"Dann kam Honecker und dann hieß es, wir bekämen Bescheid, mit wem wir Kontakt aufnehmen müssten. Den bekam ich von Johannes Rau. Ich mein, er war Wuppertaler und wenn etwas schwierig war, dann haben wir ihn eingeschaltet."
Der spätere Bundespräsident war zu der Zeit Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen und gab bekannt, die Wahl sei auf das mecklenburgische Schwerin gefallen. Ursula Kraus erinnert sich noch gut an die zähen Verhandlungen mit ihrem Schweriner Amtskollegen Helmut Oder und der SED-Führung:
"Wir wollten auch Treffen, wo man miteinander turnt oder Fußball spielt, ganz egal. Sowas wollten wir auch und das wollten die nicht ganz so gern. So gab es viel hin und her. Aber die waren von oben gezwungen, dass es auch was werden würde."
Und es wurde was. Am 9. Februar 1987 trafen sie sich in Wuppertal und am 26. Februar in Schwerin und unterzeichneten den Städtepartnerschaftsvertrag.
Marmor aus Pappmaché
Es folgten gegenseitige Besuche von Wuppertaler und Schweriner Delegationen, wie die, in der auch Jörg Eckoldt und seine spätere Gastgeberin teilnahmen. Obwohl der Schweriner Seite besonders eine positive Repräsentanz der DDR wichtig ist, bröckelt die Fassade schon beim zweiten Blick der Wuppertaler:
"Wir durften ins Schweriner Schloss, die Museumsdirektorin hat uns herumgeführt. Die hat uns erzählt, woraus der Marmor im Schloss besteht, nämlich aus Pappmaché."
Jörg Eckholdt und seine Mitstreiter fahren ab Anfang 1989 mindestens einmal im Monat nach Schwerin, bekommen die schöne Landschaft gezeigt. In den 90ern intensiviert sich die Städtepartnerschaft und weitet sich zu einer Art Aufbauhilfe aus. Die Wuppertaler Verwaltung unterstützt etwa die Schweriner in der Aufstellung ihres Haushalts. Zu der Zeit herrscht eine große Aufbruchsstimmung in Schwerin, bis sich die Gemeinde mit Wuppertaler Unterstützung in das föderale System der gesamtdeutschen Bundesrepublik einfügt. Für Eckholdt auch heute noch eine unvergessliche Zeit:
Jörg Eckholdt und seine Mitstreiter fahren ab Anfang 1989 mindestens einmal im Monat nach Schwerin, bekommen die schöne Landschaft gezeigt. In den 90ern intensiviert sich die Städtepartnerschaft und weitet sich zu einer Art Aufbauhilfe aus. Die Wuppertaler Verwaltung unterstützt etwa die Schweriner in der Aufstellung ihres Haushalts. Zu der Zeit herrscht eine große Aufbruchsstimmung in Schwerin, bis sich die Gemeinde mit Wuppertaler Unterstützung in das föderale System der gesamtdeutschen Bundesrepublik einfügt. Für Eckholdt auch heute noch eine unvergessliche Zeit:
"Dieser Enthusiasmus, dieser Elan, 'Wir bauen jetzt was Neues auf', der ist ein bisschen weg. Aber die Freundschaft ist geblieben."
Vier Genossen und einer aus der Bauernpartei
Zu Gast im Schweriner Büro von Rolf Steinmüller von der Stadtparlamentsfraktion "Unabhängige Bürger".
"Seit 1976 bin ich Stadtvertreter. So sah ich vor 30 Jahren aus." Der 78-Jährige steht in seinen kurzen Sommerhosen, die kaum bis zum Knie reichen, an einem Tisch und breitet auf Fotopapier festgehaltene Erinnerungen aus:
"Hier leiste ich meine Unterschrift. Wir sehen ein kleines graues Kästchen. Darauf steht: 'Zur Erinnerung an Ihren Besuch in Wuppertal vom 7. bis 11. Februar 1987'. Darin die Fotos, schwarz-weiß."
Reporterin: "Was genau unterschreiben Sie da zum Beispiel?"
Steinmüller: "Die Städtepartnerschaft in Vertretung der Stadtvertretung der Stadt Schwerin in Wuppertal. Wir sind zu fünft dorthin gefahren. Das ist Kaminski, unser ehemaliger Handelschef. Das ist unser Oberbürgermeister Doktor Oder. Und ich war die neutrale Person innerhalb der Genossenriege: Die anderen vier waren Genossen, und ich war Bauernpartei."
Aus dem damaligen Grau ist ein Schlohweiß geworden, doch der dichte Schopf und Vollbart sind Rolf Steinmüller geblieben. Ebenso das unbändige Selbstbewusstsein eines Mannes, der zu DDR-Zeiten erfolgreich ein großes volkseigenes Obstbaugut leitete und in der Schweriner Stadtverordnetenversammlung die Fäden zog, obwohl er kein SED-Mitglied war.
