Passion für die deutsche Geschichte
Der amerikanische Historiker und Friedenspreisträger Fritz Stern hat schon viel über die deutsche Geschichte geschrieben, mit der er schmerzhaft verbunden ist. Auch in seinem Erinnerungsband "Fünf Deutschland und ein Leben" bietet er eine nüchtern-sachliche Analyse der deutschen Vergangenheit, nimmt seine Leser allerdings zu wenig erzählerisch an die Hand.
Fritz, dieser Name klingt nach Preußen. Er erinnert an den alten Fritz und eine vergangene Zeit. Im englischsprachigen Ausland gilt "Fritz" als eine Art Schlagwort für alle Deutschen. Deutsche Wurzeln hat auch Fritz Stern, Geschichtsprofessor an der New Yorker Columbia Universität. Er hat nun seine Lebenserinnerungen vorgelegt hat. Die deutsche Vergangenheit zieht sich wie ein roter Faden durch den Band, und so steht der Vorname Fritz symptomatisch für ein ganzes Leben.
Stern stammt aus einer jüdischen Akademiker-Familie, wie es sie zu Tausenden in Deutschland gegeben hat, eine Gruppe, die als Anwälte, Professoren, Ärzte und Kaufleute einen Kern des liberalen Bildungsbürgertums bildete. Wie andere auch ließen sich die Sterns protestantisch taufen, feierten Weihnachten statt Hanuka und sangen patriotische Lieder. Heinrich Heine spottete über diese Assimilierung: "Der Taufzettel ist das Entréebillet zur europäischen Kultur."
Sterns Vorfahren waren erfolgreiche Ärzte in Breslau, der zweitgrößten Stadt Preußens, einer aufstrebenden, modernen und vielfältigen Metropole. Um die Anpassung komplett zu machen, gaben die Sterns ihrem Sohn den Namen Fritz. Preußischer geht es nicht.
Zugleich nahmen sich die Eltern den Patenonkel des Täuflings zum Vorbild: Fritz Haber, der bekannten Chemiker und Nobelpreisträger. 1938 floh die Familie nach Amerika. Dort überlegte Fritz Stern kurze Zeit, ob er sich nach seinem zweiten Vornamen Richard nennen sollte, weil er sich "wie jeder Einwanderer so rasch und vollständig wie möglich assimilieren wollte." Doch er beließ es bei Fritz "teils aus Stolz auf Habers Vornamen, teils aus Dickköpfigkeit."
So behielt der Wissenschaftler Stern Zeit seines Lebens auch mit seinem Namen eine Brücke in die alte Heimat. Denn sie sollte ihn als Wissenschaftler nie loslassen. Fritz Stern hat er sich fast ausschließlich mit europäischer, und dabei besonders mit deutscher Geschichte, befasst.
Sein Buch bietet, wie es Louis Begley ausdrückte, einen "brillanten Führer durch Deutschland in den letzten 75 Jahren". Fünf Deutschland hat Stern erlebt: die Weimarer Republik, in der er 1926 geboren wurde, die Nazi-Diktatur, die er bis zur Flucht erlebte, die Bundesrepublik und die DDR, wohin er oft reiste und schließlich ab 1990 das wiedervereinigte Deutschland.
Stern sieht, dass "das Private und das Öffentliche nahtlos ineinander übergehen". So verschmelzt er in seinem Buch private Erinnerungen mit einer nüchternen Schilderung der deutschen Geschichte. Leider ist Stern kein Plauderer, niemand der Gefühle spielen lässt und den Leser an der Hand führt. Das ist schade, wird allerdings wettgemacht durch die Stärke des Wissenschaftlers: seine Analyse, der scharfe, detaillierte Blick.
Die Politik drang früh ins Leben des jungen Stern. 1931 machte der Fünfjährige Urlaub mit seinen Eltern auf Amrum an der Nordsee.
"Am Zugang zum Strand stand ein uniformierter SA-Mann, der Nazi-Zeitungen verkaufte. (...) Diese Figur, die mit ihrem Gummiknüppel Feindseligkeit und Gewalttätigkeit ausstrahlte, blieb mir dauerhaft im Gedächtnis, sie flößte mir Furcht ein und übte, wie ich glaube, eine Art von morbider Faszination auf mich aus."
Zwei Jahre später, mit der Machtergreifung der Nazis, verschlechterte sich die Lage für die Sterns und von der anfänglichen Faszination blieb nichts mehr übrig. Die interessanteste Passage des Buchs betrifft diese Zeit. Stern macht deutlich, wie die Nazis ihre Macht immer mehr ausbauten und wie sie die Masse der Deutschen auf ihre Seite brachten. Der Antisemitismus diente als Vehikel für allerlei Hassgefühle, und auch der kleine Fritz bekam das zu spüren.
