Party, Volleyball, Kunst und ein bisschen Hoffnung

Von Bettina Rühl |
Junge Erwachsene feiern Partys oder spielen Volleyball am Strand. Die Händler und Händlerinnen haben ihre Geschäfte auf dem zentralen Marktplatz wieder aufgenommen. Nach Jahrzehnten Krieg, Gewalt und Zerstörung keimt Hoffnung im somalischen Mogadischu. Zwar liegt die Stadt in Ruinen. Aber seit sich die Lage dort etwas beruhigt hat, trauen sich die Bewohner wieder auf die Straßen.
Das Militär konnte die islamistische Shabaab-Miliz weitgehend vertreiben. Den dadurch entstehenden kleinen Freiraum haben die Menschen umgehend mit Leben gefüllt – trotz der schweren Anschläge, die es nach wie vor in der Stadt gibt. Denn die Gefahr durch gewalttätige Milizen ist längst nicht gebannt. Auch, weil gleich hinter der Stadtgrenze der Machtbereich der Islamisten beginnt.

Eine Kreuzung im Zentrum von Mogadischu, der somalischen Hauptstadt. Alles drängelt durcheinander: Mopeds, Kleinbusse, Privatfahrzeuge, Fußgänger. Und ausgerechnet mitten im Kreisverkehr sind auch noch zwei Busse ineinander gefahren. Drei Polizisten versuchen gemeinsam, dem Verkehrschaos rund um den Unfall eine Struktur zu geben - vergeblich.

Im Grunde ist so ein Chaos im Zentrum einer afrikanischen Hauptstadt etwas ganz normales. Und genau deshalb ist es für Mogadischu eine Revolution: Einen auch nur halbwegs normalen Alltag hat es hier viele Jahre lang nicht mehr gegeben. "K 4", wie diese zentrale Kreuzung heißt, war noch vor neun Monaten zu jeder Tages- und Nachzeit praktisch menschenleer.

Wegen des Bürgerkrieges blieben die Menschen zu Hause. Auf die Straße ging nur, wer unbedingt musste. Erst recht, seit die islamistische Shabaab-Miliz im Jahr 2007 die Kontrolle über Mogadischu weitgehend eroberte. Die Miliz gehört zum Terrornetzwerk Al-Qaida. Aber im vergangenen August mussten die Islamisten ihre militärischen Stellungen in Mogadischu räumen. Einige ihrer Kämpfer blieben allerdings zurück. Deshalb gibt es nach wie vor schwere Selbstmordanschläge in Mogadischu. Trotzdem entsteht seit dem weitgehenden Abzug der Shabaab-Milizionäre für die Menschen in Mogadischu zum ersten Mal seit mehr als 20 Jahren so etwas wie ein Alltag.

"Wir sind gerade dabei, ein großes Bild zu malen. Das werden wir dann an einer zentralen Stelle in der Stadt aufstellen. Wir wollen Somalia verändern. Das ist vor allem für die Zukunft der Jugend wichtig. Das Bild zeigt: Somalia ist reich. Die Bevölkerung ist sich aber gar nicht bewusst, über welche Reichtümer ihr Land verfügt."

Der Künstler Abdullahi Abdurahmane Alif hockt auf dem Boden einer Garage und skizziert mit dem Bleistift auf einer großen Leinwand die Umrisse eines Gemäldes.
"Das Bild zeigt einen Jungen, der auf das Meer hinaus guckt, weil er von dort Lebensmittelhilfe erwartet. Dabei gibt es in seinem Rücken, nämlich an Land, alle möglichen Ressourcen: Jemand bestellt ein Feld, es gibt Vieh, einen Fischer. Über den Hügeln am Horizont sieht man einen Schriftzug, da steht: Ein reiches Land, in dem die Menschen arm sind. Das Bild wird bald fertig sein, dann wollen wir es an einer zentralen Straße in Mogadischu aufstellen."

