Pathosfreudiger Fußgänger

02.05.2011
Von North Dakota nach Texas in drei Monaten, 3500 Kilometer - überwiegend zu Fuß: Der Journalist Wolfgang Büscher hat die Vereinigten Staaten durchwandert. Und darüber ein Buch mit sehr vielen Metaphern geschrieben.
"Im Jahr, als der Winter nicht enden wollte, ging ich nach Amerika hinunter, ein dunkler Punkt in der weißen Unendlichkeit der nördlichen Great Plains, eine Ameise im Schnee." Gleich der erste Satz von "Hartland" verdeutlicht, warum Wolfgang Büscher mit dem Tucholsky-Preis für "literarische Publizistik" ausgezeichnet wurde: Er setzt auf seine sprachliche Finesse noch mehr als etwa auf die soziologische Schärfe seiner Beobachtungen oder die politische Relevanz des Amerika-Porträts, das er Schritt um Schritt zeichnet.

Büscher hat von North Dakota bis nach Texas in drei Monaten 3500 Kilometer absolviert, überwiegend zu Fuß, manchmal in Autos, deren Fahrer ihn vom Straßenrand aufgabelten, selten im Bus. Er hat dem Zufall Spielraum gegeben. In der "Wagon Wheel Bar" in den Badlands trifft er Mitch – der Kleidung nach Cowboy, tatsächlich Sioux-Indianer – und lässt sich in die berüchtigten Trailer homes mitnehmen. In Freemont, Nebraska, verschlägt es Büscher ins Nachtasyl. Fast überall begegnet der Reisende hilfsbereiten Menschen, die trotz ihres oft harten Schicksals in den Trümmern des amerikanischen Traums (der auch Büscher als Hintergrundmetapher dient) verkünden: "Capitalism is good." Die Obama-Skepsis der Provinz, die Irritation angesichts von "Sozialprogrammen" wird überdeutlich.

Historische Zeugen kommen zu Wort. Die Berichte des Prinzen zu Wied, der 1833 den Missouri hinauffuhr, um das "innere Nordamerikas" zu erforschen, führt Büscher im Rucksack mit sich. Seinen Vor-Gänger Knut Hamsum, den späteren Literaturnobelpreis aus Norwegen, lässt er von den Erntehelfern des 19. Jahrhunderts berichten. Büscher besucht das Haus von John G. Neihardt, dem der Medizinmann Black Elk einst sein Leben erzählt hatte, samt den Geschichten vom Wounded Knee-Massaker und dem Beginn der Indianer-Shows unter Buffalo Bill Cody. Als Büscher ein Drittel des Weges hinter sich hat, sind zwei Drittel Buch um. Im Vergleich zum grundehrlich anmutenden Norden scheint der Süden zwielichtig, heikel, auch irre. "Ich hatte Amerika gesehen, das Reich dieser Zeit", resümiert der pathosfreudige Fußgänger zufrieden, als er für 65 Cent durchs Drehkreuz nach Mexiko abgeht.

"Hartland" – benannt nach einem Ort in North Dakota, dem früheren Heartland – ist mit allen Vor- und Nachteilen ein formulierungssüchtiger Reisebericht. Riskant, aber hübsch der Einfall, den Kilometer als "ein leichtes Trekkingjäckchen" zu charakterisieren – im Unterschied zur Meile, die "wie ein alter Militärmantel schwer ist und steif". Dass ein Tag nicht heiß ist, sondern "in Hitze getaucht", gehört zu den Konventionen des gehobenen Stils. Doch dann dieser Wetterbericht: "Hier sprang jetzt der Sommer vom dampfenden Pferd und riss die Herrschaft an sich mit seinem wüsten Gefolge, einer Bande von Tornados." So schießt man sich mit der Metaphernknarre ins eigene Knie.

Büscher bietet mehr als Zeitgeistpilger wie Hape Kerkeling ("Ich bin dann mal weg"); das magische Vermögen eines Fußgängers vom Schlage W. G. Sebald hat er nicht. Dennoch begleitet man ihn gern, während der Wind geht, die Sonne sengt und die Ebenen kein Ende haben. Büscher suggeriert dem Leser, dass Wandern die natürliche Fortbewegungsart der Sehnsucht ist. Den Amis in den fetten Pick-Ups konnte er das schwerlich vermitteln.

Besprochen von Arno Orzessek

Wolfgang Büscher: Hartland. Zu Fuß durch Amerika
Rowohlt Berlin, Hamburg 2011
304 Seiten, 19,95 Euro