"Mit jedem Halbjahr wurde es unangenehmer, wuchs mein Gefühl des Ausgeschlossenseins."
Schließlich gelang es Hitler, die Bevölkerung einzuschüchtern, aber auch zu begeistern. Im Ergebnis, so Stern, raubte er Deutschland seine Seele.
In Amerika machte der junge Stern Erfahrung mit dem "unbeschreiblichen Reiz der Freiheit und ihrem Preis, die ungeheure Unsicherheit." Ersteres überwog. Die Sterns fassten schnell Fuß, durch Fleiß und Hartnäckigkeit. Und sie fühlten sich in Amerika aufgehoben. Das wurde dem kleinen Fritz schlagartig klar, als er einem Polizisten in New York nach dem Weg fragte. Anders als in Breslau hütete der "cop" wirklich die Ordnung, statt sie zu zerstören. Der Polizist gab mit vertrauten Worten Auskunft: in einer Mischung von Deutsch und Jiddisch.
<im_39973>Fritz Stern: Fünf Deutschland und ein Leben</im_39973>Fritz entwickelte sein anfängliches Faible für Geschichte zur einer wahren Passion. Schuld daran war auch Albert Einstein, den er 1944 fragte, was er denn studieren solle. Der Rat Einsteins war klar: "Medizin ist eine Wissenschaft und Geschichte nicht. Also Medizin". Stern hat sich nicht daran gehalten, zum Glück, denn er brachte es in seiner Disziplin zu einem der anerkanntesten Professoren. Seine Bücher wurden auch in Deutschland zu Bestsellern. Immer wieder beschäftigte sich Stern mit der Kernfrage: wie war Hitler möglich? Welche typisch deutschen Traditionslinien führen nach Auschwitz?
Dabei bleibt er stets sachlich und unaufgeregt. Eine Kollektivschuld gibt es für ihn nicht, auch keine klare Kausalkette, die zur Nazi-Diktatur führt. Hitler war weder Ausnahme noch Ziel der Geschichte. Diese Ausgewogenheit prägt Stil und Urteil Sterns. Das ist wohltuend, doch das hat auch Nachteile: Stern zeigt nie Kante. Neues bietet er nicht. An vielen Stellen hätte Stern kürzen müssen, doch das fällt alten Männern mitunter schwer.
Ein Beispiel: 1993 war Stern vier Monate "Chefberater" an der US-Botschaft in Bonn. Er schildert seine Spaziergänge am Rhein - und langweilt damit den Leser. Doch insgesamt stellt das Buch eine gelungene Melange dar. Seine Darstellung der Geschichte eignet sich besonders für junge Studenten oder Schüler, die sich noch nicht viel mit der Vergangenheit auseinandergesetzt haben.
Rezensiert von Hartmut Kühne
Fritz Stern: Fünf Deutschland und ein Leben. Erinnerungen
Aus dem Amerikanischen von Friedrich Griese.
C.H.Beck Verlag, München 2007
674 Seiten, 29,90 Euro.
Stern stammt aus einer jüdischen Akademiker-Familie, wie es sie zu Tausenden in Deutschland gegeben hat, eine Gruppe, die als Anwälte, Professoren, Ärzte und Kaufleute einen Kern des liberalen Bildungsbürgertums bildete. Wie andere auch ließen sich die Sterns protestantisch taufen, feierten Weihnachten statt Hanuka und sangen patriotische Lieder. Heinrich Heine spottete über diese Assimilierung: "Der Taufzettel ist das Entréebillet zur europäischen Kultur."
Sterns Vorfahren waren erfolgreiche Ärzte in Breslau, der zweitgrößten Stadt Preußens, einer aufstrebenden, modernen und vielfältigen Metropole. Um die Anpassung komplett zu machen, gaben die Sterns ihrem Sohn den Namen Fritz. Preußischer geht es nicht.
Zugleich nahmen sich die Eltern den Patenonkel des Täuflings zum Vorbild: Fritz Haber, der bekannten Chemiker und Nobelpreisträger. 1938 floh die Familie nach Amerika. Dort überlegte Fritz Stern kurze Zeit, ob er sich nach seinem zweiten Vornamen Richard nennen sollte, weil er sich "wie jeder Einwanderer so rasch und vollständig wie möglich assimilieren wollte." Doch er beließ es bei Fritz "teils aus Stolz auf Habers Vornamen, teils aus Dickköpfigkeit."
So behielt der Wissenschaftler Stern Zeit seines Lebens auch mit seinem Namen eine Brücke in die alte Heimat. Denn sie sollte ihn als Wissenschaftler nie loslassen. Fritz Stern hat er sich fast ausschließlich mit europäischer, und dabei besonders mit deutscher Geschichte, befasst.