Abdudllahi Abdurahmane Alif ist seit Januar Teil einer fünfköpfigen Künstlergruppe. Er und seine Kollegen malen großformatige Bildtafeln, die sie dann in an wichtigen Kreuzungen in Mogadischu aufstellen. Jedes Gemälde transportiert eine Botschaft, alle werben auf die eine oder andere Art für den Frieden.

Die Künstler treffen sich jeden Tag zum Arbeiten auf dem Gelände einer somalischen Hilfsorganisation, bei der sie zum Malen angestellt sind. Das Geld für dieses Projekt kommt von der US-amerikanischen, staatlichen Organisation US-AID. Das Ziel: Die Kunst einzusetzen, um die Gesellschaft nach mehr als 20 Jahren Bürgerkrieg endlich zu befrieden.

"Wir haben in den letzten Jahren unsere eigenen Erfahrungen gemacht. Deshalb fühlen wir uns durch so ein Projekt auch nicht benutzt. Es ist uns ja selbst wichtig, diese Botschaften unter die Leute zu bringen. Uns ist es deshalb ganz egal, wer finanziell dahinter steht. Wir tun, was wir für richtig halten."

Es ist kein Zufall, dass dieses Projekt seit Januar dieses Jahres läuft. Erst seit sich die Lage in Mogadischu etwas stabilisiert hat, ist an den öffentlichen Einsatz von Kunst überhaupt nur zu denken. Dabei ist die Ruhe auch heute noch relativ.

Und die halbwegs sichere Zone ist klein: Direkt hinter den Stadtgrenzen von Mogadischu endet der Machtbereich der somalischen Übergangsregierung und der afrikanischen Eingreiftruppe AMISOM, die an ihrer Seite kämpft. Schon die Ausfallstraßen sind nach wie vor in der Hand der Islamisten, sodass die im Grunde ziemlich ungestört in die Stadt kommen können.

"Mir ist ständig bewusst, dass einige Kämpfer der Shabaab noch immer in Mogadischu sind. Das geht allen so aus unserer Gruppe. Wir meiden deshalb die Öffentlichkeit. Wir kommen zum Arbeiten hierher und gehen anschließend auf direktem Weg nach Hause. Wir vermeiden alles, wodurch wir auffallen könnten. In der Stadt können wir uns nicht frei bewegen.

Draußen in der Stadt zu arbeiten und die Gemälde direkt auf den Mauern aufzubringen, wäre viel zu gefährlich. Deshalb malen wir hier, in der Garage, auf Leinwand, und stellen die Bildtafeln anschließend auf. Außerdem nehmen wie niemals zweimal hintereinander denselben Weg."

Immer wieder gelingt es den Shabaab, Selbstmordattentate auch in Mogadischu zu verüben. Anfang März griffen sie das Hauptquartier der Afrikanischen Eingreiftruppe AMISOM mit Mörsern und schweren Geschützen an.

Trotzdem sehen die Menschen in Mogadischu vor allem den Fortschritt in der Stadt. Und der Künstler Alif ergreift jede Chance, für den Frieden zu werben. Er sehnt ihn geradezu verzweifelt herbei. Aber glaubt er denn, dass seine Bilder einen islamistischen Milizionär tatsächlich erreichen?

"Nein, ausgeschlossen. Die Shabaab hassen die Kunst. Vor drei Jahren haben sie mich bedroht, ich musste aus dem Viertel, in dem ich wohnte, fliehen. Danach haben sie alle meine Arbeiten zerstört. Seit 1992, also kurz nach dem Beginn des Krieges, habe ich als politischer Cartoonist für somalische Zeitungen gearbeitet.

Ich hatte mehr als 26.000 Zeichnungen, die haben sie zerstört, als sie meine Wohnung überfielen. Alles, was ich in meinem Leben geschaffen habe, ist weg. Die Arbeit von 18 Jahren. Das ist unglaublich schmerzhaft. Mein ganzes Werk - ich weiß gar nicht, was ich sagen soll."

