Paul McCartney: "Lyrics"
C.H. Beck, München 2021
912 Seiten, 78 Euro
Paul McCartney: "Lyrics"
Paul McCartney gilt als begnadeter Komponist. Seine Musik ist ganz groß - ein Lyriker ist er aber eher nicht. © picture alliance / Christopher Victorio / imageSPACE
Mittelmäßige Texte, reizende Details
08:25 Minuten
Mit den Beatles wurde er zum Superstar. Geheimnisse um Paul McCartney gibt es wohl kaum noch, er selbst hat keine Tagebücher geführt. Also erzählt er sein Leben jetzt anhand dessen, was ihn definitiv nicht berühmt gemacht hat: seine Songtexte.
Gewaltige 51 Jahre ist es jetzt her, dass sich die Beatles aufgelöst haben. Und obwohl sie vielen heute immer noch als die wichtigste Rockband aller Zeiten gelten, müsste man doch eigentlich annehmen, dass zu ihnen mittlerweile alles gesagt, geschrieben und gezeigt wurde, was irgendwie berichtens- oder analysierenswert wäre.
Ein ganzer Korb voller neuer Beatles-Produkte
Doch das ist offensichtlich nicht der Fall. Denn auch in diesem Jahr gibt es wieder einen ganzen Korb voller neuer Beatles-Produkte. Vor kurzem ist eine Edition mit unveröffentlichten Songs aus den Sessions ihres Albums "Let It Be" erschienen. Ende November wird der Streamingsender Disney+ eine dreiteilige Dokumentation über die letzten Monate der Band zeigen. Und nun hat auch noch Paul McCartney ein neues Buch auf den Markt gebracht.
"Lyrics" heißt es. Großformatig, fast 1.000 Seiten dick, und man benötigt schon einen äußerst stabilen Kaffeetisch, um dieses Großwerk bei sich zu Hause angemessen zu präsentieren.
Eine interessante Entscheidung, denn Paul McCartney hat ja durchaus den Ruf, ein Songwriter zu sein, dem zwar die genialsten und schönsten Melodien und Arrangements einfallen – aber seine Texte wirken im Vergleich dazu oft eher pflichtschuldig und konventionell, wenn nicht sogar kitschig oder banal.
Die von McCartney getexteten "Yellow Submarine" oder "Ob-La-Di Ob-La-Da" klingen eher wie alberne Kinderlieder. Das vielleicht atemberaubendste Beispiel im Buch ist aber "Check My Machine" – eine B-Seite von 1980, aus seiner elektronisch-experimentellen Phase, deren Text wirklich nur aus diesen drei Worten besteht: "Check My Machine".
Die Liebe steckt im Detail
Doch Zeitverschwendung sind die 912 Seiten von "Lyrics" dennoch nicht. Das Buch ist eine Art Autobiografie, die aber nicht den üblichen Mustern gehorcht.
McCartney erklärt das im Vorwort: Er habe immer wieder Anfragen von Verlagen bekommen, ob er denn nicht sein Leben aufschreiben wolle. Aber er hat alle abgelehnt, mit der simplen Begründung: Er habe keine Tagebücher, keine Aufzeichnungen über sein Leben, die dem noch etwas hinzufügen könnten, was eh schon über ihn in allen Büchern steht.
Dann dachte er sich aber: Moment mal, eigentlich sind ja meine Songtexte meine Tagebücher. Sie enthalten mein Leben, meine gesammelten und verdrängten Gedanken und Wünsche. Und wenn ich die mal nacheinander durchgehe, müsste dadurch ja quasi automatisch meine Autobiografie entstehen. Und genau das ist "Lyrics".
Das Wichtige sind am Ende gar nicht die Songtexte, sondern die kleinen Geschichten, die er um sie herum erzählt. Die Fotos und Artefakte, die er aus dem Archiv gekramt hat und hier zeigt. Handgeschriebene Entwürfe, Krimskrams. Und das ist dann tatsächlich fast durchweg sehr faszinierend und unterhaltsam.
Große neue Enthüllungen gibt es allerdings nicht. McCartney ist ja alles andere als ein introvertierter, rätselhafter Mensch. Er hat immer gern ausführliche Interviews gegeben und oft genug über sein Leben gesprochen. Das Reizende an diesem Buch sind mehr die vielen kleinen Details, die man überall findet.
Das einsame Universalgenie
Da ist zum Beispiel der Brief eines weiblichen Beatles-Fans namens Marjorie angedruckt, die ihm 1963 zum 21. Geburtstag gratuliert und ihm als Geschenk einen offenbar handgehäkelten Pudel aus Wolle mitgeschickt hat. Oder die Aussage, dass er in den Text von "Eleanor Rigby" die Niveacreme-Dose eingebaut hat, die seine Mutter immer so gern benutzte.
"Lyrics" zeigt auffällig viele Fotos und Geschichten, die ihn als einsamen Mann im Studio zeigen. Ganz allein bei der Arbeit. Also quasi als musikalischen Mastermind, der fast alle Instrumente beherrscht und so genaue Vorstellungen von seinen Songs hat - man könnte auch sagen: ein solcher Kontroll-Freak -, dass ihn der Anschluss an ein Kollektiv nur behindert oder einschränkt.
McCartney hat schon 1970 ein Album veröffentlicht, auf dem er dank Mehrspurtechnik alle Instrumente selbst gespielt hat, und auch sein letztes Album von 2020 hat er nach diesem Prinzip produziert.
Wenn man so will, war er damit also schon ein früher Vorläufer dieses Typus des Universalgenies, das keine soziale Reibung oder Inspiration mehr braucht oder will. Also genau dieser Gedanke, der auch berühmte Tüftler wie Aphex Twin, Pharrell Williams oder Kanye West antreibt. Und die haben ja alle auch ihre inneren Kämpfe durchzustehen.