Sein Buch bietet, wie es Louis Begley ausdrückte, einen "brillanten Führer durch Deutschland in den letzten 75 Jahren". Fünf Deutschland hat Stern erlebt: die Weimarer Republik, in der er 1926 geboren wurde, die Nazi-Diktatur, die er bis zur Flucht erlebte, die Bundesrepublik und die DDR, wohin er oft reiste und schließlich ab 1990 das wiedervereinigte Deutschland.
Stern sieht, dass "das Private und das Öffentliche nahtlos ineinander übergehen". So verschmelzt er in seinem Buch private Erinnerungen mit einer nüchternen Schilderung der deutschen Geschichte. Leider ist Stern kein Plauderer, niemand der Gefühle spielen lässt und den Leser an der Hand führt. Das ist schade, wird allerdings wettgemacht durch die Stärke des Wissenschaftlers: seine Analyse, der scharfe, detaillierte Blick.
Die Politik drang früh ins Leben des jungen Stern. 1931 machte der Fünfjährige Urlaub mit seinen Eltern auf Amrum an der Nordsee.
"Am Zugang zum Strand stand ein uniformierter SA-Mann, der Nazi-Zeitungen verkaufte. (...) Diese Figur, die mit ihrem Gummiknüppel Feindseligkeit und Gewalttätigkeit ausstrahlte, blieb mir dauerhaft im Gedächtnis, sie flößte mir Furcht ein und übte, wie ich glaube, eine Art von morbider Faszination auf mich aus."
Zwei Jahre später, mit der Machtergreifung der Nazis, verschlechterte sich die Lage für die Sterns und von der anfänglichen Faszination blieb nichts mehr übrig. Die interessanteste Passage des Buchs betrifft diese Zeit. Stern macht deutlich, wie die Nazis ihre Macht immer mehr ausbauten und wie sie die Masse der Deutschen auf ihre Seite brachten. Der Antisemitismus diente als Vehikel für allerlei Hassgefühle, und auch der kleine Fritz bekam das zu spüren.
"Mit jedem Halbjahr wurde es unangenehmer, wuchs mein Gefühl des Ausgeschlossenseins."
Schließlich gelang es Hitler, die Bevölkerung einzuschüchtern, aber auch zu begeistern. Im Ergebnis, so Stern, raubte er Deutschland seine Seele.
In Amerika machte der junge Stern Erfahrung mit dem "unbeschreiblichen Reiz der Freiheit und ihrem Preis, die ungeheure Unsicherheit." Ersteres überwog. Die Sterns fassten schnell Fuß, durch Fleiß und Hartnäckigkeit. Und sie fühlten sich in Amerika aufgehoben. Das wurde dem kleinen Fritz schlagartig klar, als er einem Polizisten in New York nach dem Weg fragte. Anders als in Breslau hütete der "cop" wirklich die Ordnung, statt sie zu zerstören. Der Polizist gab mit vertrauten Worten Auskunft: in einer Mischung von Deutsch und Jiddisch.
<im_39973>Fritz Stern: Fünf Deutschland und ein Leben</im_39973>Fritz entwickelte sein anfängliches Faible für Geschichte zur einer wahren Passion. Schuld daran war auch Albert Einstein, den er 1944 fragte, was er denn studieren solle. Der Rat Einsteins war klar: "Medizin ist eine Wissenschaft und Geschichte nicht. Also Medizin". Stern hat sich nicht daran gehalten, zum Glück, denn er brachte es in seiner Disziplin zu einem der anerkanntesten Professoren. Seine Bücher wurden auch in Deutschland zu Bestsellern. Immer wieder beschäftigte sich Stern mit der Kernfrage: wie war Hitler möglich? Welche typisch deutschen Traditionslinien führen nach Auschwitz?
Dabei bleibt er stets sachlich und unaufgeregt. Eine Kollektivschuld gibt es für ihn nicht, auch keine klare Kausalkette, die zur Nazi-Diktatur führt. Hitler war weder Ausnahme noch Ziel der Geschichte. Diese Ausgewogenheit prägt Stil und Urteil Sterns. Das ist wohltuend, doch das hat auch Nachteile: Stern zeigt nie Kante. Neues bietet er nicht. An vielen Stellen hätte Stern kürzen müssen, doch das fällt alten Männern mitunter schwer.
Ein Beispiel: 1993 war Stern vier Monate "Chefberater" an der US-Botschaft in Bonn. Er schildert seine Spaziergänge am Rhein - und langweilt damit den Leser. Doch insgesamt stellt das Buch eine gelungene Melange dar. Seine Darstellung der Geschichte eignet sich besonders für junge Studenten oder Schüler, die sich noch nicht viel mit der Vergangenheit auseinandergesetzt haben.
Rezensiert von Hartmut Kühne
Fritz Stern: Fünf Deutschland und ein Leben. Erinnerungen
Aus dem Amerikanischen von Friedrich Griese.
C.H.Beck Verlag, München 2007
674 Seiten, 29,90 Euro.