Patriotismus made in USA

Der Kampf um den "American Dream"

29:15 Minuten
Zu sehen sind Menschen am 21. Januar 2019 vor dem Gemeindehaus in West Palm Beach, Florida. Jemand hält dabei ein Bild mit der Statue of Liberty, die sich eine Hand vor das Gesicht hält.
Es gibt das Gefühl, doch nicht richtig Amerikaner zu werden, sagt Deutschamerikaner und Autor Arndt Peltner. © imago/Bruce R. Bennett
Von Arndt Peltner |
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Jahrhunderte sind Menschen aus allen Teilen der Welt in die USA gekommen und haben das Land mitgestaltet. Spätestens in Zeiten von Trump wird aber immer mehr zwischen in den USA Geborenen und Einwanderern unterschieden.
"This land is your land, this land is my land". Die inoffizielle Nationalhymne Amerikas, geschrieben 1940 von Woody Guthrie. Guthrie galt lange Zeit als Sympathisant der kommunistischen Partei in den USA. Und dennoch, dieses Lied wurde zu einem der wichtigsten amerikanischen Folk Songs überhaupt, denn es bringt die Amerikaner von Küste zu Küste als eine Nation zusammen, und das ohne großes patriotisches Tamtam.
Ein lokaler Chor aus Oakland singt das Lied an einem Mittwochnachmittag im Paramount Theatre, anlässlich der Einbürgerung von über 1100 Immigranten aus 94 Ländern. In dem alten, gewaltigen Art Deco-Saal aus dem Jahr 1931 schwingt Stolz, Erleichterung, Betroffenheit durch die Reihen. Viele der Neubürgerinnen und Neubürger sind fein heraus geputzt für diesen Anlass, haben Familienmitglieder dabei, um ihre "Naturalization" zu feiern.
Und es ist wahrlich ein bewegender Moment. Ich selbst habe ihn 2013 miterlebt, als ich, gebürtiger Deutscher, amerikanischer Staatsbürger wurde. Damals wie auch heute wurde während der Zeremonie betont, dass Amerika an diesem Tag durch die Immigranten, die nun zu Bürgern der USA werden, besser geworden sei:
"Danke Ihnen, dass Sie Staatsbürger werden": Amerika, das Land der Immigranten, das seit Jahrhunderten Menschen aus aller Herren Länder anzieht.
"Gebt mir Eure Müden, Eure Armen,
Eure geknechteten Massen, die frei zu atmen begehren,
Die bemitleidenswerten Abgelehnten Eurer gedrängten Küsten;
Schickt sie mir, die Heimatlosen, vom Sturme Getriebenen,
Hoch halt’ ich mein Licht am gold’nen Tore!
Sende sie, die Heimatlosen, vom Sturm Gestoßenen zu mir.
Hoch halte ich meine Fackel am goldenen Tor."
Emma Lazarus, Gedenktafel am Fuße der Freiheitsstatue

Es begann mit dem 11. September

Donald Trump: "Und was am unglaublichsten ist, denn ich kann das nicht glauben, wir haben keine Ahnung, wer diese Leute sind und woher sie kommen. Ich sage immer: ein ´trojanisches Pferd!` Leute wartet, was passieren wird, es wird nicht schön sein."
Donald Trump, im Wahlkampf 2016, und jetzt als gewählter Präsident auf Anti-Immigrationskurs: das andere Amerika. Tür zu, das Licht am goldenen Tor wird ausgeschaltet.
Es begann mit den Terroranschlägen vom 11. September 2001. Die amerikanische Fahne wehte überall im Land, brachte die Menschen zusammen, vereinte die Nation unter den "Stars and Stripes". Immer schon wurde die Nationalhymne mit Stolz gesungen. Nach dem 11. September aber war es verletzter Stolz, der mitschwang. So kamen in Washington auf den Stufen des Kongresses die Abgeordneten beider Parteien zusammen, als es am nahe gelegenen Pentagon und in New York City noch brannte. Gemeinsam stimmten sie "God Bless America" an, als Zeichen dafür, dass Amerika in diesem Moment der Krise geeint ist. Egal welche politischen und gesellschaftlichen Gräben es auch nach der Wahl von George W. Bush gegeben hatte, an diesem und an den folgenden Tagen hieß es: "We are all Americans!"


