Zerstörung und Auferstehung eines Films
Lola Randl wollte einen Film drehen, doch dann starb, mitten in den Dreharbeiten, die Hauptdarstellerin. Randl entschied sich, weiter zu machen. Heute sagt sie: "Das musste so sein."
Susanne Burg: Am Donnerstag läuft der Film "Die Erfindung der Liebe" in den Kinos an. Lola Randl ist die Regisseurin, und die begrüße ich jetzt hier im Studio. Hallo!
Lola Randl: Hallo!
Burg: Ich würde gern beim Knackpunkt des Films anfangen, nämlich dem, was den ursprünglichen Film mal völlig umgekrempelt hat. Ein sehr reales Ereignis, das ins Drehbuch mitten rein geknallt ist oder vielmehr auch in den Dreh. Der tragische Tod von Maria Kwiatkowsky. Sie haben nach dem Tod erst mal ein Jahr Pause gemacht. Wie haben Sie sich dann der jetzigen Form des Films angenähert, also beschlossen, auch den Tod zu thematisieren und aufzunehmen, einzubinden.
Randl: Ich glaube, das war so Monate, nachdem es passiert war. Also ich brauchte erst mal überhaupt eine Zeit, um überlegen zu können, wie es jetzt weitergehen soll. Dann war es nach ihrer Beerdigung, und die war schon irgendwie erstaunlich spät. Und ich sah dann das Material, was wir hatten, und das konnte keinen Film ergeben, und da wurde mir aber immer klarer, dass ich den Film fertig machen muss und auch mit ihr drinnen. Aber dazu konnte jetzt das, was ich hatte, nicht reichen. Also fing ich an, so zu überlegen, wie jetzt ein neuer Film mit dem alten Material ausschauen kann, und so nahmen dann die Gedanken ihren Lauf, und dann brauchte das natürlich noch weitere Monate, bis ich das Buch so umgeschrieben hatte.
Burg: Als Sie dann einmal sich drauf eingelassen haben, welche neuen Chancen sahen Sie dann plötzlich auch durch das Umschreiben des Drehbuchs?
Randl: Das ist ja, dass man doch als Autor relativ begrenzt ist, merkt man dann. Weil man – durch diese Zerstörungen muss man überhaupt Wege finden, auf die man niemals gekommen wäre. Das sind Wege, die man – ja, natürlich sind das auch Chancen, und dann erschrickt man natürlich. Aber weil man auf einmal dann die Chance zu etwas hat und es ja dann auch interessant und gut findet und gleichzeitig ist es dann immer wieder dieser Tod, der diesen Film zerstört hat auch, und – ja, das sind verschiedenste Gefühle, die da ...
Burg: Genau. Zu den Chancen kommen wir vielleicht noch mal. Erst mal noch mal zu den Herausforderungen. Wenn man jetzt eine Schauspielerin ersetzen muss, ist quasi nicht möglich, wird auch im Film thematisiert, und gerade erst recht nicht so eine Naturgewalt wie Maria Kwiatkowsky, die mit solcher Präsenz spielt, mit solcher Wucht. Sie haben sie schließlich trotzdem ersetzt, und zwar Marie Rosa Tietjen. Die wiederum ähnelt Maria Kwiatkowsky schon vom Aussehen her überhaupt nicht, auch von ihrer Art her eigentlich gar nicht. War das für Sie die Art, mit dem Ersatz umzugehen, indem Sie ganz bewusst einen Kontrapunkt gesetzt haben?
Randl: Ja. Das musste so sein. Es war irgendwie – erst hat man wirklich überlegt, wie soll man überhaupt, also wer soll die Rolle jetzt weiterspielen? Es war ja dann auch nicht mehr die Rolle, sondern es war dann schnell die Rolle derjenigen, die sie ersetzen soll. Und im Film gibt es ja dieses Filmteam, und die drehen ja sofort weiter. Ein Autor kommt und muss irgendwie da umschreiben, und die Praktikantin springt ein. Erst versuchen sie, sie digital noch zu ersetzen, und es ist ein totales Chaos, und deswegen war es immer die Rolle derjenigen, die die versucht zu ersetzen und die natürlich überhaupt nicht passt und die das auch nicht kann. Also war das eine andere Rolle. Und das hat mir überhaupt geholfen, damit umzugehen, weil ich hätte jetzt gar nicht sie ersetzen wollen oder können.
