75 Jahre und ungebrochen kreativ
Mit Songs wie "Sounds of Silence" feierte Paul Simon in den 1960er-Jahren zusammen mit Art Garfunkel große Erfolge. Doch auch als Solokünstler ist er erfolgreich und stets wandelbar. Jetzt wird er 75 und hat gerade erst wieder ein neues Album herausgebracht.
Manchmal musste Paul Simon bei Songzeilen, die ihn überkamen, selber weinen: Das ist gut, denn dann weinen die Hörer auch bei diesen zeitlos schönen Melodien, die so nahe am Kitsch vorbeischrammten, dass es einen schüttelte vor Sentiment. Besonders, wenn Art Garfunkel, der zu lang geratene Pumuckl, ohne jede Scham in purem einfachen Empfinden diese Gefühle sang, die so groß sind, dass sie das Herz nur sprengen können. Während Simons Gesang immer eher etwas klugscheißerisch klang, wie ein schnöseliger Junglehrer.
1957, mit 15, hatten die beiden Schulfreunde aus New Yorks kleinbürgerlichem Schmelztiegel der Nationalitäten - Queens - einen kleinen Hit gehabt; damals nannten sie sich Tom & Jerry und spielten Rocksongs im Stil der Everly Brothers. Und irgendwann wandten sie sich dieser neuen populären Musikmode zu: dem Folk.
Songs über die Verletzlichkeit
Sie trugen Anzüge oder Rollkragenpullover, wie die Folksänger vor Bob Dylans Revolution halt in den Existenzialistencafés aufgetreten waren. Paul Simon schrieb die Stücke, und seine Themenwelt war – anders als bei den linken Folksängern wie Dylan und Baez - nicht die Ungerechtigkeit der Welt, sondern die Wunderlichkeiten und Verletzungen des täglichen Lebens. Und Mitte der Sechziger hatten sie damit ihren großen Durchbruch.
In zuckersüßen Harmonien sangen Simon & Garfunkel über Selbstzweifel und das Stadtneurotikerleben, U-Bahn-Fahrten im Morgengrauen und alte Leute auf den Parkbänken, über Star-Architekten und das Boxerschicksal.
Und meist fielen ihre Stücken in zwei Kategorien: ernst, ambitioniert und nachdenklich - das waren Kompositionen, die manchmal mehr nach Architektur klangen als nach Lagerfeuerfolksong, und dann wieder war es purer Partyspaß.
Und die beiden waren so toll, dass jede Menge illegaler Konzertaufnahmen kursierten; 1968 spielten sie ein paar Songs für den rebellischen Film Die Reifeprüfung mit Dustin Hoffmann.
Und dann kam das Monsteralbum, das sich vor Kreativität kaum noch regen konnte auf dem Plattenteller: Plötzlich raffte der hyperkreative Simon die unterschiedlichsten Musikeinflüsse zusammen und vermischte sie – was heute üblich ist, damals aber neu war: Und Bridge over Troubled Water sprengte alle Verkaufsrekorde! Aber die verbindende Brücke über aufgewühltes Wasser war gleichzeitig der Anstoß zur allmählichen Trennung von Simon und Garfunkel.
Welterfolg mit Weltmusik
Es war genau diese begierige Suche nach neuen Einflüssen, die Paul Simon, nach eineinhalb Jahrzehnten der Rumprobiererei, Mitte der Achtziger in die Welt hinaus trieb: in die Weltmusik, wie man das später nennen sollte.
In Südafrika grub Simon heimische Musiker wie Mahlatini und die Mahotella Queens aus und Ladysmith Black Mambazo und brachte 1986 mit ihnen ein Album raus, das einerseits zwar die Grenzen zwischen den Musikkulturen einfach abriss - das gleichzeitig aber vor allem bei politischen Aktivisten für kochendes Blut sorgte: Er habe den Boykott gegen das Apartheid-Regime verletzt, hieß es, habe Musiker schnöde ausgebeutet.
Aber Graceland verkaufte sich acht Millionen Mal - unglaublich für eine Musik, die bis dahin überhaupt noch nicht eingeführt war in die Hörgewohnheiten der Zielgruppe und die Ohren weit für den kommenden World-Music-Boom öffnete.
Kreativer Klangforscher im hohen Alter
Nach wie vor ist dieser Mann, dem schon mal die Aura eines Backenhörnchens nachgesagt wurde, eigensinnig, spröde, dickköpfig und trotzig. Aber jetzt wird er auch zornig – auf die Welt, was er nie sein wollte.
Und alt wird er: Die Wörter gehen ihm aus, sagt er, deshalb ist sein aktuelles (und erstmal: letztes, wie er sagt) Album Stranger To Stranger ein wahrer Ausbruch kreativer Klangforschung geworden, wieder voll von diesen unwiderstehlichen Melodien, kunstvoll und sogar relevant: Für die digitalen Wunderkindspielereien hat er einen italienischen Elektroproduzenten angeheuert, und für die merkwürdigen Klanggebilde neben seltenen Folklore-Instrumenten sogar Spielgeräte bauen lassen!