Linktipp: In der DLF-Sendereihe "Essay & Diskurs" beschäftigte sich Paul Mason 2016 mit den Krisen des Kapitalismus. Sein Manuskript können Sie hier lesen.
Paul Mason: "Faschismus. Und wie man ihn stoppt"
© Suhrkamp
Angst vor der Freiheit
06:03 Minuten
Paul Mason
Aus dem Englischen von Stephan Gebauer
Faschismus. Und wie man ihn stopptSuhrkamp, Berlin 2022443 Seiten
20,00 Euro
Paul Masons „Faschismus“ ist eine kluge Warnung vor den Gefahren eines neuen Faschismus. Ein wirksames Mittel dagegen hat aber auch der britische Journalist bisher nicht gefunden.
„Nie wieder Faschismus.“ Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges gehört dieser Slogan zum rhetorischen Repertoire der Manifestationen gegen rechts. Die Vehemenz, mit der er skandiert wird, kompensiert freilich oft die Hilflosigkeit seiner Rufer. Das Aufkommen einer Bewegung, die dem Faschismus verblüffend zu ähneln beginnt, hat der Slogan nicht aufhalten können.
Die Sorge vor der Wiederkehr eines totgeglaubten Gespenstes treibt auch Paul Mason um. „Der Faschismus ist zurück“, konstatiert der britische Journalist – langjähriger Autor des linksliberalen „Guardian“, Marxist und Aktivist, Jahrgang 1960 – in seinem jüngsten Buch.
Verglichen mit seinen viel beachteten Vorgängerwerken „Postkapitalismus“ von 2016 und „Klare, lichte Zukunft. Eine radikale Verteidigung des Humanismus“, das 2019 erschien, entwickelt Mason in seinem jüngsten Werk ein düsteres Szenario.
Eine neue Internationale von rechts
Von der AfD in Deutschland über Viktor Orbán in Ungarn bis zu Jair Bolsonaro in Brasilien reicht für Mason die neue Internationale der Rechten. Sie machen Jagd auf Migranten, bedrohen Richter- und Politiker:innen, gründen bewaffnete Geheimbünde.
Die dramatischen Szenen in Washington, wenige Monate nach der Wahlniederlage Donald Trumps sieht Mason als „Wendepunkt“. Er schreibt: „Der Sturm auf das Kapitol im Januar 2021 ist ein Lehrbeispiel dafür, dass Konservatismus, Rechtspopulismus und Faschismus begonnen haben, bewusst miteinander zu interagieren“.
Um zu verstehen, wie es soweit kommen konnte, geht Mason in die Geschichte zurück: Er zeichnet noch einmal die Terrormethoden nach, mit denen Hitler und Mussolini im Gefolge der Weltwirtschaftskrise zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Macht eroberten. Er zeigt die ideologischen Parallelen zwischen damals und heute auf: die Orientierung an dem Neuen Menschen Ernst Jüngers und Friedrich Nietzsches oder dem Vitalismus eines Henri Bergson.
Die Kumulation der Krisen heute, so sein Argument, schaffe einen ähnlichen Nährboden wie in der europäischen Zwischenkriegszeit: der Zusammenbruch des neoliberalen Wirtschaftsmodells nach der Finanzkrise von 2009, die neuen Technologien, die Umweltkatastrophe und schließlich die Pandemie.
Der Vernichtungswunsch wird relativiert
Gerade weil Mason diesen Prozess der sozialökonomischen Desintegration für die Renaissance des Faschismus verantwortlich macht, verwundert dann seine zentrale Definition für diesen Angstgegner: „Der Faschismus widerlegte die orthodoxe marxistische Doktrin (…) Bedeutsamer als jeder spezifische Klassengegensatz ist ein menschlicher Antagonismus: Der Wunsch nach Freiheit, der durch Furcht vor der Freiheit gehemmt wird, wann immer sie in greifbare Nähe rückt“.
Dieser Wunsch mag die Vehemenz erklären, mit der sich Rechtsextreme gegen die Rechte von Indigenen, der LGTB+-Community oder der People of Colour stemmen. Doch indem Mason den Faschismus damit zur sozialpsychologischen Disposition erklärt, relativiert er das vorsätzlich Eliminatorische des Faschismus zu einer Art Präventionsreflex.
Einst ging es um die Auslöschung der Juden. Heute, so schreibt Mason selbst, gehe es um den globalen, ethnoreligiösen Bürgerkrieg, der die angeblich bedrohte, „Weiße Rasse“ in ihre alten Rechte einsetzen soll.
Hoffen auf eine neue Volksfront
Masons Buch ist mehr ein Essay im Angesicht einer großen Gefahr als ein wissenschaftliches Werk. Politische Mahnungen wechseln ab mit historischen Exkursen, Fallbeispiele mit philosophischen Impromptus, Appelle stehen neben Analysen.
Als intelligente Warnung vor dem Rechtsextremismus als Brandbeschleuniger eines neuen Faschismus mag sein leidenschaftlich, mitunter etwas atemlos geschriebenes Buch mit vielen griffigen Formulierungen durchgehen. Ein kohärentes Programm gegen den „neuen Faschismus“ hat aber auch Mason nicht anzubieten.
Zur Abwehr eines neuen „Bündnisses von Elite und Mob“, wie Hannah Arendt den Faschismus einst beschrieb, setzt der Autor auf eine neue Volksfront. So wie die Formation, die im Frankreich des Jahres 1934 kurzzeitig den Sozialisten Léon Blum an die Macht brachte.
Dafür müsste die Linke, so appelliert Mason, die liberale Mitte aber als Bündnispartner begreifen, statt sie als Hauptfeind zu verteufeln. Dazu müsste der organisierte Liberalismus selbst aber auch nach links rücken. Wer sich erinnert, wie ein FDP-Politiker mithilfe der AfD zu Thüringens Ministerpräsident gewählt wurde, ahnt, wie mühsam diese Trendwende zu bewerkstelligen sein wird.
Ähnlich verhält es sich mit dem „Green New Deal“ der linken US-Demokratin Alexandria Ocasio-Cortez. Durch Umweltschutz entstandene neue Arbeitsplätze könnten für Mason den Neuen Rechten das Wasser abgraben. Aber Joe Manchin, Cortez‘ zentristischer Parteifreund im US-Senat, erteilt dem Öko-Pakt regelmäßig eine Absage.
Und wenn Mason am Ende dann schließlich Slogans wie „Antifaschismus als Ethos“ und „Wehrhafte Demokratie 2.0“ intoniert, klingt das nach dem guten, alten: Nie wieder!