Patti Smith: "Hingabe"

Voller Obsession und Kitsch

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Cover von Patti Smiths Roman "Hingabe". Im Hintergrund ist ein Foto mit einem Schlittschuhläufer zu sehen.
Eugenias liebt Schlittschuhlaufen. Es ersetzt ihr Eltern und Heimat und wird zur Obsession, für die sie schließlich über Leichen geht. © Kiepenheuer & Witsch / dpa / picture alliance / imageBroker
Von Olga Hochweis |
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Erst wollte sie Dichterin werden, dann kam Patti Smith ihre Rockkarriere dazwischen. Im Alter von 72 Jahren hat sie nun ihren ersten Roman veröffentlicht. Darin geht es um eine obsessive Eiskunstläuferin. Die "Godmother of Punk" spart dabei nicht mit Kitsch.
Patti Smith war immer gut für Überraschungen. Als sie Anfang der 1970er-Jahre mühevoll als Dichterin reüssieren wollte, kam die Musik dazwischen und eine so schnelle wie heftige Karriere als spätere "Godmother of Punk". Als sie den Musikerkollegen Fred Sonic Smith kennenlernte, stellte sie das Leben als Rockstar zugunsten einer rund zehnjährigen "Baby- und Familienpause" zurück. Nach dem Tod des Ehemanns 1988 folgte das musikalische Comeback und 2010 ein veritables literarisches Meisterwerk: "Just Kids" über die frühen Künstlerjahre mit Robert Mapplethorpe in New York.

Schlittschuhlaufen als Obsession

Nun überrascht die 72-jährige Patti Smith mit ihrem ersten fiktionalen Prosawerk. "Hingabe" erzählt von Eugenia. Sie ist 16 Jahre alt, als sie Mitte der 1950er-Jahre eine Liebesbeziehung mit dem mehr als doppelt so alten Kunsthändler Alexander Rifa beginnt. Die beiden sprechen Russisch miteinander. Er ist ein Diplomatenkind, sie die Tochter eines estnischen Paares, das Anfang der 1940er-Jahre nach Sibirien deportiert worden war.
Dank der Tante konnte Eugenia gerettet werden und wuchs in der Schweiz auf. Nun, in der Fremde, schreibt sie Gedichte unter dem Titel "Sibirische Blumen". Eugenias Lebensinhalt wird das Schlittschuhlaufen. Es ersetzt ihr Eltern und Heimat und wird zur Obsession, für die sie schließlich über Menschenleben geht.

Stoff und Sprache baden im Kitsch

Stoff und Sprache dieser ersten Erzählung von Patti Smith schrammen nicht nur knapp vorbei am Kitsch – sie baden darin. Ob das Patti Smith und ihren Verlag dazu bewogen hat, den Text einzubetten in erklärende oder gar entschuldigende autobiographische Essays?
Sie scheinen zunächst dort anzuknüpfen, wo das Vorgängerbuch "M-Train" stehengeblieben ist: bei der Verbeugung Smiths vor verstorbenen Dichtern und Denkern und bei der Beschreibung ihrer Vorlieben als Fernseh- und Koffeinjunkie. Noch taucht die vertraute Smith'sche Selbstironie vereinzelt auf: "Eine Autorin, die nicht schreibt, redet mit Journalisten über das Schreiben. Du alte Besserwisserin, rüge ich mich. Ich gönne mir einen neuen Kaffee."

Dunkle Impressionen

Zunehmend aber überwiegen dunkle Impressionen: ein suggestiver Ausschnitt aus einem estnischen Film über Deportationen während der Stalinzeit, die Lektüre einer Monographie über die jung verstorbene Simone Weil. Mitten in der Nacht, der Fernseher läuft noch, tanzt beim kurzen Aufwachen eine junge russische Eiskunstläuferin über den Bildschirm – Stoff und Motive, denen wir in der Erzählung wiederbegegnen:
"Während ich schlafe, nimmt der Genius Verknüpfungen vor und erschafft Neues. Simones entschlossenes herzförmiges Gesicht verschmilzt mit dem Gesicht der jungen Eiskunstläuferin."

Traum vom schönen Schreiben

Im Zug nach Südfrankreich schließlich beginnt Smith mit der Niederschrift von "Hingabe". Am Ende dieses formal ungewöhnlichen Buchs finden sich Fotografien ihres eigenen Autografs, unter dem Titel "Written on a train". Die Platzierung ist mutig, denn unmittelbar auf den Seiten zuvor beschreibt Patti Smith mit ehrfürchtigen Worten ihren Besuch im Privathaus von Albert Camus, wo sie dessen handschriftliche Manuskripte bewundert hatte.
Wozu das alles? Patti Smith feiert in ihrem Buch die literarische Inspiration. Sie verneigt sich vor dem Impuls und dem Prozess des Schreibens. Und hier schließlich rührt sie doch mit aufrichtiger Hingabe:
"Was ist der Traum? Etwas Schönes zu schreiben, das besser wäre als ich, das meine Versuche und meine Fehler rechtfertigen würde. Warum schreiben wir? Ein Chor explodiert. Weil wir nicht nur dahinleben können."

Patti Smith: "Hingabe"
Aus dem Amerikanischen von Brigitte Jakobeit
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2019
144 Seiten, 18 Euro

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