Fast 20 Jahre später gibt es diese patriotische Einigkeit des 11. September nicht mehr. Patriotismus und "being American" ist zu einem politischen Schwert geworden, das vor allem vom Präsidenten selbst drohend geschwungen und eingesetzt wird. Und doch sind und bleiben die Vereinigten Staaten ein Land der Immigranten.
Irene Bloemraad ist Soziologie-Professorin mit Schwerpunkt Immigrationsfragen an der University of California in Berkeley.
"Man sollte unterscheiden, ob man Amerikaner oder US-Bürger wird. Im Englischen sagt man zwar, wenn man US-Bürger wird, dann ist man ein Amerikaner. Aber in meiner Forschung machen da die Leute schon einen klaren Unterschied. Die Antwort ist also, dass die meisten Immigranten glauben, dass jeder ein US-Bürger werden kann und dass man als US-Bürger etwas Englisch kann. Dass man gesetzestreu ist, dass man ein bisschen über die Regierung und die Geschichte des Landes weiß, dass es diesen inklusiven Blick auf Amerika gibt, bei dem die Hautfarbe, die nationale Herkunft oder die Religion keine Rolle spielen."
Aber wenn man nachbohrt und fragt, seid ihr Amerikaner, dann verstehen sie zumeist, dass es nicht um den Pass geht, sondern eher um Identität, Mitglied im Club zu sein. Und einige sagen, sie werden nie Amerikaner werden. "Ich werde nicht als Amerikaner behandelt, nicht gleichberechtigt, nicht als Teil des Ganzen, ich fühle mich nicht gleich oder willkommen." Sie fühlen sich mehr als Vietnamese, als Mexikaner, als Nigerianer oder woher sie auch stammen.
Ein Mann steht am 11. September 2001 vor dem zerstörten World Trade Center nach dem Terrorangriff in New York.
Das zerstörte World Trade Center nach dem Terrorangriff am 11. September 2001 in New York. © picture alliance/dpa/Foto: Doug Kanter

Schwur auf die Verfassung - halbherzig

Einerseits wird man feierlich aufgenommen in die Nation, andererseits verschwindet damit nicht das Gefühl, doch nicht richtig Amerikaner zu werden: dieser Zwiespalt führt dazu, dass viele der Neubürger versuchen, ihre alte Staatsbürgerschaft zu behalten, auch wenn die USA sie offiziell nur noch als Amerikaner erkennt, sie nur noch mit einem amerikanischen Pass ins Land einreisen dürfen.
Für mich, der nun zwei Pässe besitzt, ist nach fast 23 Jahren in den USA das Gefühl immer noch: irgendwie dazwischen zu hängen. Deutschland ist für mich meine Herkunft, meine Prägung, meine Familie, Freunde, Muttersprache. Und Amerika mein Zuhause, meine neue Familie, meine beruflichen Möglichkeiten, und, ja, auch meine Zukunft. Der Schwur auf die Verfassung, auf die Fahne und darauf, die USA notfalls auch bewaffnet zu verteidigen, ist bei der Einbürgerung alles entscheidend. Doch ich glaube, viele leisten diesen Schwur halbherzig, denn im Herzen sind wir Neubürger noch immer ein Stück weit Mexikaner, Chinesen, Russen, Somalier oder Deutsche.


