Pathetisch jedes auf seine Art

Pathetisch, im Sinne klassischer Rhetorik an die Emotion appellierend, wirken sie beide. Das Violinkonzert von Johannes Brahms ist kein Virtuosenstück, sondern ein sinfonisch angelegter intensiver Dialog zwischen Soloinstrument und Orchester. Peter Tschaikowskys sechste Sinfonie lässt schon durch ihren Beinamen "Pathétique" auf besonders tiefe Leidenschaft schließen.
Schon 1890 hatte Peter Tschaikowsky sich vorgenommen, eine "randiose" Sinfonie zu schreiben, die den Abschluss seines ganzen Schaffens bilden sollte. Dass es wirklich so kommen sollte, hat er sicherlich nicht geahnt. Er ließ sich noch drei Jahre Zeit, bis er sich ernsthaft an die Arbeit machte. Wenige Tage nach der Petersburger Uraufführung, die er noch selbst dirigiert hatte, starb er. "Ich halte sie für das beste, namentlich aber für das aufrichtigste aller meiner Werke. Ich liebe sie, wie ich keine andere meiner musikalischen Schöpfungen je geliebt habe", sagte Tschaikowsky über seine 6. Sinfonie. Als das Werk in einem Gedächtniskonzert erklang, war das Publikum begeistert, ganz im Gegensatz zur eher verhaltenen Reaktion bei der ersten Aufführung. Nikolai Rimskij-Kosakow vermutete, dass man jetzt unter dem Eindruck des plötzlichen Todes und der kursierenden Gerüchte über die Todesursache das Stück mit anderen Ohren hörte. Der Titel "Pathétique", den Tschaikowskys Bruder Modest angeregt hatte, sollte in Zukunft noch dazu beitragen, die Empfänglichkeit der Zuhörer für diese tieftragische Musik zu steigern. Sie jedoch als das Vermächtnis des Komponisten zu betrachten, gibt es keinen eindeutigen Hinweis.

Viele Werke sind im Gewandhaus zu Leipzig aus der Taufe gehoben worden, dass es nicht verwundert, wenn mit dem Violinkonzert von Brahms auch in diesem Programm eines dabei ist. "Ich wollte Dich natürlich bitten zu korrigieren, meinte, Du solltest nach keiner Seite eine Entschuldigung haben – weder Respekt vor der zu guten Musik, noch die Ausrede, die Partitur lohne der Mühe nicht. Nun bin ich zufrieden, wenn Du ein Wort sagst und vielleicht einige hineinschreibst: schwer, unbequem, unmöglich." Mit diesen Worten sandte Johannes Brahms die Solostimme seines Violinkonzerts an den berühmten Geiger Joseph Jochim, der sich schon seit langem ein Konzert von ihm wünschte. Inwieweit Brahms dann die Vorschläge seines Freundes berücksichtigt hat, ist nicht mehr nachvollziehbar. In der Kritik nach der Uraufführung am Neujahrstag 1879 war zu lesen, der Solopart sei "technisch so schwierig und heikelig geartet, dass selbst Joachim, der gestählte und kampfgewohnte Ringer, seiner nur mit ersichtlicher Anstrengung Herr wurde. Gleichwohl wurde er, ebenso wie der Komponist, der auch in höchster Person als Dirigent fungierte, vom Gewandhauspublikum durch reichen Beifall und einhellige Hervorrufe ausgezeichnet".


Neues Gewandhaus Leipzig
Aufzeichnung vom 17.11.2006

Johannes Brahms
Konzert für Violine und Orchester D-Ddur op. 77

Peter Tschaikowski
Sinfonie Nr. 6 h-Moll op. 74 ("Pathétique")


Sarah Chang, Violine
Gewandhausorchester Leipzig
Leitung: Kurt Masur

nach Konzertende ca. 21:40 Uhr Nachrichten