Paul-Philipp Hanske: Die Blüten der Stadt
Mit Fotografien von Christian Werner
Suhrkamp Verlag, Berlin 2018
286 Seiten, 18,00 EUR
Wo die Pflanzen "taxi-beige" blühen
Die ersten Krokusse, leuchtendes Herbstlaub – auch in der Stadt prägen Pflanzen den Jahreslauf. Aber die Wenigsten kennen, was da blüht. Ein Wegweiser durch die urbane Flora soll das ändern.
Pflanzen drängen sich nicht auf. Sie machen keinen Lärm und halten sich im Hintergrund. Gerade als Stadtbewohner vergisst man deshalb leicht, wie eng sie eigentlich mit unserem Leben verbunden sind. Dabei braucht man nicht aufs Land hinaus zu fahren, um Blumen und Gräser, Bäume und Sträucher blühen zu sehen. In Hinterhöfen oder auf Verkehrsinseln, in Gärten und Parks ist die Artenvielfalt oft größer als auf den Agrarflächen im Umland. Genau dafür wollen der Autor Paul-Philipp Hanske und der Fotograf Christian Werner die Augen öffnen.
Ihr Buch "Die Blüten der Stadt" ist kein Naturführer. Es richtet sich ohne jede Herablassung an botanische Banausen, die kulturell vorgebildet aber in Sachen Naturkunde eher Erstleser sind. Neben den wichtigsten Merkmalen von Birke oder Buche, Brennnessel, Hopfen oder Klette enthält das Buch deshalb auch Seitenblicke auf die Herkunft und Kultivierung der jeweiligen Pflanze, auf ihre Verwendung als Arznei- oder Rauschmittel, auf ihre Rolle in Mythos und Ritus.
Bedeutung der Jahreszeiten hat sich tiefgreifend verändert
Dabei kommen Dinge zur Sprache, die man in keiner Biologiestunde lernt. Im Abschnitt über den Ahorn weist Hanske darauf hin, wie tiefgreifend sich die Bedeutung der Jahreszeiten verändert hat, wenn man nur wenige Generationen zurückblickt: "Im Frühling verhungerten die Kinder", denn das war die Zeit, in der die Vorräte zu Ende gingen. "Der Herbst hingegen war das Fest des Jahres. Da wurde geerntet, gekeltert und geschlachtet." Der Ahorn erinnert heute noch daran, wenn er mit seinem flammenden Herbstlaub etwas Licht in den grauen Oktober bringt.
Paul-Philipp Hanske trifft auch für naturferne Leserinnen und Leser den richtigen Ton. Eine Blüte leuchtet bei ihm schon mal "taxi-beige", ein Weinblatt "neonpink". Den Duft einer Gartenblume beschreibt er als "süß, pudrig, wie ein Parfüm, das jahrzehntelang im Kosmetikschränkchen einer alten Dame stand". Gruselig ist die Haselnuss, wenn man von Toten erfährt, die durchflochten mit Haselzweigen aus dem Moor geborgen wurden. Andererseits schuf sie eine wichtige Voraussetzung für die Verbreitung und Sesshaftigkeit des Homo sapiens in Europa. Nach der letzten Kaltzeit vor etwa 10.000 Jahren rückten Haselsträucher nach Norden vor und boten den damals noch nomadisch lebenden Menschen überall Nahrung.
Das Balkon-Biotop als Rückzugsort
Der anregend geschriebene, mit über hundert Fotos farbig illustrierte Band schlägt weite Bögen zurück in die Menschheitsgeschichte und ist doch ganz von heute. Ein Kapitel ist dem "Biotop Balkon" gewidmet, als Rückzugsort und Schauplatz leidiger Streitereien unter Nachbarn. Als Überlebenskünstler und möglicher Rohstoff-Lieferant für die Autoindustrie macht der Löwenzahn von sich reden: Ein Reifenhersteller lässt gerade prüfen, ob eine asiatische Zuchtvariante Kautschuk für die Gummiproduktion liefern könnte.
Der Philosoph Walter Benjamin charakterisierte den Flaneur als einen Städter, "der auf dem Asphalt botanisieren geht". Für Spaziergänge dieser Art ist "Die Blüten der Stadt" der perfekte Begleiter.