In den letzten Jahren aber hat sich etwas verschoben. Wer Amerikaner sein kann und was amerikanisch ist, wird zunehmend politisch diskutiert und provoziert Streit.
Bloemraad: "Jene, die eher konservativ sind, lehnen mehrere Sprachen, mehrere Religionen, mehrere Hautfarben eher ab. Und die, die eher als progressiv gelten, sind mehr dafür. Es gibt auch Unterschiede beim Alter und wo man aufwächst. Junge Leute in Kalifornien haben mehr eine weite Auffassung darüber, wer alles Amerikaner sein kann. Ältere Leute, die im vorwiegend weißen Mittleren Westen oder im eher von den charakteristischen schwarz-weiß-Beziehungen geprägten Süden aufgewachsen sind, haben wohl eine ganz andere Einstellung dazu, ob Latinos oder Asiaten, Amerikaner in ihrem Sinne werden können."
Amerikaner zu werden, heißt: Formulare auszufüllen, Gebühren zu zahlen, Fingerabdrücke zu geben. Nach etwa einem halben Jahr wird man dann zum Einbürgerungstest eingeladen. Der Sprachtest ist nicht gerade schwierig. "Lesen Sie bitte: ´Wie ist die Farbe der amerikanischen Fahne?` Und nun beantworten Sie diese Frage mit diesen drei Wörtern… `Die Farbe der amerikanischen Fahne ist red, white and blue.` Gratulation, Sie haben Ihren Sprachtest bestanden."
Dann wird getestet, ob man zum Beispiel weiß, wie das Land im Norden der USA heißt:
"Kanada."
Wie der Name des Ozeans an der amerikanischen Westküste lautet?
"Pazifik."

Wer derzeit amerikanischer Präsident ist?
"Trump."

Fragen, die auch fast jeder deutsche Schüler beantworten könnte, der etwas im Geschichts- und Erdkundeunterricht aufgepasst hat und hin und wieder eine Tageszeitung liest. Sieben von zehn solcher Fragen muss man beantworten, dann heißt es: Congratulations, you have passed your citizen test!
Doch ist man Amerikaner?
Menschen schingen kleine US-Flaggen bei einer Einbürgerungsveranstaltung im Juli 2013 in New York City.
Amerikaner zu werden, heißt: Formulare auszufüllen, Gebühren zu zahlen, Fingerabdrücke zu geben. Hier eine Einbürgerungsveranstaltung 2013 in New York City.© imago/UPI Photo

Die US-Fahne ist allgegenwärtig

Was in Deutschland ungute Gefühle wecken würde, gehört in den USA einfach dazu. Die US-Fahne ist allgegenwärtig. In Nachbarschaften weht sie ebenso wie vor Supermärkten und an Kindergärten. Schon Dreijährige lernen den Fahneneid, den sie tagtäglich in den Kindergärten und in den Grundschulen aufsagen müssen. Vor High School-Sportveranstaltungen wird die Nationalhymne genauso gesungen wie vor professionellen Sport-Events der NBA, der MLB, der NFL oder der NHL. Die Symbole Amerikas sind überall zu sehen, sie sind selbstverständlicher Teil des normalen Alltags.
Als die kalifornische Senatorin Kamala Harris am 27. Januar dieses Jahres vor dem Rathaus in Oakland ihre Präsidentschaftskandidatur verkündete, waren auch in dieser liberalen Hochburg des Landes die nationalen Symbole zu sehen und zu hören. In Oakland lag Donald Trump 2016 noch hinter der Kandidatin der Grünen, Jill Stein.
Während nun Kamala Harris ihre Kandidatur für 2020 verkündete, hing eine gewaltige Nationalflagge vom Balkon des Rathauses, weitere Flaggen an der Fassade, die Bühne war in "Red, White and Blue" dekoriert. Ein Gospelchor sang die Hymne und eine afroamerikanische Schülerin sprach die "Pledge of Allegiance", den Fahneneid. Das sei richtig so, meint der Soziologe und Bestseller Autor Francis Fukuyama, der an der Stanford University lehrt – jener Fukuyama, der nach 1989 durch seine These vom Ende der Geschichte weltberühmt wurde:
"Ich denke, die Linke in den USA und in Europa hat schon immer Probleme mit dem Patriotismus, denn er steht oftmals für Aggression, für eine arrogante Vormachtstellung gegenüber anderen Ländern. Das stimmt zum Teil. Dennoch, ich denke, es gibt einen eher liberalen offenen Patriotismus, der stolz auf die eigenen Institutionen ist, der in der Verfassung und den Gesetzen verankert ist und der andere willkommen heißt. Deshalb denke ich auch, dass ich ein loyaler Amerikaner bin.
Meine Familie kam aus Japan, es war nicht leicht, sie wurde während des Zweiten Weltkrieges interniert, aber wir wurden schließlich als Amerikaner akzeptiert. Ich gehöre dazu, habe ein ziemlich gutes Leben in diesem Land, auch, wenn ich ethnisch betrachtet nicht der Mehrheit angehöre. Deshalb glaube ich, dass auch eine eher liberale Person patriotisch mit den Institutionen dieses Landes verbunden sein und gleichzeitig diese Art von Gewalt oder arrogantem Nationalismus ablehnen kann, für den die Rechte oftmals steht."