Jetzt macht Alif nur noch Gemälde und weiß, dass er an jedem Tag, den er überlebt, wieder einmal Glück gehabt hat. Seine Kollegen teilen dieses Bewusstsein.
Es ist kurz vor Mitternacht. Die Tanzfläche ist voll. Männer und Frauen gehen geübt und geschmeidig mit den Rhythmen mit. Sie lassen sich vom Spiel der Körper treiben, provozieren einander zu immer gewagteren Bewegungen, finden zu Paaren zusammen und trennen sich wieder. Einige flirten beim Tanzen, andere lassen sich von der Musik zu Bewegungen hinreißen, die fast aufreizend wirken, obwohl sie sicher nicht so gemeint sind. Alle genießen den Abend.

"Die Party ist super. Jedes Mal wenn ich herkomme, lerne ich neue Leute kennen: Männer und Frauen. Wir reden darüber, was wir so machen. Einige haben studiert, an den unterschiedlichsten, internationalen Universitäten. Andere arbeiten für verschiedene Humanitäre Organisation. Es ist einfach toll.

Die Party erinnert mich an mein Leben in Großbritannien. Ich komme immer, wenn sich so eine Gelegenheit bietet!"

Die Musikquelle ist ein Laptop, ein paar junge Männer kümmern sich gemeinsam um die Auswahl. Wenn ein Titel nicht zündet und die Tanzfläche leer bleibt, wechseln sie abrupt zum nächsten Stück. Wobei man sich die Tanzfläche kaum einfacher vorstellen kann: es ist eine große Plastikplane auf dem sandigen Boden. Überhaupt ist die "location" ziemlich traditionell:

Tagsüber dient sie als einfaches somalisches Restaurant, die Plastiktische und Plastikstühle stehen auch jetzt rund um die Tanzfläche. Zu trinken gibt es: Limo. Zu essen: für jeden ein Stück Kuchen und einen Keks. Das ist der Standard bei somalischen Festen, Barbesitzer Mohamed Abdi hat am Anfang des Abends die Pappteller mit den Süßigkeiten und die Limo-Flaschen an alle verteilt.

"Ein oder zwei Mal im Monat bucht jemand eine Party. Das sind Somalier, die aus dem Ausland zurückgekommen sind, aber auch andere somalische Jugendliche. Sie fragen mich, ob sie wieder mal eine Party machen dürfen, geben mir einen Teil des Geldes, das ich dafür nehme, und dann geht es los. Die Leute, die kommen, sind ganz unterschiedlichen Alters. Wir fangen in der Regel um neun Uhr abends an, und manchmal dauern die Partys bis zwei Uhr morgens."

Was aus seinem Mund so selbstverständlich klingt, ist für Mogadischu eine Revolution. Bevor die Shabaab Mogadischu im August 2011 weitgehend räumten, war an so etwas nicht zu denken. Nicht nur Musik und Tanzen waren verboten, auch Fußballspielen oder Fernsehen. Allerdings ist eine Party, die im ganzen Viertel zu hören ist, bis heute riskant. Entsprechend vorsichtig macht Mohamed Abdi diese Abende jeweils bekannt:

"Es ist gefährlich, wenn sich das überall herumspricht. Dann kriegen das auch die Shabaab mit und können das für ihre Zwecke nutzen. Deshalb sagen wir erst am Tag selbst einzelnen Leuten Bescheid: "Heute!"

Dabei sind die Frauen noch immer so züchtig gekleidet, wie es den strengen Regeln der Shabaab-Miliz entspricht: mit weiten, bodenlangen Gewändern, und Kopftüchern, die keine Haarsträhne freilassen. Ihre Gesichter sind allerdings unverhüllt, und die Stoffe nicht schwarz, sondern bunt. Trotz dieser ganzen Stoffmenge ist die Geschmeidigkeit ihrer tanzenden Körper nicht zu übersehen.

An diesem Abend scheint ein Teil von Mogadischu vor Lebensfreude zu explodieren.