Burg: Das Interessante beim Gucken fand ich ja, also durch den ganzen Film zieht sich ja diese Reflexion darüber, wie man nun den Film umschreibt und damit umgeht, dass die Protagonistin tot ist. Man wird als Zuschauer zum einen immer wieder in diese fiktive Handlung, in diese Dreiecksbeziehung hineingezogen, aber dann auch gleichzeitig durch die Reflexion immer wieder rausgeschubst. Also das heißt: Sie zerstören im Grunde eine Erzählung und bauen sie dann auch wieder zusammen. Was interessiert Sie an diesem Prozess?
Randl: Ja, den fand ich tatsächlich so ganz interessant. Da bin ich auch erst drauf gekommen, weil: Das finde ich auch wirklich toll am Film, dass der einen so reinziehen kann und dass der einen dann aber auch so 'rausstoßen kann. Und am Anfang ist man ja wirklich 'rausgestoßen, und der Film war ja auch zerstört, und ich wollte dann aber auch, dass er zerstört ist. Also ich war gar nicht so, dass ich mir dachte: 'Oh, wie können wir das jetzt wieder retten, durch was? Sollen wir vielleicht alles nur von hinten, oder sollen wir so drehen, dass man ihn noch zusammenbasteln kann.' Sondern ich wollte wirklich, dass er jetzt auch so zerstört ist wie er war, und ich wollte, dass er sich dann wieder so auferstehen kann, so selber als Film. So. Das meine ich.
Burg: Man folgt dieser Liebesgeschichte, also der Kernpunkt, da geht es ja eigentlich darum, dass ein Pärchen eine ältere Frau enterben, beerben wollen, also sich da in die Familie einschleichen, und dann geht irgendwie alles durcheinander. Und diese Geschichte, die taucht ja auch immer wieder auf im Film. Ich hab mich gefragt, wie bei allem Zerstören Sie es trotzdem geschafft haben, dass man dieser Geschichte komplett verfallen ist.
Randl: Ja. Also in diesen Szenen, da fährt aber der Film auch alles so auf, was so Film so auffahren kann. Also der Film ist ja nicht besonders zurückhaltend, wenn es dann so um Musik – das ist ja so, als würde man sich gar nicht so trauen, das ist wie in so Filmen, wie man sie in den 30ern – oder ich weiß nicht, wenn dann so Liebeserklärungen kommen, die würde man sich so gar nicht mehr trauen, weil man die immer so brechen wollte oder müsste. Und da der Film aber sowieso seinen Bruch ja immer früher oder später dann gleich schon bereithält, wagt er natürlich manchmal so fiktionale Momente, so dreiste, ungefilterte, fiktionale Momente.
Pathos - Wann darf man das, wann passt es?
Burg: Das fand ich auch, ist mir auch aufgefallen. Dann auch noch durch die Musik. Ich hab so an Liebesfilme aus den 50er-, 60er-Jahren gedacht, und der Film spielt so ein bisschen mit Pathos, und ich hab mich gefragt, ob Sie auch eine gewisse Begeisterung haben für so den klassischen Liebesfilm.
Randl: Ja. Also auf jeden Fall für dieses Pathos. Ich weiß jetzt nicht, ob ich eine Begeisterung für das Pathos hätte, wenn es den Bruch gar nicht gäbe. Aber wenn man weiß, dass sowieso der Bruch kommt, dann hat man auch schon 'mal große Lust natürlich, dieses Pathos auszuleben.
Burg: Die Erfindung der Liebe, so hat Lola Randl ihren Spielfilm genannt, der am Donnerstag ins Kino kommt. Bei aller Überdrehtheit dieser Figuren, was man ja jetzt vielleicht jetzt erahnen kann, die es gibt, haben diese Figuren, finde ich, auch wirklich was Existenzialistisches. Also ich habe immer das Gefühl gehabt, die sind auf der Suche nach Wahrheit, nach echten Gefühlen. Wie hängen für Sie diese Überhöhung und diese Suche nach Wahrhaftigkeit zusammen?
Randl: Sie sind auf jeden Fall alle aufgeschmissen. Das würde ich schon mal sagen. Und sie suchen aber alle nach Wahrhaftigkeit. Und es ist eigentlich wirklich die Frage, ob ich vielleicht mich einfach zu diesem Komplettpathos 'mal durchringen könnte. Oder warum die Figuren immer so – jetzt, wie soll man sie nennen? – die sind ja nicht gebrochen, aber die sind so komische Gestalten. Ich finde dann halt immer nur noch den Ausweg in der Komik. Also vielleicht wünsche ich mir da schon das Pathos so ein bisschen, aber ich könnte es auch gar nicht so – ich könnte mich zum reinen Pathos, das würde ich mich gar nicht trauen. Aber ob es überhaupt eine Frage des Trauens ist, das 'mal so hinzulegen, 'mal so ein richtig pathetisches Ding hinzulegen, da bräuchte ich noch. Jetzt sind sie immer sozusagen dann wieder lächerlich alle gleichzeitig. Irgendwie wollen Sie das Pathos und dann sind sie aber wieder einfach so lächerlich. Und so halte ich es momentan halt nur aus, meine Suche, aber ob die nach dem Pathos ist, das muss man mal sehen.