"I am, I love my country."
Sie liebe ihr Land, antwortete Oaklands Bürgermeisterin Libby Schaaf, als ich sie fragte, ob sie eine amerikanische Patriotin sei. Etwas verwundert war sie, denn so eine Frage würde ihr wohl von einem amerikanischen Journalisten nicht gestellt werden. Einem native American, muss man wohl sagen, denn seit 2013 bin ich ja auch ein amerikanischer Journalist. Aber eben kein native American. Interessant fand ich, wie sie mir erklärte, warum sie die Veranstaltung ihrer Freundin Kamala Harris als etwas Besonderes betrachtete.
"Ich kann nicht für Kamala sprechen, aber ich kann Dir sagen, was ich dabei fühlte. Lass mich etwas ausholen. Am letzten 4. Juli war ich mit meiner Familie an einem See. Und da hatte ich diesen Moment tiefer Traurigkeit, als ich darüber nachdachte, dass Donald Trump und seine Unterstützer mir meinen Patriotismus ruinieren. Sie geben mir ein ungutes Gefühl, wenn ich auf meine Fahne blicke. Und was ich an diesem Sonntag bei Kamala Harris’ Präsidentschafts-Rallye spürte, war eine Rückforderung dieses Symbols für uns.
Die demokratische US-Senatorin Kamala Harris verkündet am 27. Januar 2019 auf einer Bühne vor dem Rathaus in Oakland ihre Präsidentschaftskandidatur. 
Die demokratische US-Senatorin Kamala Harris verkündet am 27. Januar 2019 in Oakland ihre Präsidentschaftskandidatur. © picture alliance/dpa/Foto: Paul Kitagaki Jr.
Und ihre Beschreibung der amerikanischen Story brachte mir Tränen in die Augen, denn das ist auch meine Geschichte Amerikas. Und ich glaube, es ist die Geschichte der meisten Amerikaner, die von diesem Präsidenten kompromittiert und kaputt gemacht wurde. Es ist an der Zeit für den Rest Amerikas, und glaub mir, das ist der Großteil der Amerikaner, diese Geschichte unseres Landes und das Symbol der amerikanischen Fahne und unseren Fahnenschwur und unsere Nationalhymne zurückzuholen, denn sie stehen für unseren American Dream. Und dieser Traum steht für Inklusion und Gleichheit.

"Patriotismus bedeutet, die Regierung zu kritisieren"

Für mich bedeutet, Amerikanerin zu sein, an die Demokratie zu glauben, daran, dass dieses Land jeden willkommen heißt. Wir waren schon immer ein Land der Immigranten, wir waren schon immer ein Land, das zumindest diesen Traum, alles ist möglich und erreichbar für alle, hochhielt. Heute sagen viele von uns, es ist noch immer ein Traum, aber wir versuchen alles, um diesen Traum Wirklichkeit werden zu lassen. Denn Amerika hat das noch nicht erreicht. Aber es ist genau das, was dieses Land für mich und Millionen anderer bedeutet.
Für mich ist Patriotismus, an diesen Traum zu glauben. Und Patriotismus bedeutet, die Regierung zu kritisieren, wenn sie diesen Traum nicht ermöglicht, dieses Idealbild, dass alle Menschen gleich sind, Freiheit und Gerechtigkeit für alle. Und das ist Teil vom Patriotismus: die Führenden zu kritisieren, die das falsch verstehen. Und genau in solch einer Zeit finden sich viele Amerikaner gerade wieder."

