Patricia Highsmith: "Ladies"

Grandiose Möglichkeiten der Manipulation

06:17 Minuten
Buchcover zu "Ladies".
Es ist meisterhaft, wie Patricia Highsmith in "Ladies" mit perspektivischen Verschiebungen und Projektionen arbeitet, findet unsere Kritikerin. © Diogenes Verlag Deutschlandradio
Von Maike Albath |
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Patricia Highsmith versteht sich auf niedere Instinkte. In ihren frühen Storys "Ladies" erzählt sie so ansteckend von Neid, Bosheit, und Hass, dass man der 1995 verstorbenen Schriftstellerin wie im Fieber hinterher taumelt.
Mrs. Robertson ist zweifellos eine Lady, die weiß, was sich gehört. Tadellos gekleidet, beste Manieren, immer mit einem Buch und Strickzeug ausgestattet, wenn sie mit ihrem ordentlich gekämmten Sohn in den Park geht. Nur der andere Junge, mit dem sich Philip voller Begeisterung angefreundet hat, macht ihr Sorgen. Ob er sich wohl richtig gewaschen hat?
Vor allem seine hübsche blonde Mutter zieht Mrs. Robertsons Verdacht auf sich. Viel zu verträumt und glücklich scheint sie auf der Parkbank zu sitzen und als dann am nächsten Tag noch ein junger Mann auftaucht, mit dem sie offenkundig eine Liaison hat, steht Mrs. Robertsons Urteil fest: Dies ist kein Umgang für sie. Dennoch kann sie nicht anders, als die fremde Frau voller Faszination zu beobachten.
Es ist meisterhaft, wie Patricia Highsmith in ihren frühen Kurzgeschichten in dem Band "Ladies" mit perspektivischen Verschiebungen, Innenschau und Projektionen arbeitet.

Eine sauertöpfische Hausfrau

In der Erzählung "Die stille Mitte der Welt" wechseln beständig die Blickwinkel: Auf die spießige Mrs. Robertson folgt die in Gedanken versunkene junge Blonde, die unter ihrer Ehe mit einem Trinker leidet und in dem Buchhändler Lance das Versprechen eines neuen Lebens erkennt. Dann ist wieder Mrs. Robertson an der Reihe, die zuerst gerührt ist von dem Glück des heimlichen Paares, doch nach einer Weile von Missgunst gepackt wird. Irgendwie scheint es sich nicht zu gehören. Dass die beiden sich immer nur auf der Parkbank sehen und lediglich Pläne schmieden, weiß sie nicht. Unwillkürlich spürt die sauertöpfische Hausfrau, dass das Paar in der "stillen Mitte der Welt" verankert ist.
Patricia Highsmith, 1921 in Texas geboren, Verfasserin abgründiger Kriminalromane, von Hitchcock, Chabrol, Wenders, Minghella und vielen anderen verfilmt, versteht sich glänzend auf niedere Instinkte und sie erzählt so ansteckend von Neid, Bosheit, Wut und Hass, dass man ihr wie im Fieber hinterher taumelt. In ihrer knappen, trockenen Sprache erzählt sie von Verdachtsmomenten, die eine untergründige Zwangsläufigkeit entfalten und immer realer werden.

Verpflanzt und gedemütigt

In "Ladies" sind fünf Prosaarbeiten enthalten, die zum ersten Mal auf Deutsch erscheinen: Von der Anfang Zwanzigjährigen während ihrer Zeit als New Yorker Comictexterin verstreut in amerikanischen Zeitschriften veröffentlicht, hatte sie sich als arrivierte Autorin nie die Mühe gemacht, ihr Frühwerk systematisch zu sichten.
Im Zusammenspiel sind aber auch diese Geschichten äußerst interessant. In einer geht es um eine sadistische Turnlehrerin, in einer anderen wird ein Mädchen von ihren Eltern nach New York verpflanzt und gedemütigt, in einer dritten vermiest eine Ehefrau ihrem Mann den Kauf eines Gemäldes, weil sie die Farbe der Primeln für falsch erachtet.
Welche grandiosen Möglichkeiten Verstellung und Manipulation bieten, treibt Highsmith, ohne Scotch zu nichts zu gebrauchen, in Hassliebe an ihre Mutter gebunden, bis zu ihrem Tod in Locarno 1995 um. Bei gewissen Ladies ist Misstrauen angezeigt.

Patricia Highsmith: Ladies. Frühe Stories
Aus dem Amerikanischen von Melanie Walz, Dirk van Gunsteren und pociao
Diogenes Verlag, Zürich 2020
310 Seiten, 22 Euro

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