Patsy L´Amour Lalove (Hrsg.), "Beißreflexe - Kritik an queerem Aktivismus, autoritären Sehnsüchten, Sprechverboten"
Querverlag, Berlin 2017
272 Seiten, 16,90 Euro
Polemik statt kühler Analyse
In dem Sammelband "Beißreflexe", herausgegeben von Patsy l'Amour LaLove, widmen sich mehr als 20 Autoren queerem Aktivismus und den theoretischen Hintergründen. Unser Kritiker meint: Leider wird hier ein berechtigtes Anliegen durch erschreckend Übertreibungen lächerlich gemacht.
Linker Aktivismus, der autoritäre Sehnsüchte hegt? Mit dieser scharfen Kritik am Queerfeminismus hat es das Buch "Beißreflexe" weit in die Feuilletondebatten geschafft. Dabei lassen sich die titelgebenden "Beißreflexe" gleich dreifach beobachten: Zunächst, wie von den Autoren und Autorinnen diagnostiziert, bei einem kleinen, dogmatischen Teil der queerfeministischen Szene, der Meinungen, die den eigenen widersprechen, radikal verbannen möchte.
Zweitens lässt sich aber auch bei vielen Autoren und Autorinnen des Bandes selbst ein reflexhaftes Zupacken beim falschen Stichwort der Gegenseite beobachten; so glänzt das Buch durch Polemik, nicht durch kühle Analyse. Der am schwersten wiegende Beißreflex bleibt aber, drittens, der der Öffentlichkeit: Weil es sich allzu schön in die Indizienkette für die längst diagnostizierte Übertreibung politischer Korrektheit einreihen lässt, wird der Sammelband der Geschlechterforscherin Patsy l´Amour LaLove in einer Art Kronzeugenregelung gerne herangezogen, für all das Schlechte, was man über Gender-Theorie, politische Korrektheit und Anti-Rassismus vermeintlich schon wusste.
Es läuft einiges schief in der Szene
Wo setzt "Beißreflexe" an? Queer, das sei einmal "das selbstbewusste Anderssein", all derer Menschen gewesen, deren Sexualität von der gesellschaftlich dominanten Norm abwich, also der Schwulen, Lesben und Transmenschen. Queer sollte Geschlechter- und Rollenbilder sprengen. Heute aber würden viele, auch innerhalb der queerfeministischen Szene, zum Schweigen gebracht, weil sich nur noch die Menschen äußern dürften, die von Diskriminierung, sei es rassistisch oder sexistisch, selbst betroffen seien. Alle anderen müssten als "Privilegierte" schweigen. Das wird im Buch als "Politik des schlechten Gewissens" mit dem "Vorgehen religiöser Sekten" verglichen. Von "Bekenntnis", "Gelübde", "Bußen", erzwungen durch "inquisitorische Macht", ist gar die Rede.
Dass einiges schief läuft in der queerfeministischen Szene, dass der Streit inzwischen tiefe Gräben gerissen hat, lässt sich schnell feststellen. Leider trägt der Sammelband zum Verständnis des Problems aber wenig bei. Zum einen, weil viele der Texte sehr kurz sind, nur wenige Buchseiten lang, für eingehende Analysen so kein Raum ist. Zum anderen weil viele Texte nicht so wirken, als ob sie an einer ernsthaften, zielführenden Analyse interessiert seien. Es sind meist polemische Angriffstexte, die Wortwahl diffamierend, die gewählten Beispiele sind das Best-of der Horrorgeschichten.
Für die gesamgesellschaftliche Schau nicht geeignet
Dies zeigt aber umso mehr, warum sich dieses Buch für den gesamtgesellschaftlichen großen Feuilletonaufschlag nicht eignet. Es hilft nicht weiter. Die sehr berechtigten Grundanliegen des Queerfeminismus, insbesondere etwa Rassismus auch Szene-intern zu thematisieren, werden in dem Buch durch zu Hilfenahme ihrer in der Tat erschreckenden Übertreibungen verlacht. In großer Selbstüberzeugung wird hier der Dogmatismus der "Gegner" geschildert, ohne kritische Reflexion des eigenen Standpunktes. Und so verdeutlicht der Band leider an vielen Stellen das Fehlen einer heute doch so enorm wichtigen Grundtugend: Ambivalenzen aushalten und nicht dem Versuch der Auflösung in Eindeutigkeiten zu erliegen.