Patricia Highsmith im Kino
Verzweiflung im Kino: Cate Blanchett in Todd Haynes' Film "Carol" von 2015. Das Melodram basiert zum Teil auf Patricia Highsmiths Autobiografie. © imago / Weinstein Company / Everett Collection / Wilson Webb
Meisterin der seelischen Abgründe
05:47 Minuten
Existenzielle Krisen, Mord und Totschlag: Für das abgründige Kino bilden die Romane von Patricia Highsmith bis heute einen reichen Fundus. Den Streaming-Start der Verfilmung "Deep Water" nimmt unser Kritiker zum Anlass für eine kleine Retrospektive.
Platz 5 - „Der Fremde im Zug“ von Alfred Hitchcock (1951)
Der Mordplan von Bruno, der Guy im Zug trifft, sieht so aus: „Zwei Männer treffen sich zufällig, so wie wir. Es bestehen keine Beziehungen zwischen ihnen. Sie haben sich nie gesehen. Jeder von ihnen hat nun jemanden, den er loswerden will. Also tauschen sie die Morde aus."
Bruno will seinen Vater loswerden, Guy, die Zufallsbekanntschaft im Zug, seine Frau. Aber Letzterer schreckt dann doch zurück. Aber er hat den teuflischen Deal abgeschlossen.
Natürlich – Highsmith und Hitchcock sind sich da einig – lauert das Böse als Dämon im ganz normalen Alltag, getrieben von Gier und Hass und Neid. Doch „Der Fremde im Zug“ bleibt spannendes moralisches Theater, denn im Gegensatz zu Bruno halten Guys Schuldgefühle und die Angst vor Strafe seine geheimen Mordgelüste im Zaum.
Moral bietet der Unmoral Paroli. Sie hilft auch, Frieden zu bewahren!
Platz 4 - „Nur die Sonne war Zeuge“ von René Clément (1960)
Die klassische Highsmith-Figur, bei Clément gespielt von Alain Delon: Tom Ripley. Er streift im Schlepptau des Millionärssohns durch Italien. Ripley, aus einfachsten Verhältnissen stammend, giert auf den sozialen Aufstieg, auch wenn er gegenüber Dickie den wohlfeilen Knecht spielt, Mädchen für alles, Diener, Koch, Buchhalter.
Doch dem reichen Schnösel wird das den Kopf kosten. Am Ende mordet Ripley sich inklusive Identitätstausch in das ersehnte luxuriöse Leben hinein.
Patricia Highsmith interessierte weniger die Aufklärung eines Mordes, sondern das Panoptikum der seelischen Abgründe ihrer Anti-Helden. Wie Hitchcock folgt auch René Clément den bösen Schattenspielen der Schriftstellerin.
Platz 3 - „Die zwei Gesichter des Januars“ von Hossein Amini (2014)
Rydal, US-Amerikaner, betrügerischer Fremdenführer in Griechenland: Sein ungeliebter Vater und seine tragische Jugendliebe geistern in ihm noch herum. Klar, dass es blutige Folgen haben wird, wenn Rydal auf Chester und dessen Frau Colette trifft. Alles hat ein helles und ein dunkles Gesicht. Auch die Ruinen, meint Chester, der seinerseits auf der Flucht ist: "Die alten Griechen waren Meister der Täuschung. Auch wenn das Fundament des Parthenon mit bloßen Augen gerade wirkt, ist es in Wahrheit schief."
Zwei Betrüger und eine schöne Frau – Trio infernal im mediterranen Licht, das die Zäsuren zwischen Licht und Schatten umso greller erscheinen lassen. Film Noir, in dem sich Viggo Mortensen und Oscar Isaac ein mörderisches Duell liefern, in dem es um die Frage geht: Wer hält es am längsten aus, nicht geliebt zu werden?
Aus solchem psycho-emotionalen Bodensatz erwächst bei Patricia Highsmiths Figuren gern das Böse, auch das Monströse.
Platz 2 - „Carol“ von Todd Haynes (2015)
Ein magischer Film über Blicke, nicht über Mord, nicht über Totschlag, sondern über die Liebe – teilweise basierend auf Patricia Highsmiths Autobiografie.
Die ältere verheiratete Mutter: Carol. Die junge Verkäuferin: Therese. 1952. Erste Begegnung war im Kaufhaus. Cate Blanchett und Rooney Mara. Liebe zwischen zwei Frauen. Sie zeigt sich über Blicke.
Todd Haynes weiß, wie er deren Energie einfangen kann.
Platz 1 - „A Kind of Murder“ von Andy Goddard (2016)
Walter, erfolgreicher Architekt, schreibt nachts im Keller Krimis. Ein schönes Bild für gehörige Abgründe. Walter fantasiert auf der Schreibmaschine, wie er Claire, seine Frau, umbringt. Der Buchhändler Kimmel hingegen soll seine Frau wirklich umgebracht haben, hat aber ein wasserdichtes Alibi. Walter bestellt sich ein Buch bei ihm. Die Aura des vorgeblichen Gattinnenmörders zieht ihn an. Dann ist Claire tatsächlich tot.
Walter, ein Jedermann, ein Kleinbürger, hinter dessen Fassade vieles lauert. Warum er diesen Kimmel treffen wollte? Nun: "Ich weiß, es klingt verrückt, aber ich wollte sehen, wie ein Mann wirkt, der seine Frau ermordet hat. Das hat mich fasziniert."
Wir sehen das Psychogramm eines Mannes, der sich in den Fallstricken einer Realität verstrickt. Im Gegensatz zum „klassischen“ Ripley ist er denen nicht gewachsen. Und Walter wechselt nun hinüber auf die dunkle, die monströse Seite.
Für ein Happy End ist im Kosmos von Patricia Highsmith kein Platz.