"Als Amerikanerin muss ich meine Gemeinde beschützen"

Oakland ist eine Stadt mit etwa 450.000 Einwohnern und wie die meisten Städte in der San Francisco Bay Area eine "Sanctuary City", eine Stadt, die sich weigert, mit der Immigrationspolizei ICE zusammenzuarbeiten. Das heißt, Personen ohne legalen Aufenthaltsstatus werden, wenn sie nicht strafbar sind, nicht der Einwanderungsbehörde gemeldet. Bürgermeisterin Libby Schaaf machte darüber hinaus nationale Schlagzeilen, als sie vor etwa einem Jahr in den sozialen Medien bekannt gab, dass eine Verhaftungsaktion der "Immigration and Customs Enforcement" Polizei in der Stadt bevorstand.
Trump und viele Konservative tobten und warfen Schaaf vor, illegale Einwanderer vor dem Zugriff der Polizei gewarnt zu haben. Trump verlangte vom Justizministerium in Washington, eine Ermittlung gegen die Bürgermeisterin einzuleiten, er drohte offen mit Gefängnisstrafe. Doch Libby Schaaf konterte und erklärte, sie habe keine konkreten Informationen veröffentlicht.


"Als Amerikanerin und als Bürgermeisterin muss ich meine Gemeinde beschützen. Und in meiner Gemeinde leben auch Menschen wie Maria Mendoza Sanchez, die mit einem Baby im Arm und ihrem Mann in dieses Land kam und alles richtig machte. Sie arbeitete hart, kaufte sich ein Haus, bildete sich weiter, und legte Wert darauf, dass ihre Kinder, drei davon wurden in den USA geboren, eine gute Schulbildung erhalten.
Protest gegen Abschiebung vor dem Büro des "Immigration and Customs Enforcement" am 28. Februar 2018 in San Francisco. 
Protest gegen Abschiebung vor dem Büro des "Immigration and Customs Enforcement" am 28. Februar 2018 in San Francisco.© picture alliance/dpa/Foto: Marcio Jose Sanchez
Sie wurde eine examinierte Krankenschwester in unserem öffentlichen Krankenhaus, rettete Leben, half den Kranken und wurde in den mehr als 20 Jahren in diesem Land nie straffällig. Welchen Vorteil hat meine Gemeinde in Oakland, wenn sie in ein Land zurückkehren soll, in dem sie seit mehr als zwei Jahrzehnten nicht mehr war, wenn sie ihre Kinder, die amerikanische Staatsbürger sind, verlassen muss, ihre Patienten, die sie mögen. Was hilft das meiner Gemeinde? Es hilft nichts!"

Bleiberechte und Abschiebungen sind umkämpfte Themen

In dieser Hinsicht unterscheiden sich die USA aktuell nicht von anderen westlichen Ländern. Flucht, Bleiberechte und drohende Abschiebungen sind politisch umkämpfte Themen. Aber – für die Amerikanerin Libby Schaaf spielt bei ihrem politischen Engagement für die Migranten noch etwas eine Rolle, was spezifisch amerikanisch ist: der Patriotismus, Bürgermeisterin einer amerikanischen Stadt zu sein, einer Stadt im Einwanderungsland USA.
"Ich ging aus Liebe und aus Stolz auf meine Stadt in die Politik. Oakland hat sich schon immer auf die Fahnen geschrieben, eine der buntesten und inklusivsten Städte in den Vereinigten Staaten zu sein. Dieser Wert der Inklusivität hat mich in diese Führungsrolle gebracht. Es beschreibt nicht nur, wer ich bin und was mich persönlich motiviert, ich denke vielmehr, das war auch ein Faktor, warum mich die Wähler von Oakland gewählt haben. Deshalb sind es genau diese Werte meiner Gemeinde, für die ich eintrete, die mich hierher gebracht und die das Gegenteil von denen des Präsidenten der Vereinigten Staaten sind."
Bei der Einbürgerungsveranstaltung in Oakland spricht David Dunford den Fahneneid. Dunford ist aus Kenia, war olympischer Schwimmer für sein Land und wurde gefragt, ob er den Schwur auf die Fahne für alle Anwesenden auf der Bühne vorsprechen möchte.
"Ich lebe seit 13 Jahren in den USA, meine Frau ist Amerikanerin, viele meiner engen Freunde sind Amerikaner. Ich sehe es nicht so, dass ich meine kenianische Herkunft oder Staatsbürgerschaft verliere, vielmehr fühle ich mich diesem Land zugehörig. Ich liebe dieses Land, in dem ich wohl für die absehbare Zukunft leben werde. Ich denke, von daher war es wichtig, mich auch zu binden und Amerikaner zu werden."

