Patientenwille in Zeiten von Corona: Was ist zu beachten?
Darüber diskutiert Katrin Heise heute von 9 Uhr 05 bis 11 Uhr mit Christiane Hartog und Alfred Simon. Hörerinnen und Hörer können sich beteiligen unter der Telefonnummer 0800 2254 2254 sowie per E-Mail unter gespraech@deutschlandfunkkultur.de" target="_blank" href="https://www.deutschlandfunkkultur.de/im-gespraech.969.de.html">gespraech@deutschlandfunkkultur.de.
Was ist zu beachten?
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Was soll im Notfall intensivmedizinisch mit mir passieren – und was nicht? Wie kann ich meinen Patientenwillen so verfassen, dass er für die Ärzte bindend ist? Diese Fragen sind nicht nur in Zeiten von Covid-19 von Bedeutung. Diskutieren Sie mit!
"Bei einer schwerwiegend verlaufenden Covid-19-Erkrankung geht es konkret um die Frage, ob man diese mit einer intensivmedizinischen Behandlung überleben kann", sagt Prof. Dr. Alfred Simon, Geschäftsführer der Akademie für Ethik in der Medizin an der Georg-August-Universität Göttingen. Er beschäftigt sich seit langem mit der Selbstbestimmung am Lebensende.
Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht
Dazu gehört unter anderem die Patientenverfügung, in der festgehalten werden kann, welche lebenserhaltenden Therapien erfolgen sollen und welche nicht. "Ich könnte festlegen, dass die intensivmedizinische Behandlung unterbleiben soll, wenn die Überlebenschance von den Ärzten als sehr gering eingeschätzt wird. Dies gilt sowohl im Falle von Covid-19 als auch bei einer anderen Erkrankung", erklärt Alfred Simon. Auch ein Herzinfarkt, ein Schlaganfall oder ein Unfall könne das Leben in Minuten dramatisch verändern.
Der Medizinethiker rät, zusätzlich zur Patientenverfügung eine Vorsorgevollmacht aufzusetzen: "In der Vorsorgevollmacht legt man fest, wer den eigenen Willen gegenüber den Ärzten vertreten und stellvertretend in medizinische Maßnahmen einwilligen oder diese ablehnen darf." Bei beiden komme es unbedingt auf die richtige Formulierung an, damit sie auch bindend für die Ärzte sind.
Patientenverfügungen im Notfall oft unwirksam
"Wir brauchen einen Paradigmenwechsel in der Frage, was wir von einer Patientenverfügung halten. Es wird versucht, damit alles zu regeln, aber sie ist nicht in der Lage, alles abzudecken", sagt Dr. Christiane Hartog, Versorgungsforscherin an der Charité.
In ihren Studien konnte die Medizinerin nachweisen, dass Patientenverfügungen im Notfall meist unwirksam sind: Sie seien oft zu lang, träfen nicht auf die konkrete Situation zu. Letztlich müssten die Angehörigen entscheiden – und seien damit überfordert.
Neues Konzept: "Advance Care Planning"
Die Medizinerin setzt auf das Konzept des "Advance Care Planning" – auf Deutsch "Behandlung im Voraus planen": "Es ist ein ausgefeilter Gesprächsprozess, wo man durch ausgebildete Berater unterstützt wird. Dabei geht es um Fragen wie: Wie stehe ich zu Tod und Sterben? Wo sind meine roten Linien? Was ist für mich schlimmer als der Tod? Ich fände es sinnvoller, wenn Patienten festlegen oder einen Hinweis geben, welchen Preis sie bereit sind zu bezahlen mit einer lebensverlängernden Therapie. Wie viel Folgeschäden würden sie akzeptieren? Wie groß darf das Risiko sein für schwerste Pflegebedürftigkeit? Das ist ein Entwicklungsprozess – und daraus kann man eine Verfügung entwickeln."
Geld für narrative Medizin bereitstellen
"Das ist narrative Medizin – und die braucht Zeit, Ressourcen, Menschen, die das machen. Und es muss dafür auch Geld im System bereitgestellt werden", sagt Christiane Hartog. Die Coronapandemie zeige, dass das Geld da ist. "Wir brauchen hier genauso eine Debatte wie für die Intensivmedizin."
(sus)
Informationen zur Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht finden Sie hier