Patrik Svensson: "Das Evangelium der Aale"
aus dem Schwedischen übersetzt von Hanna Granz
Hanser, München 2020, 256 Seiten, 22 Euro
Über den Autor: Patrik Svensson, geboren 1972, ist in der Nähe der schwedischen Hanöbucht, auch "Aalküste" genannt, aufgewachsen. Er studierte Sprachen und Literatur und arbeitet als Journalist für die schwedische Tageszeitung "Sydsvenskan", wo er über Kultur, soziale Themen, Politik und Naturwissenschaften schreibt. Das Evangelium der Aale ist sein Debüt und wird derzeit in über 30 Sprachen übersetzt.
Auf den Spuren eines faszinierenden Wesens
13:01 Minuten
Schleimig und eklig - so sehen viele Menschen den Aal. Patrik Svensson dagegen verbindet mit dem Fisch schöne Erinnerungen an Angelausflüge mit dem Vater. In seinem Debüt nähert er sich einem geheimnisvollen Tier, das vom Aussterben bedroht ist.
Aale sind erstaunliche Lebewesen – und geradezu sphinxhaft geheimnisvoll: Sie können nach dem Tod wiederauferstehen, in der Mythologie stehen sie oft für den Teufel. Kein Mensch kann genau sagen, wie sie sich vermehren. Bislang ist es noch keinem Wissenschaftler gelungen, der Sexualität der Aale auf die Spur zu kommen. Schon Sigmund Freud soll als junger Forscher daran verzweifelt sein – und hat sich dann doch lieber mit der menschlichen Sexualität und Psyche beschäftigt. Vielleicht sind Menschen weniger kompliziert als Aale?
Der schwedische Autor Patrik Svensson, dessen Buch "Das Evangelium der Aale" auf Deutsch erschienen ist, lacht, wenn man ihn damit konfrontiert. Solche Gedanken sind ihm auch gekommen. Svensson hat sich intensiv mit den von vielen Menschen als schleimig und eklig empfundenen, schlangenartigen Fischen beschäftigt und sie unter natur- wie literaturwissenschaftlichen Aspekten betrachtet. Unter anderem geht er auf die berühmte Stelle aus Günter Grass‘ "Blechtrommel" ein, die beschreibt, wie ein Pferdekopf als Köder aus dem Meer gezogen wird – und Dutzende von Aalen aus Augen und Maul des Schädels gleiten. Für viele Leser – und auch für Kinogänger, die die Verfilmung des Romans sahen – war dies eine wahrhaft ekelerregende Szene.
Aale sind vom Aussterben bedroht
Svensson selbst findet Aale "aufregend und wunderbar" und wollte sie deswegen porträtieren. Zum einen, weil er damit – mit dem Aalfischen – viele schöne Erinnerungen an gemeinsame Stunden mit seinem inzwischen verstorbenen Vater verbindet. Zum anderen, weil der Aal vom Aussterben bedroht sei – weil er nicht genug erforscht worden ist, um Schutzmaßnahmen zu ergreifen.
Die meisten Menschen aber sähen diese Dramatik nicht. Denn, so der Autor: "Die wichtigste Aal-Szene aus der Literaturgeschichte ist jene aus der 'Blechtrommel' – und das hat sehr viele Menschen geprägt: Der Aal als Tier, das furchterregend ist, das eklig ist und das etwas in unserem Unterbewusstsein verkörpert, das wir nicht an der Oberfläche sehen möchten."
Die Natur mit Kinderaugen sehen
Die US-amerikanische Biologin Rachel Carson (1907 – 1964) hat sich ebenfalls mit Aalen beschäftigt und diese im Gegensatz zu Grass geradezu vermenschlicht. "Sie hat sehr schön über die Aale geschrieben – fast wie eine Dichterin", sagt Svensson, für den Carson ein Vorbild ist. "Sie hat immer gesagt: Wir sollen keine Angst davor haben, die Natur wie aus Kinderaugen zu betrachten und wir sollen uns dieses Staunen, das Kinder haben, bewahren. Und dass Wissenschaft und Staunen sich nicht ausschließen."
In seinem "Evangelium der Aale" habe er beide Aspekte verbinden und verarbeiten wollen: Tod und Wiederauferstehung der für ihn faszinierenden Aale – und den Tod seines Vaters. "Jesus sagt ja zu seinen Jüngern: 'Ich werde unter euch sein bis zum Ende der Zeit.' Und das ist dann auch mein eigenes Evangelium, meinem Vater gegenüber und dem Aal gegenüber: Weil ich von beiden hoffe, dass sie unter uns sind, bis zum Ende der Zeit."
(mkn)