Patricia Highsmith: "Tage- und Notizbücher"
Hrsg. von Anna von Planta
Aus dem Amerikanischen von Melanie Walz, pociao, Anna-Nina Kroll, Marion Hertle und Peter Torberg
Diogenes Verlag, Zürich 2021
1370 Seiten, 27,99 Euro
Die abgründigen Gedanken einer Krimikönigin
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Mit ihren psychologischen Kriminalromanen wurde sie berühmt und haderte doch Zeit ihres Lebens mit sich selbst. Tagebücher und Aufzeichnungen von Patricia Highsmith zeigen die Autorin ungeschönt in all ihrem Ehrgeiz und beißendem Spott.
Patricia Highsmith stand unter einem bemerkenswerten Schreibzwang. Nichts war ihr wichtiger als ihre Arbeit, eifersüchtig hütete sie ihre Freiräume und bemühte sich, ihr tägliches Pensum von rund sieben Manuskriptseiten einzuhalten.
Aber gleichzeitig stürzte sich die Zwanzigjährige voller Lebensgier auf alles, was die New Yorker Bohème ab 1941 ausmachte, ließ keine Ausstellung, keinen Cocktail, keine Affäre und kein Konzert aus – und hielt sämtliche Ereignisse in ihren Tagebüchern fest.
Schreibideen, Streit und Sex
Die unersättliche Partylöwin – mit ihrem beißenden Spott, dem dunklen Haarschopf und der schmalen Gestalt von Frauen und Männern begehrt – bilanzierte nicht nur Lektüren, Collegenoten – sie war äußerst ehrgeizig – und Stimmungen, sondern skizzierte in speziellen Cahiers auch Ideen für Kurzgeschichten und Romane.
Dabei ging sie erstaunlich explizit zu Werk: Ob eigene Unzulänglichkeiten, Sex mit ihren Liebhaberinnen, niemals endende Streitereien mit ihrer Mutter oder Trinkgewohnheiten, Patricia Highsmith nahm bis zu ihrem Tod 1995 kein Blatt vor den Mund.
Kulturgeschichtliches Dokument
In einer vorzüglichen Edition liegt jetzt erstmals ein über 1.300-seitiger Auswahlband ihrer 18 Tagebücher und 38 Notizhefte vor. So sehr einen der schiere Umfang erschlägt: Es handelt sich um ein faszinierendes kulturgeschichtliches Dokument.
Das betrifft weniger die politisch-historischen Umbrüche, für die Highsmith kaum Interesse aufbrachte, als vielmehr den Umgang mit Sexualität, Geschlechterrollen und ihrem schriftstellerischen Selbstverständnis.
Scharfe Urteile über andere
"Entweder komme ich groß raus - oder ich werde ein großer Reinfall. Nichts dazwischen", ließ sie 1943 verlauten und preschte mit enormer Energie voran. Unbeirrbar trug sie Hosen, was jungen Frauen damals durch Kleiderordnungen untersagt war.
Ihren Lebensunterhalt verdiente Highsmith nach dem College als Comictexterin. Gleichzeitig reichte sie oft erfolglos Geschichten bei Harper‘s Bazaar und anderswo ein, bis ihr 1950 mit dem Roman "Zwei Fremde im Zug" ein erster Coup gelang. Geld ist ein Dauerthema ihrer Einträge. Ihre Urteile über andere sind scharf. "Sie ist so bedauerlich feminin im Innern", ließ sie über die Fotografin Ruth Bernhard verlauten, und Peter Handke attestierte sie 1974 ein kraftloses "Mädchengesicht".
Ausgelebte und pathologisierte Homosexualität
Obwohl sie ihre Homosexualität genussvoll auslebte, pathologisierte sie ihre Neigungen mitunter und begann sogar eine Psychoanalyse mit dem Ziel, sich umzuorientieren. Aber sie brauchte verwickelte Dreiecksbeziehungen als Treibstoff für ihre Kreativität. Längere Bindungen empfand sie regelmäßig als Gefangenschaften, was im Falle ihrer Gefährtin Ellen Hill besonders quälende Züge annahm, ihr jedoch Material für zwei Romane lieferte.
Es gab Einschnitte wie den Selbstmord ihrer Ex-Freundin Allela oder den späten Wahnsinn ihrer Mutter. Ihre Aufzeichnungen sind nicht zuletzt ein akribischer Forschungsbericht in eigener Sache. Sie möge eigentlich niemanden, gab die passionierte Schneckenzüchterin 1967 zu. Wie Patricia Highsmith es mit sich selbst aushielt und zu welchen schöpferischen Höchstleistungen sie diese Gesellschaft antrieb, kann man jetzt erfahren.