"Ich bin vor acht Monaten nach Mogadischu zurückgekommen, und bis jetzt genieße ich es. Klar, hin und wieder gibt es kleinere Vorfälle, jemand sprengt sich in die Luft oder so, aber im allgemeinen ist es ruhig. Jeden Freitag gehe ich mit meinen Freunden an den Strand, wir bleiben den ganzen Tag und spielen Fußball. Manchmal machen wir zusammen mit den Somaliern aus der Nachbarschaft Partys, damit wir uns gegenseitig kennen lernen."

Seinen Namen möchte er aus Gründen der Sicherheit allerdings nicht nennen, und auch nicht allzu viele Details über seine jetzige Arbeit. Nur so viel: Er hat in England studiert und arbeitet jetzt für die Stadtverwaltung von Mogadischu. Ähnliches gilt für seinen Freund, der ebenfalls anonym bleiben will:

"Ich bin auch einer von denen, die aus der Diaspora zurückgekommen sind, in meinem Fall aus Westeuropa. Ich bin gekommen, weil ich etwas zur Entwicklung Somalias beitragen will. Ich habe ein Diplom in Makro-Ökonomie und will mein Wissen an die Somalier weitergeben."

Ob sich Mogadischu in den letzten Monaten verändert hat, kann man auch im Benadir-Krankenhaus erfahren. Im Sommer 2011, auf dem Höhepunkt der Hungersnot im Osten Afrikas, starben der Ärztin Lul Mohamud Mohamed die Kinder unter den Händen weg: Weil die Shabaab die Hauptstadt und die meisten Teile Somalias besetzt hatten, trauten sich nur wenige Helfer ins Land. In Mogadischu war die Lage dramatisch, und dennoch immer noch besser als im Rest Somalias.

Deshalb flohen Zehntausende auf der Suche nach Nahrung in die Hauptstadt. Das Wenige, was eingeflogen wurde, reichte nicht aus. Lul Mohamud Mohamed führte damals zu vielen Kinderbetten, in denen Patienten lagen, die so ausgehungert waren, dass sie ihnen nicht mehr helfen konnte: Die Kinder hätten spezielle Aufbaunahrung gebraucht, aber die gab es nicht.

Dieses Kleinkind dagegen schreit nicht vor Hunger, sondern aus einer Mischung von Angst und Wut: Es bekommt eine Spritze und wird auch noch von einem Mann behandelt, der viel heller ist als die Menschen, die es kennt: Ein Team türkischer Ärzte ist im Benadir-Krankenhaus, um die lokalen Mediziner ein paar Tage lang zu unterstützen.

Die Kinderärztin Lul Mohamud Mohamed diskutiert mit ihren türkischen Kollegen über einzelne Patienten. Sie leitet die Kinderstation und ist stellvertretende Leiterin des Krankenhauses.

"Inzwischen kommen viel mehr Hilfsorganisation hierher als damals. Drei von ihnen unterstützten uns bei der Arbeit in diesem Krankenhaus. Positiv ist auch, dass sich die Situation in Mogadischu ganz allgemein verbessert hat. Die Patienten sind besser ernährt. Aber natürlich gibt es immer noch Engpässe. Manche bräuchten Hilfe, die wir ihnen in Somalia einfach nicht bieten können.

Wir haben hier zum Beispiel zwei Kindern mit Herzfehlern, die ständig zusätzlichen Sauerstoff brauchen. Beide müssten operiert werden, aber diese Herzoperationen sind in Somalia nicht möglich. Das gilt noch für ein paar andere Operationen."

Die Intensivstation ist für jemanden, der an deutsche Krankenhäuser gewöhnt ist, als solche gar nicht zu erkennen: Es gibt keine Apparate oder Monitore. Dafür schauen die Ärzte sehr oft nach den Patienten, die hier liegen.

Lul Mohamud Mohamed war im vergangenen Jahr zutiefst deprimiert, weil sie das Sterben der Kinder oft nicht verhindern konnte. Jetzt ist sie wieder voller Energie, weil sie das Nötigste hat, um den Menschen zu helfen. Und sie wagt wieder zu hoffen, dass sich die Lage weiter verbessert.