Amerika ist durch die Immigranten reicher geworden

Die Beweggründe, Amerikaner zu werden, war bei der Einbürgerungszeremonie für viele im Saal unterschiedlich. Die einen sahen es als Möglichkeit an, in den USA besser Fuß zu fassen. Für andere war klar, sie werden für immer hier bleiben. Wieder andere erklärten, sie fühlten sich in den USA in diesen stürmischen politischen Zeiten sicherer mit einem amerikanischen Pass in der Tasche und den damit verbundenen Bürgerrechten.


Amerika sei durch die Immigranten, die nun Amerikaner werden, reicher geworden. Das wurde in dieser Einbürgerungsveranstaltung betont, genau das wurde von den über Tausend Frauen und Männern aus 94 Nationen laut bejubelt. Dann wurde ein Video mit einer Botschaft des gegenwärtigen amerikanischen Präsidenten eingespielt.
Ein Mann aus der Dominikanischen Republik schwenkt eine US-Flagge und freut sich während der Einbürgerungsveranstaltung im Juli 2013 in New York City.
Einbürgerungsveranstaltung im Juli 2013 in New York City.© imago/UPI Photo
2013, als ich eingebürgert wurde, sahen wir die Videobotschaft des damaligen Präsidenten Barack Obama. Anschließend: Applaus. Jetzt: Buhrufe von den Neubürgern, einer schrie sogar laut "Fuck you". Die amerikanische Flagge vereint die Eingebürgerten, aber unterwirft sie nicht einem Wohlverhalten gegenüber der Regierung.

The Charlie Daniels Band
"This ain’t no rag, it’s a flag
And we don’t wear it on our heads
It’s a symbol of the land where the good guys live"
Amerika erlebt mit Donald Trump im Weißen Haus einen neuen Kulturkampf. Trump bringt es mit seinem Leitspruch "Make America Great Again" auf einen einfacher Nenner. Wer für ihn ist, ist patriotisch und pro-Amerika. Wer seine Politik, seinen Ton und seinen Regierungsstil hinterfragt, ihn kritisiert, wie das viele Medienvertreter und die oppositionellen Demokraten tun, ist ein "enemy of the people", ein Volksfeind, unamerikanisch und unpatriotisch.

Kulturkampf um Nationalhymne und nationale Symbole

Trump besetzt mit der Fahne und der Nationalhymne die nationalen Symbole für sich und seine MAGA-Kampagne. Als der Footballspieler Colin Kaepernick anfing, sich während der Nationalhymne vor den Spielen seiner San Francisco 49ers hinzuknien, um so gegen Polizeigewalt gegen Afroamerikaner im Zuge der "Black Lives Matter"-Bewegung zu protestierten, reagierte Trump umgehend.
Donald Trump beschimpfte Kaepernick und alle Spieler, die es im gleich taten, als Hurensöhne. Der Kniefall sei respektlos gegenüber der Fahne und all den Soldaten, die unter dem amerikanischen Banner in den Krieg ziehen und gezogen sind. Für Trump und seine Anhänger war der Kniefall ein Affront gegen die Flagge und die Hymne und für das, wofür sie standen.
Trumps Umgang mit der Frage, wer ein Amerikaner sein kann oder was amerikanisch ist, spaltet die USA. Grundsätzlich ist diese Debatte jedoch auch in den USA nicht neu, immer wieder wurde sie offen geführt. Schon 1882 wurde mit dem "Chinese Exclusion Act" ein Gesetz verabschiedet, das besagte, Chinesen könnten nie Amerikaner werden. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde das auf die Japaner ausgeweitet, später auf alle Asiaten. In den1920er-Jahren waren es Menschen aus Ost-Europa, Slawen, Katholiken, Juden.


