"Beteiligung, das ist eigentlich die Zukunft"
Wie sehen zukünftige Museen aus? Das Mitmachen ist entscheidend: So lautet das Credo des Niederländers Paul Spies - besonders für historische Ausstellungen. Die Social-Media-Generation wolle beteiligt und selbst aktiv werden, sagt der Direktor des Stadtmuseums Berlin.
Christine Watty: Eines der größten Geschenke bekommt der Berliner Fußballverein Hertha BSC zu seinem 125. Geburtstag vom Stadtmuseum Berlin - nämlich eine Ausstellung, die ab heute eröffnet wird, "Von Fans für Fans", eigene große Fußballmomente konnten da mit eingebracht werden.
Es gibt natürlich Fußballobjekte zu sehen und viel über die Fußballgeschichte des Vereins und der Hauptstadt zu erfahren. Paul Spies ist der Direktor des Stadtmuseums Berlins und außerdem auch der Chefkurator des Landes Berlin im Humboldt-Forum, und mit ihm bin ich jetzt verbunden. Guten Morgen, Paul Spies!
Paul Spies: Guten Morgen!
Watty: Wenn man sich die Ankündigungen der Hauptstadtfußball-Ausstellung anschaut, dann wird man da geduzt, im Internet zum Mitmachen aufgefordert, Fußballfans durften eigene Objekte als Exponate vorschlagen. Wie gut ist das angenommen worden?
Ein Drittel der Ausstellung stammt von Sammlern
Spies: Besonders gut. Es war auch wieder überraschend, dass man über Fußball eigentlich so leicht die Leute erreicht, die leidenschaftlichen Liebhaber, die Hobbyisten und Sammler und so weiter. Wir haben ungefähr ein Drittel in unserer Ausstellung, also ein Drittel der Objekte, die wir zeigen, sind tatsächlich auch Objekte, die wir bei den Fans holen konnten und ausstellen konnten.
Watty: Ist diese Herangehensweise, das Aufrufen zum Mitmachen, auch eine, die für Sie das Museum der Zukunft ausmacht? Es geht vielleicht im Zusammenhang mit Fußball noch ein bisschen leichter, aber überhaupt so direkt die Menschen anzusprechen und das Museum auch als ihres zu begreifen?
Spies: Ja, absolut. Ich glaube, das ist eigentlich auch die Zukunft, vor allem für historische Museen, für historische Museen wie das Stadtmuseum Berlin. Wir sind kein Kunstmuseum. Wir sind ein Museum, das versucht, ein Museum für alle zu sein, für alle Bürgerinnen und Bürger der Stadt.
Wir versuchen, die Leute aufzufordern, mitzumachen, um ihre Geschichten in einen Kontext zu stellen, und zu befragen, was haben sie eigentlich gemacht, was haben sie für Wurzeln, was haben sie für eine Geschichte, was können sie hinzufügen, um mit uns Geschichte zu betreiben.
Das sind persönliche Geschichten, Anekdoten, und natürlich, man wählt sie aus, das sind meistens auch die besten, die am meisten illustrativen Geschichten, die man dann zeigt. Und das regt an, mitzumachen. Das ist, glaube ich, auch die Zukunft.
Wir arbeiten jetzt mit einer neuen Generation, einer Internet- und Social-Media-Generation, und das sind Leute, die möchten gern auch gleich aktiv werden und nicht ewig nur zuhören und nicht beteiligt sind. Beteiligung, das ist eigentlich die Zukunft.
Watty: Und möchten die Leute das wirklich, die jetzt so viele Jahrzehnte lang geübt waren darin, voller Ehrfurcht ins Museum zu gehen und dann dort etwas aus sicherer Entfernung anzuschauen? Ist es schwer, die anzusprechen und zu sagen, hey, du bist dabei, du bist wirklich auch Teil dieser Ausstellung?
Große Chance für historische Museen
Spies: Das ist natürlich auch ein Umbruch, und weil das auf Social Media schon längst stattfindet, ist es vielleicht in der Tat für so ein Institut, das immer eher ein Top-Down-Bildungsinstitut war, ist es vielleicht ganz neu. Aber es ist auch, glaube ich, für Geschichtsmuseen die Chance, sich auch ein Alleinstellungsmerkmal zu geben, zu sagen, wir haben nicht die Obrigkeit beim Deuten.
Das können wir auch nicht. Wir sind ja ein – teilweise sind wir wissenschaftliche Institute, in denen auch wirklich neue Resultate gezeigt werden von Wissenschaft. Aber wir sind vor allem eigentlich auch Vergnügungsorte, wo man den Sonntagnachmittag angenehm verbringt und wo man natürlich etwas lernt, aber wo heutzutage immer auch festgestellt wird, dass man eine Meinung hat und mit anderen darüber redet und dass es zu Reaktionen kommt.
