Das eigene Lebensende regeln
Möchte ich künstliche Ernährung? Ertrage ich unerträgliche Schmerzen? Oder lebe ich noch gern mit Demenz? Immer mehr Menschen verfassen eine Patientenverfügung. Wie aber macht man das? Was muss da drin stehen und was nicht?
Im Internet gibt's ganz viele Arten und Anbieter von Patientenverfügungen. Die Landesärztekammern, die Caritas, die AOK und das Bundesjustizministerium. Sogar Nina Hagen wirbt in einem Video für eine Patientenverfügung, die besonders gegen Zwangspsychiatrie schützt.
Nina Hagen: "Ich informiere mich unter www.patverfü.de."
Ich entscheide mich aber für die Bundeszentralstelle Patientenverfügung des humanistischen Verbandes und drucke deren Fragebogen aus.
Insgesamt acht Seiten. Seite 1 – anregende Fragen:
Fließen persönliche Erfahrungen, zum Beispiel das Sterben anderer ein? Hänge ich sehr am Leben oder ist es mir zunehmend zur Last geworden? Habe ich vor etwas besonders Angst? Möchte ich meine Angehörigen entlasten?
Lauter Fragen, über die ich so bisher noch gar nicht so nachgedacht habe.
Liegt daran, dass ich ziemlich gesund bin und mein Ende noch fern. Aber ich könnte mit dem Motorrad stürzen, oder einen Schlaganfall bekommen - ein kurzer Test im Internet bescheinigt mir sogar ein leicht erhöhtes Schlaganfallrisiko. Und was ist mit Demenz und Alzheimer? Mit 90 bin ich mit einem Drittel Wahrscheinlichkeit dement, und weiß vielleicht gar nicht mehr, was mir wichtig ist. Je mehr ich mich damit beschäftige, desto düsterer wird die Zukunft.
Der Fragebogen verschlimmert alles noch. Möchte ich, dass nach einem Unfall alles was an Reanimation und Rehabilitation möglich ist ausgeschöpft wird? Ja unbedingt. Ein Dasein auf vielleicht unbekannter Ebene? Aha, damit meint man das Wachkoma - bleibt für mich lebenswert. Kreuzchen. Aber nach einem Jahr Wachkoma, ohne Hoffnung auf Besserung, soll man mich sterben lassen, eine Lungenentzündung wäre als Erlösung willkommen, künstliche Ernährung dann bitte einstellen, ein paar Freunde sollen kommen, Mantren singen und los geht die Reise ins Jenseits. So stell ich mir das jedenfalls vor.
Der Tod, schreibe ich ganz optimistisch in den Fragebogen, ist für mich ein zum Leben gehörendes natürliches Ende und ein Übergang in eine jenseitige Welt.
Die Bundeszentralstelle Patientenverfügung hat schon bei über 20.000 Patientenverfügungen mitgeholfen. Da will ich mich nun auch beraten lassen. Das Büro ist in Berlins Mitte. Straßencafés unter Platanen, hier plätschert das Leben gemächlich dahin, und hier treffe ich gleich Herrn Spade, um mich über mein Sterben zu unterhalten.
"Guten Tag, ich hol nur den Kaffee, wenn Sie hier in den Glaskasten reingehen würden."
Der Glaskasten ist ein früherer Hauseingang, gemütlich gemacht mit Zimmerpalmen, Flokati-Teppich und Tischdecke mit Seidenmalerei. Ein Ort zwischen drinnen und draußen, ideal um mir bei einer Tasse Kaffee erklären zu lassen, was so zwischen Leben und Tod alles passieren kann.
"Unsere Medizin hat sehr gute Mittel entwickelt, um Menschen am Leben zu erhalten. Teilweise werden aber Menschen am Leben erhalten, wo man sich fragen kann, ist das noch ein Leben?"
Deshalb die Patientenverfügung. Das lege ich fest, was für mich noch ein würdiges Leben ist. Also gehen wir Punkt für Punkt durch. Ziemlich komplexe Entscheidungen, die ich jetzt schon treffen muss. Was ist bei dauernder Bettlägerigkeit? Möchte ich künstliche Ernährung? Ertrage ich unerträgliche Schmerzen? Oder lebe ich noch gern mit Demenz?
Demenz muss ja nicht schlimm sein, wenn ich für mich das akzeptieren kann, dass ich bestimmte Dinge nicht mehr weiß, das Essen noch schmeckt, die Leute nett zu mir sind, vielleicht die Sonne auch noch scheint. Warum soll ich dann nicht leben?
Das leuchtet mir ein. Aber kann ich auch sagen, wenn´s ganz schlimm wird, dann bringt mich lieber um?
"Umgebracht wird hier sowieso keiner. Die Patientenverfügung sorgt nicht dafür, dass hier ein Leben beendet wird, sondern die Patientenverfügung sagt: Wenn ich dann eine lebensbedrohliche Krankheit habe, möchte ich daran lieber sterben, als dass ich gerettet werde."
Ich will zum Beispiel nicht länger als ein Jahr im Wachkoma liegen. Dann soll auf lebenserhaltende Maßnahmen verzichtet werden. Und weil ich das ja nicht mehr artikulieren kann, müsste ein Bevollmächtigter meinen Willen vertreten, erklärt Frank Spade.
"Und ich muss mich an ihrem Willen orientieren. Also es geht nicht, dass ich dem Arzt sage: Ich will das nicht, sondern ich muss immer sagen, ich glaube nicht, dass sie das gewollt hätten. Und das lese ich aus dieser Patientenverfügung."
Nach zwei Stunden Beratung weiß ich, was ich will und was nicht. Mit meinen Antworten auf dem Fragebogen wird Frank Spade eine Patientenverfügung erstellen und mir zuschicken. Jetzt muss ich aber noch einen Bevollmächtigten finden, der mich vertritt, wenn ich das selber nicht mehr kann. Ich frage meinen Freund Michael Schädel.
"Natürlich, wenn das dein Wunsch ist, dass dich jemand bei deinem Tod unterstützt. Das ist die Aufgabe eines Freundes."
Drei Wochen später liegt ein großer Umschlag im Briefkasten. Meine Patientenverfügung, bezeugt und beglaubigt vom Humanistischen Verband. Die optimale Version kostet 120 Euro, gibt's aber auch günstiger oder umsonst. Was jetzt noch wichtig ist: Auf der Rückseite bevollmächtige ich meinen Freund, Ärzten oder Gerichten gegenüber meinen Willen zu vertreten. Das hefte ich in einen frisch angelegten Ordner. Michas Kontaktdaten schreibe ich auch noch auf eine kleine Hinweiskarte, und die lege ich neben den Ausweis in meine Brieftasche. Im Notfall kann man ihn erreichen, und so finde ich mein Ende, wie ich es will.