In den 1960er-Jahren verlangten Afro-Amerikaner nicht länger Staatsbürger zweiter Klasse zu sein. Mit dem Vietnamkrieg fing Präsident Richard Nixon an, eine kleine Flagge als Anstecknadel zu tragen, um damit deutlich zu machen, dass er die Truppen unterstützt. Wer das nicht tat, galt als unpatriotisch und unamerikanisch. Die Anstecknadel gehört heute zu jedem Politiker in Washington dazu. Wer sie nicht trägt, ob Republikaner oder Demokrat, wird schief angeschaut. Das Sternenbanner verbindet die Nation, aber die Frage dahinter, wer ein richtiger und wer kein richtiger Patriot ist: die entzweit sie.
Bloemraad: "Was mit der Fahne oder dem Patriotismus im allgemeinen oftmals problematisch ist, ist, dass die politische Linke, gerade weil sie eine progressive Vision hat und den Ist-Zustand kritisiert und verändern will, deshalb sind sie besorgt beim Patriotismus, sie können die Fahne nicht für sich einnehmen und auch nicht blind eine Nation oder Verfassung unterstützen. Denn ihr Ziel ist es, etwas zu verändern und zu verbessern. Und wenn man das will, dann ist das Kritik gegen das was ist."
Der Quaterback Colin Kaepernick (Mitte) von den San Francisco 49ers und zwei Mitspieler knien während der Nationalhymne bei einem Match der National Football League. 
Colin Kaepernick (m) und Mitspieler von den San Francisco 49ers knien während der Nationalhymne bei einem Match der National Football League. © picture alliance/EPA/JOHN G. MABANGLO

"American Dream" - und doch bleibt eine Fremdheit

Amerika steht für Freiheit, für Gerechtigkeit, für Gleichheit, für den Kampf Gut gegen Böse, für den "American Dream", für die Idee, als Tellerwäscher Millionär werden zu können. Mit dieser Botschaft wuchs ich in Deutschland auf, in der amerikanisch besetzten Zone der Bundesrepublik. Mein Vater, Flüchtling aus Schlesien, erzählte mir vom Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Davon, wie die Amerikaner den Deutschen nach dem Krieg halfen, wie er nach dem Krieg bei den GIs in der Küche arbeitete. Nun bin ich, sein Sohn, selbst Amerikaner… zumindest auf dem Papier. Eingebürgert, mit Pass, Wohnsitz und – einer Portion Fremdheit, die vielen Eingewanderten eigen ist.
Ja, Amerika bietet einem noch immer viele Möglichkeiten. Es ist ein Land der vielen Kulturen, der vielen Sprachen, der vielen Ethnien. Der Versuch von Donald Trump und seinen Anhängern festzulegen, was es heißt, Amerikaner zu sein, amerikanischer Patriot zu sein, ist – im wahrsten Sinne des Wortes: abstoßend.


Aber er stößt damit auch auf den Widerstand der Amerikaner, die ganz anderer Meinung sind und die sich deshalb als Patrioten verstehen. Für sie wurde dieses Land gerade deshalb zu einem großen Land, weil es seine Grenzen öffnete, Menschen einlud, mit ihrer Kultur, ihrer Sprache, ihren Überzeugungen, ihrem Glauben und ja, ihren Unterschieden in Amerika zusammenzukommen, zusammen zu leben. Was dieses Land der unbegrenzten Möglichkeiten einzigartig machte, ist derzeit mehr denn je umkämpft.
In Oakland traten nach der fast zweistündigen Veranstaltung 1126 neue amerikanische Staatsbürger auf den Broadway. Mit dem Song von Lee Greenwood "God Bless the USA" wurden sie verabschiedet.
"And I'm proud to be an American
Where at least I know I'm free
And I won't forget the men who died
Who gave that right to me"
"I’m proud to be American" – in diesen Tagen ist es schwieriger denn je zu sagen, was das heißt. Aber eines heißt es gewiss: Man gehört dazu. Man kann und sollte sich einmischen.
Ein Holzstich von 1897 zeigt neu angekommene Einwanderer im Registrierungssaal auf Ellis Island.
Neu angekommene Einwanderer mussten sich über viele Jahrzehnte zuerst auf Ellis Island, New York, registrieren lassen. (Holzstich von 1897)© imago / imagebroker
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