Paul Mühsam und Görlitz

Erinnerung an einen vergessenen Dichter

Blick in die Görlitzer Synagoge, aufgenommen am Dienstag (04.11.2008). Die Görlitzer Synagoge hat als einziger jüdischer Sakralbau in Sachsen die Pogromnacht am 9. November 1938 ohne Schaden überstanden.
Wie oft mag Paul Mühsam mit seiner kleinen Familie in dem Kuppelsaal der Görlitzer Synagoge gesessen haben, fragte sie die Autorin bei ihrer Spurensuche. © picture-alliance / dpa / Ralf Hirschberger
Von Katrin Kühne |
Er ist der Cousin des Schriftstellers Erich Mühsam. Der heute weitgehend unbekannte Dichter Paul Mühsam ließ sich 1905 in Görlitz nieder, das zu dieser Zeit eine junge, prosperierende Jüdische Gemeinde besaß. Am 17. Juli 1876 wurde er geboren.
Die große Synagoge von Görlitz macht wieder etwas von sich her! Nachdem der wuchtige Jugendstil-Bau in der DDR-Zeit still vor sich hin rottete, soll nun Ende diesen Jahres die Restaurierung des Gebäudes weitgehend abgeschlossen werden.
"Auch die Kuppel ist ja wieder im alten Glanz und Schönheit entstanden mit diesem beeindruckenden Löwenfries, der Löwe von Juda immer abwechselnd mit der Menora und den Tafeln mit den Zehn Geboten als Symbolen des Judentums."
Begeistert sich Markus Bauer. Der Direktor des Schlesischen Museums gehört zum Vorstand des Fördervereins der Synagoge.
Wie oft mag der heute weitgehend vergessene Dichter und Rechtsanwalt Paul Mühsam mit seiner kleinen Familie in dem Kuppelsaal gesessen haben! In der noch unrenovierten Vorhalle fällt dem Besucher eine Gedenkplatte auf:
"Das ist eine Tafel, die angebracht wurde, anlässlich des 50.Jahrestages der Progromnacht. Dieses Datum ist ja zum ersten Mal 1988 von der DDR auch als Gedenktag begangen worden und da hat man diese Tafel hier angebracht zur Erinnerung an die Vertreibung und Ermordung der Jüdischen Gemeinde hier in Görlitz. Und da ist die Else Levi-Mühsam angereist."
Die Tochter kämpft für die Wiederbelebung seines Werks
Else Levi-Mühsam war die älteste Tochter von Paul Mühsam. Die Bibliothekarin mit Leib und Seele kehrt nach dem Tode ihres Vaters 1960 aus Israel nach Deutschland zurück. Und sie setzt sich, bis zu ihrem Rückzug in ein Altenheim in Jerusalem 1995, für die Wiederbelebung seines Werkes ein.
Paul Mühsam wird am 17.Juli 1876 in Brandenburg an der Havel geboren, wächst aber in Chemnitz und Zittau auf. Er ist ein Cousin des bekannteren revolutionären Dichters Erich Mühsam. Nach dem Jura-Studium unter anderem in Berlin und der Promotion in Freiburg lässt sich Paul Mühsam 1905 mit einer Anwaltspraxis in Görlitz nieder. 1909 heiratet er Irma Kaufmann und hat drei Töchter mit ihr.
Während des Esten Weltkriegs arbeitet er im Zentralkomitee des Roten Kreuzes in Berlin. Im Alter von 42 Jahren erlebt der überzeugte Pazifist ausgerechnet im Berliner Grunewald, "mitten in der Einsamkeit, von niemandem gestört", wie er schreibt, seine literarische Erweckung. Dort verfasst er die "Worte an meine Tochter"; Else, mit der ihn eine lebenslange besonders intensive Beziehung verbindet. In rascher Folge entstehen nun elf Werke bis 1933. Die Idee einer "alle Konfessionen übergreifenden Religion der Menschlichkeit", wie Mühsam es selbst beschreibt, findet Ausdruck in seinem Versdrama "Der ewige Jude".
Darin lässt er seine Hauptfigur Ahasver geradezu seherisch das Kommende voraussagen:
"So schüttle ich den Staub von meinen Füßen und gehe, wie ich kam, ganz unerkannt. Ich grüße Dich mit einem letzten Grüßen, mein armes, mein verirrtes Abendland."
Das schreibt er 1923!
Der ehemalige Theaterdramaturg Wolfgang Wessig stand mit der Tochter des Schriftstellers, Else Levi-Mühsam, seit Ende der 1980er in gutem Kontakt. Oft hat sie ihn in Görlitz besucht. Von Konstanz aus, wo sie zusammen mit Erich Bloch die Judaica-Bibliothek aufbaute, belieferte sie ihn immer wieder mit kleinen maschine-geschriebenen Zettelchen mit Zitaten aus bzw. Hinweisen zu dem väterlichen Werk, unter anderem einem Typoskript seiner Lebenserinnerungen:
"'Erinnerungen, Betrachtungen, Gestalten', so heißt es. Das ist für uns in Görlitz ein Dokument ersten Ranges .Seine Erinnerungen an die kulturelle Szene in den 20er-Jahren und er war da total involviert."
Im Schlesischen Künstlerkreis von Görlitz aktiv
Es ist der Schlesische Künstlerkreis, in dem Mühsam sich damals in Görlitz bewegt. Dazu gehören etwa sein später von den Nazis ermordeter Freund, der Dichter Arthur Silbergleit oder der Grafiker Johannes Wüsten.
Mit dem 29. März 1933 ändert sich dann schlagartig und für immer das Leben von Paul Mühsam und seiner Familie.
"Das war eine Aktion, die ganz Görlitz bewegt hat. Alle Anwälte, Rechtsanwälte, Notare jüdischer Konfession sind also zusammen getrieben worden, die Hauptstraße, die Berliner Straße entlang bis zum Rathaus, sind dort festgehalten worden eine Weile, am nächsten Tage wieder freigelassen. Spätestens da war sich Mühsam darüber im Klaren, dass er das Land verlassen wird."