Burg: Es ist jetzt schwierig zu verallgemeinern, aber ich denke natürlich, frage mich, ob das nicht auch wirklich was Deutsches ist, dass deutsche Filmemacher so eine Schwierigkeit haben mit Pathos.
Randl: Ja, ja. Das liegt natürlich auch an ihrer ganzen Geschichte. Also so diese Filme, ich weiß es allerdings, das kann man jetzt nicht verwenden, weil ich noch nicht mal mehr den Namen weiß von dem, der da eine Zeit lang verboten war, Veit – Veit Harlan, genau. Ja, ja. Da habe ich mir noch einen Film angeschaut auch, als ich "Die Erfindung der Liebe" gemacht habe, der auch irrsinnig pathetisch und wild war, wo so Leute auf so einem Pferd geritten sind, der mich auch tatsächlich inspiriert hat für Teile, also von dem fiktionalen Teil. Mich würde schon interessieren manchmal, wie der ursprüngliche Film ausgesehen hätte. Da hätte ich bestimmt auch einen Bruch gebraucht, um das zu ertragen. Weil da habe ich ja ganz schön wild noch so den Fuß auf dem Gas sozusagen, dem pathetischen, gehabt und dachte mir jetzt auch einfach knallhart, jetzt mal durch. Aber dann gab es ja sowieso sozusagen einen Unfall, und der hat sich überschlagen, der Film, und ich kann mir gar nicht vorstellen, dass – er hätte bestimmt nicht so ausgesehen wie jetzt alle fiktionalen Teile aneinander.
Kurze Filme werden immer noch gebraucht
Burg: Also das heißt aber, es gibt schon so eine kleine Sehnsucht nach Pathos.
Randl: Ja, ja, die gibt es ja anscheinend. Aber dann will ich auch immer so denjenigen sehen, der – dann will ich noch so die Peinlichkeit davon, will ich eigentlich auch sehen. Weil Pathos alleine wäre ja auch nicht komisch. Aber ich kann auf jeden Fall die Suche nach dem Pathos schon verstehen. Und so 'was kommt halt dann dabei heraus.
Burg: Sie haben viele Kurzfilme gemacht, die bekanntesten sind wohl die über die "Leiden des Herrn Karpf", bei dem es um Alltagsprobleme des neurotischen Herrn Karpf geht. In den letzten Jahren haben Sie dann drei Langfilme gemacht. Nun zeigen Sie im Mai bei den Kurzfilmtagen in Oberhausen wieder einen Kurzfilm, "Landschwärmer". Was reizt Sie an dieser Form des Kurzfilmes, dass Sie immer wieder dahin zurückkehren, obwohl es ja nach wie vor wirklich eine Herausforderung ist, kürzere Formen zum Beispiel im Kino zu zeigen.
Randl: Ja, aber man weiß ja auch gar nicht mehr, wie es mit dem Kino so weitergeht. Ich hab zwar jetzt schon drei Kinofilme gemacht, aber ich hatte bis jetzt noch nicht so das Gefühl, dass Menschen in die Kinos geströmt oder jetzt auch nur mehrfach gegangen wären, um Kino. Und ich geh selber, jetzt wohne ich auf dem Land, kann ich noch weniger ins Kino gehen. Man guckt ja auch gerne an anderen Plätzen als im Kino. Also im Internet und sonstwo. Und diese kürzeren Formate – ich wüsste gar nicht, warum nicht denen auch nicht mehr die Zukunft gehören sollte, weil es einfach so – man hat doch viel besser 'mal 20 Minuten Zeit als so eineinhalb Stunden, und, ja gut, diese "Landschwärmer"-Serie, die ich jetzt da gerade da draußen entwickle, die ist einfach mit 25 Minuten ganz gut ausgefüllt, und ich glaube auch, dass man kurze Filme immer mehr und immer noch brauchen wird.
Burg: Sagt Lola Randl. Jetzt ist erst mal Ihr Spielfilm im Kino zu sehen, die Erfindung der Liebe. Er läuft am Donnerstag an. Vielen Dank, Lola Randl!
Randl: Danke!
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