Patrícia Melo: Trügerisches Licht
Aus dem brasilianischen Portugiesisch von Barbara Mesquita
Tropen Buchverlag, Köln 2016
320 Seiten, 14,95 Euro
Abgründe der Gewalt in Brasilien
Erzählt aus der Sicht einer Kommissarin und Mutter, wirft der Krimi "Trügerisches Licht" einen Blick auf den von Gewalt geprägten Alltag im heutigen Brasiliens. Wie soll die Polizistin einen Mord aufklären, wenn es selbst unter ihren Kollegen Kriminelle gibt?
Fábbio Cássio, ein Fernsehserien-Star, nach dem die Mädchen ihre Unterhosen werfen, schießt sich auf der Theaterbühne am Ende eines Monologs in den Kopf. Es sieht aus wie ein brillant inszenierter Selbstmord. Bald schon kommen aber Zweifel an der Suizid-These auf, und die perfekte Tatverdächtige ist schnell ausgemacht: Fábbios Freundin Cayanne, von der er sich trennen wollte und auf die seine Lebensversicherung läuft.
Natürlich war auch sie es nicht, und bis Kommissarin Azucena den wahren Täter aufspürt, erlebt sie so einiges.
Polizisten als Mörder
Und dieses "Einige" ist die Stärke Patrícia Melos. Wie nebenbei erzählt sie in diesem Krimi, der dadurch von seiner Spannung nichts verliert, von Brasilien. Zum Beispiel von einer Polizei, in deren Reihen Mörder arbeiten und die den Ränken der Politik ausgeliefert ist.
Azucena hat allein während der Ermittlungen im Fall Cássio drei verschiedene Vorgesetzte. In diesem Moloch arbeitet das Häufchen Aufrechter, die im Rahmen ihrer Möglichkeiten für Gerechtigkeit sorgen wollen.
"Trügerisches Licht" ist also ein Roman über die Polizei, aber auch einer übers Showbusiness und die zwei Seiten des Ruhmes. Anhand von Fábbio Cássios Freundin Cayanne erzählt Melo von einer Gesellschaft, die genau so wild auf die trauernde Witwe ist wie darauf, sie auf dem Scheiterhaufen brennen zu sehen.
Die Medien behandeln Cayanne wie einen hübschen Gegenstand, den man wegwirft, sobald er ausgedient hat. Und doch stürzen sich so viele in das "trügerische Licht" der Bühne – eine der wenigen Chancen für Brasiliens Arme. Die meisten verbrennen dort wie Motten.
Gesellschaftsanalyse wird im Privaten fortgesetzt
Melos Roman ist insofern geradezu klassisch, als dass sie überwiegend aus der Perspektive der Kommissarin erzählt, also der "Guten" (und nicht, wie zum Beispiel im vorigen auf Deutsch erschienenen Buch "Leichendieb", aus der Perspektive des Täters). Wobei die Grenzen zwischen Gut und Böse bei Melo verschwimmen. Denn so engagiert Azucena in ihrem Beruf ist, so wenig präsent ist sie für ihre Töchter. Dazu kommt noch ein hässlicher Scheidungs- und Sorgerechtskrieg, den Azucena zu verlieren droht.
Überhaupt ist der Handlungsstrang, der vom Privatleben der Kommissarin erzählt, nicht (wie in vielen anderen Krimis) nerviges Beiwerk. Er setzt vielmehr Melos gesellschaftliche Analyse im Privaten fort, denn auch dort dominieren dieselben Kämpfe um Macht und Ansehen, und sie werden mit kaum weniger Gewalt ausgetragen. Es gibt bei Melo keine Guten und Bösen, nur mehr oder weniger passable Menschen.
Patrícia Melo ist für ihre Schonungslosigkeit bekannt, auch stilistisch. In "Trügerisches Licht" macht sie sich keine Mühe mit Poesie (und auch nicht mit Psychologie): Sie nennt die Dinge beim Namen, steigt in knappem, fast sachlichem Ton mit ihrer Kommissarin hinab in die tiefsten Abgründe.
Azucena hat keine Zeit, sich mit Reflexionen und Emotionen aufzuhalten – Gewalt und Grauen sind Alltag in Brasilien. Oder, wie es Azucenas erster Chef formuliert: "São Paulo ist Gaza."