Sein monatelanges Ringen bis zur Abreise im September 1933 spiegelt sich in dem bis heute unveröffentlichten, autobiografisch basierten Fantastischen Schauspiel "Der Stern Davids" von 1949. Wolfgang Wessig hat das von Else Levi ihm überlassene Stück 2006 in der Chilufim vorgestellt, der Zeitschrift für Jüdische Geschichte der Universität Salzburg:
"Dieses phantastische Schauspiel, das sich mit dem Weg des Judentums beschäftigt, lässt doch vermuten, dass es eben ein langer Weg, wie er selbst sagt, zum Hause Israel gewesen ist. Und zum Hause Israel nicht im Sinne von Gläubigkeit, sondern in dem Sinne einer messianischen Erfüllung, endlich eine Heimat zu finden, in der Bedrohung und Pogrom der Vergangenheit angehören."
Schwieriger Neubeginn in Haifa
Das neue Leben, Überleben in Haifa gestaltet sich mehr als schwierig für einen, der bis an sein Lebensende deutsch schreibt. "Heimwehkrank bis zum letzten Tag", wie seine Tochter noch 1988 in Berlin erzählt.
In Erinnerung an seine geliebte, bereits September 1946 verstorbene Frau Irma entstehen in der Stille eines verwilderten Parks in Haifa 1948 die "Sonette an den Tod":
"Du bist der Mittler, der im Dunkel bleibt und sichtbar doch das Weltrad vorwärts treibt. Du sorgst, dass alle Wesen, die entstehen, sich wachsend wandeln, welken und vergehen und gibst den Stoff zur Form zurück der Erde, dass aus Verwestem junges Leben werde."
Ganz vergessen ist Paul Mühsam in Görlitz heute dennoch nicht. 1990 wird eine, wenn auch kurze Straße nach ihm benannt. Tochter Else Levi-Mühsam erhält 1992 die Ehrenbürgerschaft von ihrer Geburtsstadt, in der sie 1910 zur Welt kam. Und vielleicht werden eines Tages auch Gedenktafeln am Wohnhaus der Familie in der Bismarckstraße 4 und an der Berliner Straße 60 angebracht, wo der Dichter und Rechtsanwalt Paul Mühsam 1905 seine Kanzlei gegründet hatte.
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