Kein schlechteres Niveau in Schwerin
Sich klein zu machen, nur weil man endlich einmal in den Westen durfte? Nicht mit ihm, sagt Rolf Steinmüller und erinnert sich verschmitzt lächelnd an das Abendbrot für die Schweriner Delegation am Ankunftstag. Da habe er den Gastgebern beim Anblick des Abendessens gesagt:
"Das gibt man Leuten, die schon vorher mitteilen: 'Wir essen fleischarm.' So etwas Ärmliches! Und da habe ich dort gesagt: 'Wir kommen nicht aus der Urgemeinschaft! Wir haben in Schwerin kein schlechteres Niveau.' Dann sind wir ins Hotel gekommen gegen 23 Uhr, und da haben sie gesagt: 'Seid ihr noch in der Lage, Abendbrot zu essen? Wir sind beauftragt worden, Ihnen ein vernünftiges Abendbrot zu bieten.'"
Die Schweriner Delegation, zu der auch eine junge Frau von der "Handelsorganisation" (HO) gehörte, fand erstaunlich, dass die damalige 300.000-Einwohner-Stadt Wuppertal mit Ursula Kraus eine ehrenamtliche Oberbürgermeisterin hatte. Undenkbar in Schwerin mit seinen damals noch 130.000, überwiegend jungen Einwohnern. Sie staunten auch über so manch ahnungslose bis arrogante Frage der Rheinländer über den DDR-Alltag. Die Folge, so Rolf Steinmüller:
"Wir haben noch zu DDR-Zeiten einen Austausch mit Jugendlichen gemacht, weil wir gesagt haben: ‚Wir können mit unseren Jugendlichen Bildung gegenüber der Bundesrepublik, die hochgestapelt war, demonstrieren. Aber wirklich demonstrieren!"
Stasi beobachtete Städtepartnerschaft
Dass die DDR-Staatssicherheit dieser Städtepartnerschaft stets fest unter Beobachtung hatte, will Rolf Steinmüller nicht bemerkt haben. "Und wenn schon?" sagt er heute. Das Wichtigste sei doch gewesen, dass man sich annäherte. Annähern durfte. Und das zu einer Zeit, als niemand ahnte, dass der DDR-Staat nur noch zwei, drei Jahre existieren würde: "Es gab eine Linie, die hieß: Uns kennenlernen."
"Ich gebe zu, dass ich durch diese Städtepartnerschaft erstmals bewusst die Stadt Schwerin wahrgenommen habe, weil die Presse dann in Wuppertal auch sehr ausführlich über diese Partnerschaft berichtete", sagt der Ex-Wuppertaler und Neu-Schweriner Stephan Nolte.
Er erinnert sich vor allem an die Bilder vom wunderschönen Schweriner Schloss und an die Geschichte, "dass Johannes Rau, damals Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen, zu den Trauerfeierlichkeiten für den ermordeten schwedischen Ministerpräsidenten Olof Palme gefahren war, dort Erich Honecker begegnet ist und ihm den Wunsch nach einer solchen Städtepartnerschaft mit auf den Weg gegeben hat".
Ehe als Folge der Städtepartnerschaft
Stephan Nolte stand ganz am Anfang seines Berufsweges, als es 1990 zur Wiedervereinigung kam. Schon kurz danach zog er von Wuppertal in die nunmehrige Landeshauptstadt von Mecklenburg-Vorpommern. Seitdem arbeitet er in der Landtagsverwaltung und ehrenamtlich als CDU-Kommunalpolitiker - zuletzt zehn Jahre als Stadtpräsident. Erst kürzlich lud seine alte Heimatstadt wieder einmal eine Delegation Schweriner Bürger ein. Dieses Mal, um an einer Bürgerfragestunde mit Bundeskanzlerin Merkel teilzunehmen, erzählt Stephan Nolte.
"Im Grunde wird die Städtepartnerschaft jetzt so gelebt, wie es sich das die Gründer mal vorstellten: Dass also auf ganz unkomplizierte Weise Vereine, Kirchengemeinden, Chöre sich gegenseitig besuchen. Darüber hinaus pflegen die Verwaltungen unserer beiden Städte einen Austausch über die Auszubildenden, immer wechselseitig: eine Woche in Wuppertal, eine Woche in Schwerin. Das ist eine kontinuierliche Sache, die dazu beiträgt, dass gerade die jungen Leute sich kennenlernen und die Städtepartnerschaft in geradezu idealer Weise gelebt wird."
Wohl wahr: Aus dem Azubi-Austausch ist jedenfalls schon eine Ehe hervorgegangen.