Wir haben zum Beispiel eine andere Ausstellung im Märkischen Museum über 1937, dieses Jahr, was alle als ein ruhiges Jahr in der Nazizeit sehen. Dort zeigen wir Sachen, die regen nicht nur an, über das Damals zu diskutieren, sondern auch über das Heute.
Es ist jetzt eigentlich auch ziemlich ruhig. Wir glauben, alles ist okay. Aber wenn man die Geschichte von heute später noch mal nachsieht und analysiert, war es dann eigentlich nicht so ruhig.
Und solche Fragen möchten wir stellen, das ist unsere Rolle, und damit wird sozusagen der Besucher nicht nur ein Besucher, sondern auch jemand, mit dem wir in den Dialog gehen als ein Museum.
Also gleichzeitig vielen nicht immer eins aus eins – dafür haben wir natürlich auch Veranstaltungen, also wir machen das nicht nur mit Ausstellungen, wir machen viele dialogische Produkte.
Aber das ist, glaube ich, auch die Zukunft, dass wir versuchen, den Leuten beim Denken ein bisschen zu "helfen".
Watty: Herr Spies, ich kann mir total gut vorstellen, dass das vor allem auch von den Besuchern gern angenommen wird. Jetzt ist es aber so, dass man über die Konzeption für die Museen der Zukunft heftig streiten kann, gerade wenn es dann in das Gespräch zwischen Kuratoren, Experten, Kulturschaffenden, Historikern geht.
Das kann man ganz gut an der Auseinandersetzung über die Zukunft des Berliner Humboldt-Forums sehen. Jetzt gestalten Sie genau dort die Berlin-Ausstellung. Wie gut kommen Sie denn da an mit Ihrer Idee des Mitmachens? Sind Sie vielleicht auch einfach genervt von den vielen Streitigkeiten darum?
Über neue Modelle muss diskutiert werden
Spies: Das Schöne daran ist, dass wir eigentlich nicht so viel damit zu tun haben. Die Berlin-Fläche, die ich versorgen soll mit meinem Kuratorenteam, ist eigentlich im Schatten von diesen Diskussionen, macht aber tüchtig weiter.
Vor genau einem Jahr haben wir unser Konzept präsentiert. Es ist, glaube ich, gut (aufgenommen worden), und seitdem arbeiten wir weiter und weiter an Gestaltung und Detaillierung, und wir machen auch sehr viel Zusammenarbeit mit den anderen Institutionen, auch unsere zentrale Hofstelle, könnte man sagen. Bei uns geht es wirklich gut voran.
Wir haben, wie ich eben gesagt habe, ein Konzept entwickelt, wobei wir die Leute auch befragen, das ist sehr partizipativ. Es ist, glaube ich, genau, was das Humboldt-Forum zu sein versucht.
Für mich war vielleicht die Lage ganz leicht, ich hatte eine Tabula rasa, einen leeren Raum. Ich konnte von Anfang an so ein Konzept entwickeln, mit jungen Leuten, die erfahren sind mit solchen museologischen Modellen, und ich werde nicht von etwas gehemmt.
Ich verstehe die Diskussion, ich finde sie auch (richtig). Ich glaube auch, dass es sein darf, dass man so ein neues Modell auch wirklich befragt. Wie gesagt, in der Zusammenarbeit habe ich das Gefühl, dass wir viel schaffen können. Es wird ganz spannend. Es sind (bisher) nur zwei Jahre.
Ich glaube, wir sind wirklich sehr gut innerhalb unseres Plans, und bin eigentlich überzeugt, dass unsere Abteilung sowieso eine wunderbare Abteilung wird, und ich hoffe auch, dass in der Zusammenarbeit wir es schaffen werden, gleich viel Erfolg wie die anderen Abteilungen zu haben. Ich verstehe aber die Zweifel.
Watty: Dann soll es bei Ihnen auf jeden Fall auch so weitergehen. Es ist doch auch mal schön, rund um das Humboldt-Forum etwas zu hören, was einfach ohne Streit und einfach direkt nach Plan auch so läuft. Das freut mich zu hören.
Paul Spies war das, der Direktor des Stadtmuseums Berlin und außerdem eben auch Chefkurator des Landes Berlin im Humboldt-Forum. Und die Ausstellung, über die wir am Anfang gesprochen haben, "Hauptstadt-Fußball", ist ab jetzt im Museum Ephraim-Palais in Berlin zu sehen. Danke für das Gespräch, Herr Spies!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.